Kapitel 3: Eddie

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Ben und Mike sitzen gegenüber von mir am Tisch, ihre Köpfe zusammen in ein altes Buch gesteckt. Ben erzählt leise irgendetwas, dass ich nicht verstehen kann. Richie sitzt neben mir und albert herum. Auch das bekomme ich nicht richtig mit. Stanley sitzt am Kopfende des langes Tisches, und liest irgendeine Zeitschrift. Ich halte zwar auch ein Buch in der Hand, aber mein Blick geht zum Fenster raus, welches in den Hinterhof führt. Ein Rabe hockt auf der Mauer und kratzt sich mit seinem Schnabel. Gedankenverloren beobachte ich ihn, während ich nachdenke. Ich denke darüber nach, was alles geschehen war. Vor ein paar Monaten. Dieses schelmisch lächelnde, schneeweiße Gesicht. Die roten Zottelhaare. Wie der Clown mir mit seinen ekelhaften, langen Fingern übers Gesicht streifte, ich vor Angst zitterte und beinahe von ihm gefressen wurde. Der Gips, mittlerweile vollständig bekritzelt, erinnert mich jeden Tag daran. Das „Loser" mit dem darüber geschmierten V war völlig verwaschen. In vielen bunten Farben zieren die Namen meiner Freunde, sowie komische kleine Zeichnungen den weißen Verband. Ich verfolge nun mit meinem Blick die Linien der Namen. Irgendjemand rüttelt mich an. „Eds?" Richie schiebt seine Brille hoch. „Hm?" Langsam komme ich zurück in die Realität. „Hast du was gefunden?" Ben schaut mich erwartungsvoll an, doch ich schüttele nur langsam den Kopf. „Hm, okay..." Verwundert wendet er sich Stan zu, der ihm nun irgendwas erzählt. In der Mitte des Tisches liegen unsere Schullektüren auf einem Stapel. Ich war kurz davor, wieder in meine Gedankenwelt abzurutschen, als ich eine sehr bekannte Stimme höre. „Hey, Jungs?" Ich fuhr hoch, Richie schiebt erneut seine Brille hoch, Stan, Ben und Mike drehen sich um. Ein dünnes, hübsches Mädchen mit kurzen roten Haaren steht gegen die Wand gelehnt. „Beverly!" Ich springe erfreut auf und laufe zu ihr. Die anderen folgen mir und es entsteht eine Gruppenumarmung. Bill steht tatenlos neben uns, bis Richie ihn kurzerhand zu uns zieht. Der Club der Verlierer war wieder vereint.

Am späten Nachmittag steige ich auf mein Fahrrad und fahre zu meinem Arzt. Heute war der Tag der Tage: Mein Gips wurde entfernt. Ein letztes Mal sehe ich mir mein Erinnerungsstück an die vergangenen Erlebnisse an, dann setzt Dr. Geller die Schere an und schneidet durch den Gips. Ich starre derweil auf das alte Anatomieposter an der Wand gegenüber. „So, das wär's." Dr. Geller lächelt mich an. „Dann wollen wir doch mal sehen, ob der Arm vollständig verheilt ist, hm?" Ich nicke und folge ihm zum Röntgen. Der Arm war zum Glück okay und ich darf gehen. Auf dem Weg nach Hause fahre ich an der Ecke Niebolt Street vorbei. Ein kalter Schauer läuft meinen Rücken herunter. Schnell erhöhe ich mein Tempo. Ich biege in unsere Straße ein und bremse quietschend. Ich schiebe mein Rad in die Garage und gehe ins Haus. Meine Mutter war wieder einmal vor dem Fernseher eingeschlafen. Leise schleiche ich in mein Zimmer und setze mich kurzerhand auf mein Bett. Dabei fällt mein Blick auf das Buch, welches ich vor ein paar Tagen achtlos auf den Boden geschmissen hatte. Ich hebe es auf und stelle es auf meinen Nachttisch. Dann lege ich mich auf den Rücken und starre meine Decke an. Wieder einmal schweifen meine Gedanken ab, jedoch diesmal nicht zu gruseligen Ereignissen, sondern zu einem wunderschönen Mädchen. Lily. Lily ist neu in der Stadt und ist in unsere Klasse gekommen. Ihre grünen Augen funkeln im Sonnenlicht und ihre schulterlangen, braunen Locken fallen ihr immer wieder ins Gesicht. Man, Eddie, seit wann so kitschig? Denke ich und drehe mich auf meine Seite. Ich schließe die Augen, und schlafe langsam ein.

welcome to the losers' club // abgebrochenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt