Krieg! In Epien war dies kein Grund in Angst zu verfallen. Vielmehr durfte man sich ein riesiges Volksfest vorstellen. Da das oberste Gebot das Töten unter Strafe stellte, aber niemand wirklich auf ein ordentliches Kräftemessen mit viel traditionellem Horntuten und eindrucksvollen Schlachtrufen, verzichten wollte, hatte man tödlichen Stahl durch Gummi und Blut, durch Farbe an den Waffen ersetzt. Seitdem wurde auf Schlachtfeldern umso lauter gebrüllt, um das gelegentliche Quietschen zu übertönen. Niemand wollte den Moment, in dem der gegnerische König fiel und ein Barde bereitstand, um den Augenblick zur Legende zu schmieden, mit dem Gedanken an gelbe Badeenten verderben. So strömten an den Schlachttagen zahlreiche Frauen, Männer und Jungspunde in die Schlacht, um später bei Freunden, Familie oder Angebeteten mit eindrucksvollen Farbtupfern und blauen Flecken prahlen zu können..
Henrike und Tashar aßen gerade zu Mittag, als ein Bote hereinkam und eine Nachricht übergab. Jemand hatte gedroht, das Dorf zu überfallen, falls er die Hexe nicht auslieferte. Der Landherr von Little Village schnalzte mit belustigter Verärgerung die Zunge. „Meine Güte, sie bezeichnen dich als Hexe, Schatz! Ich bin ein friedliebender Mensch, aber diese Beleidigung deiner wunderbaren Erscheinung kränkt mich tief in meiner Ehre. Und du weißt, wie wichtig die Ehre uns Schweinefleischverächtern ist. Ich fürchte er lässt mir keine Wahl, als die Kriegserklärung zu erwidern."
Henrike strich sich das Haar hinter die Ohren, kraulte Mephisto, der auf ihrem Schoß lag und seufzte resigniert. „Könnt ihr das nicht bei einer gemütlichen Runde Schach und einer Tasse Tee klären? Nein, wahrscheinlich nicht! Das wäre nicht männlich..."
„Außerdem will ich den Leuten nicht den Spaß verderben. Besser sie toben sich gegen eine Gruppe fremder Soldaten aus, als unser Haus neu anzustreichen!"
„Oh, klar."
„Und wir müssen an die Wirtschaft denken. Du weißt genau, dass während eines Krieges fast doppelt so viel Umsatz gemacht wird."
„Was vor allem für die Waschmittel- und Scheuerbürstenbranche gilt. Die Frauen werden sich bedanken. Du ahnst nicht, wie schwer es ist, die Farbe aus den Hemden zu kriegen."
„Ach komm schon. Ich hab schon oft gehört, dass grade die Weiber an vorderster Front die Waffen schwingen. Außerdem, wie oft kommt es in dieser verschlafenen Gegend zu einem waschechten Handgemenge?"
„Letzte Woche, drüben in „Hinnerm Mond un am A-punkt der Welt"!"
„Ach was. Den mussten sie abbrechen. Es hat heftig geregnet und einige Kampfunfähige haben die Gelegenheit ausgenutzt, sich wieder hineinzumogeln. Plötzlich wimmelte es auf dem Schlachtfeld von Unsterblichen..."
Little Village würde also in den Krieg ziehen, am nächsten Tag um halb Elf, nach Ablauf des gestellten Ultimatums. Der unbekannte Feind befand sich in der Überzahl und die Dorfbewohner hatten sich etwas zu viel Mut angetrunken. Tashar und Henrike beobachteten das Schauspiel eine Weile, bereit zum Aufbruch, denn eine Niederlage war offensichtlich. „Aber das werde ich nicht auf mir sitzen lassen", grummelte Tashar den ganzen Weg zum zweiten Dorf, das er regierte. Noch am gleichen Abend sandte er einen Boten mit der Forderung nach einer Revanche ins Feindesland. Die Antwort kam prompt, doch anstatt der Unterschrift des Absenders prangte am Ende der Antwort eine schwarze Feder. Natürlich kannten sie die Gerüchte, aber genau deshalb tappten sie in die Falle. Sie wussten, dass sie es mit Verbrechern zu tun bekamen und glaubten damit fertig zu werden, dachten sie wären schlauer.
Die Vorbereitungen wurden getroffen. Ein paar schlaue Köpfe bauten Katapulte zusammen und Mitarbeiter hievten schwere, schwappende Farbsäcke in Reichweite. Sie hatten gelernt und niemand rührte an diesem Tag Alkohol an. Eine Stunde vor dem offiziellen Beginn der Schlacht machten sie sich auf zu einem brachliegenden Feld auf halben Weg zwischen beiden Dörfern.
Bald schon erschienen die ersten Silhouetten in feindlicher Uniform. Es waren erstaunlich wenige, kaum halb so viele wie bei der ersten Begegnung. Die Soldaten unter Tashars Kommando winkten dem Feind als Zeichen der Anerkennung und der kameradschaftlichen Gesinnung des Kriegs zu. Die Truppen winkten zurück. Alle legten ihre Waffen an. Der Startschuss musste bald fallen und dann liefen sie aufeinander zu.
Grölend und Johlend rannten die Gummischwertkämpfer zur Mitte, die Fernkämpfer blieben stehen. Tashar ließ die Katapulte vorbereiten, die anderen luden schwere Kanonen und dann erklang das Kommando.
Die Kräfte prallten aufeinander, Geschosse flogen durch die Luft. Die ersten gingen zu Boden. Zuerst nahm niemand Notiz davon, aber schnell verwandelten sich Kampfesrufe in Entsetzensschreie. Die Kanonenkugeln sirrten durch die Luft, weit über das Chaos auf dem Feld hinweg. Nach den Schrecksekunden schleuderten die vormaligen Feinde die Waffen von sich und stürzten neben den Toten zu Boden. Die meisten von ihnen waren junge Raufbolde, die nie einer Fliege was zu Leide getan hätten und selbst beim Schlachten des Viehs nie weit von einem Nervenzusammenbruch entfernt waren. Plötzlich sahen sie sich mit dem wahrhaften Grauen geladener Feuerwaffen konfrontiert und der Tatsache, dass Menschen starben. Donner und Beben durchzuckten die Landschaft, als die schweren Geschosse in Tashars Dorf einschlugen und detonierten.
Heillose Verwirrung und Angst beherrschten die Menschen. Man versuchte Verwundete zu verarzten. Vom Dorf her kamen weitere Leute, die Gesichter schreckverzerrt. Tashar beobachtete die Szene. Alles in ihm fühlte sich leer an. Dort lagen seine Untertanen. Die schwarze Feder brannte in seinen Gedanken, brannte wie Feuer und verbrannte, was ihm anvertraut war. Der Geruch von Schwarzpulver versengte einem die Nasenhaare. Rauschen legte sich auf seine Ohren, als er an flüchtenden Menschen vorbei schritt. Er spürte Hände an ihm zerren, sah Münder, die sich bewegten. Neben ihm lagen sie im grünen Gras, doch das Rot erstickte alles Grün, ertränkte die Farben der zertrampelten Blumen und durchwirkte den Boden.
Andere kümmerten sich. Wer noch zu retten war, wurde auf improvisierte Lager gebracht. Was war geschehen? Was tun? Henrike, wo war sie? Wer konnte, verließ den Ort. Tashar wankte jedoch schlafwandlerisch auf die Rauchsäulen zu, die aus dem Dorf aufstiegen. Flammen schlugen aus den Häusern. Einige Gestalten liefen mit Wassereimern umher. Dirigiert von Faust versuchten sie Eingeklemmte zu befreien. Die beiden Hunde kamen aus zwei verschiedenen Richtungen angerannt. Im Schlepptau führten sie Waldbewohner, die sofort anpackten. Durch die Rauchschwaden blickte Henrike zu Tashar, der aussah wie ein Gespenst. Sofort eilte sie zu ihm. Ob er verletzt wäre, fragte sie, fuhr ihm mit zittrigen Händen über das fahle Gesicht und umschlang ihn, das Ohr an sein rasendes Herz gelegt.
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Federlesen
AdventureEine Insel, auf der Geschichten erlebt werden. Doch ein Schatten legt sich über das Idyll, als jemand Protagonisten umbringt. Ausgerechnet die unerfahrene Erzählerin Ylaine soll die Verbrechen aufklären. Begleitet wird sie von einem weltoffenem Prie...