Ich wache auf. Erfreut stelle ich fest, dass heute der erste Januar ist, der erste Tag des Jahres 1990. Ich drehe mich um, zur Zimmermitte. Auf dem Boden alte Klamotten, ein Schulbuch, alte Coladosen. Wiederwillig stehe ich auf und räume kurz alle Sachen vom Boden, bevor meine Mutter einen Herzinfarkt bekommt beim Anblick meines Zimmers. Unten läuft das Radio. Ich schaue auf die Uhr über meiner Tür: 10:27. Schnell ziehe ich eine Jeans über und gehe nach unten. „Frohes Neues, Billy-Schatz.", sagt meine Mutter, ohne von ihrem Brötchen aufzuschauen. Ich nicke. „E-E-Euch auch." Ich überlege, ob ich irgendetwas von gestern erzählen könnte, werfe den Gedanken kurz danach aber wieder weg. Ich kann weder von dem Kuss mit Bev erzählen, noch von dem anderen Kuss von Rich und Eddie, oder dem darauffolgendem Streit und der gedrückten Laune. Also setze ich mich ohne weiteren Kommentar an den Tisch und nehme mir ein Brötchen aus dem Korb. Mein Vater sitzt gegenüber von mir, doch ich kann ihn nicht sehen, die Zeitung von heute verdeckt ihn komplett. Zumindest für mein Sichtfeld. Ich schneide mein Brötchen auf und schmiere Butter darauf. Meine Mutter starrt ihren Teller an, schiebt mit ihrer Hand Krümel hin und her und hat ihren Kopf in ihre Hand gestützt. Schweigend esse ich mein Brötchen, räume meinen Teller in die Spüle und verabschiede mich nach oben. Mein Vater hat in der Zwischenzeit seine Zeitung zu Ende gelesen und sich auf das Sofa vor den Fernseher gepflanzt, während meine Mutter nun in der Küche steht und abwäscht. Langsam nehme ich Stufe für Stufe. Oben am Treppenabsatz angekommen, starre ich, wie so oft, auf diese Tür neben dem Bad. Einmal bin ich nachts, anstatt ins Badezimmer, in Georgies Zimmer gegangen. Als ich es bemerkt habe, bin ich in Tränen ausgebrochen, habe laut geschluchzt, bis meine Mutter besorgt zu mir gekommen war und mich beruhigte. Jetzt stehe ich immer noch still am Treppenabsatz, unten laufen Nachrichten auf dem Fernseher, während aus der Küche die Geräuschkulisse des Abwaschens klingt. Langsam setze ich meine Füße voreinander, so als wüsste ich nicht mehr, wie man richtig läuft. Meine Knie zittern. Dann muss ich mich abstützen. Meine rechte Hand schnellt zur Wand, während ich halb zur Seite kippe. Die Tür zu Georgies Zimmer steht einen Spalt offen, ich sehe von meinem Standpunkt aus sein Bett. Nie wieder würde er in seinem Bett liegen, mit seiner Batman-Bettwäsche, die er so sehr liebte. Nie wieder würde er mit seinen Legosteinen etwas bauen, bei dem niemand wusste, was es war. Nie wieder würde er zu mir kommen und sagen „Billy, faltest du mir ein Boot?" Ich wische eine Träne aus meinem Augenwinkel. Mensch, seit wann bin ich so eine Memme? Ich richte mich wieder gerade auf, und gehe langsam in mein Zimmer. Dort angekommen, setze ich mich auf mein Bett. Langsam atme ich tief ein und aus. Dann entschließe ich mich, mich abzulenken, und nehme die Schullektüre in die Hand. Die Luftballons auf dem Cover jagen mir einen kalten Schauer über den Rücken. Schnell klappe ich es auf und lese weiter.
Es ist früher Abend. Ich sitze wieder einmal auf meinem Platz am Esstisch und schneide mein Steak in kleine Stücke. Meine Mutter zermantscht ihre Kartoffeln in der Sauce, während mein Vater gerade an seinem Tee nippt. Auf einmal klingelt es an der Haustür. Stöhnend steht meine Mutter auf und schlurft zur Tür. Sie ist bereits im Morgenmantel, den sie nun auf dem Weg zur Tür noch einmal ordentlich zuknotet. Ich höre das leise Quietschen der Scharniere und dann meine Mutter. „Hallo, Eddie, schön, dich zu sehen! Beverly? ..." Nach kurzer Pause ertönt ein „Bill!" durch den Flur und ich stehe auf. Was wollten die denn hier- es war ja schon halb zehn abends! Ich gehe um die Ecke. Meine Mutter geht an mir vorbei. Ich schlucke den Bissen Steak herunter, den ich gerade gekaut hatte, und sage: „H-H-Hallo Leute, was ma-ma-macht ihr denn hier?" Ich betrachte die beiden genauer: Beverlys kurze, rotblonde Haare hängen lustlos herunter, ihre Wangen sind rot. Sie scheint müde zu sein. Mein Blick wandert zu Eddie: Tiefe Augenschatten hängen unter seinen Augen, welche rot und angeschwollen sind. Hat er geweint? Seine Haare hängen ebenfalls herunter, seine Schultern hängen schlaff herunter. Ich lege den Kopf schief. Dann drehe ich mich wortlos um und bahne mir meinen Weg nach oben. Die anderen beiden folgen mir, ebenfalls stumm. In meinem Zimmer angekommen, setzen wir uns im Dreieck auf mein Bett. „W-W-Was ist los?"
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welcome to the losers' club // abgebrochen
FanfictionSieben Kinder, ein Geheimnis. Sie teilen eine Erfahrung, ein Trauma, etwas, dass niemand Anders auf der Welt weiß. Doch das Leben geht weiter, keiner fragt. Ein Leben nach dem Kampf, in ein neues Jahr, ein besseres Jahr. Oder? ~ Billy, Beverly, B...