Man munkelte schon eine ganze Weile. Schreckliche Dinge ereigneten sich im Wald. Hinter vorgehaltener Hand spekulierten die Dorfbewohner, wer wohl verantwortlich war für die verschwundenen Menschen, die nicht zurückkehrten. Einige, so hieß es, seien in den Bann der magischen Wesen geraten und zu einem dieser Geschöpfe geworden. So etwas passierte. Aber was war mit den anderen? Manchmal fanden die Jäger einen Schuh oder einen Hut. Die Waldbewohner legten dann und wann Kleidungsfetzen vor Häusern ab.
Ab und an reisten Fremde durch die Dörfer. Man beobachtete sie auf Schritt und Tritt, bis sie weiterzogen. Doch man konnte keine Zusammenhänge feststellen. Zuerst war es einer der Metzgerbrüder, der verschwand. Dann fand man mitten in der Nacht ein offenes Fenster und das zurückgelassene Schlafgewand der Frau eines Lords. Auch ein Bettler, der normalerweise am Markttag musizierte, kam eines Tages nicht mehr.Die Dorfpfarrer zündeten Lichter an für jedes verschollene Schaf. Unruhe machte sich breit. Viele betraten die Wälder nur noch in Begleitung. Einzig die Kinder, die sich frei zwischen den mystischen Völkern bewegten, kamen immer wieder.
Einen Schuldigen konnte man nicht finden. So waren die Seemenschen, Nymphen und Faune die ersten, denen Zorn und Angst entgegenschlugen. Man stellte den Handel mit ihnen ein, mied sie und trieb sie schließlich in den Wald zurück. Nur gegen die rebellischen Wasserbewohner kamen sie nicht an.
Doch alsbald geschahen weitere merkwürdige Dinge.
Nach Wochen kehrte einer der Vermissten zurück. Ohne Erklärung tauchte er eines Morgens auf und tat, als sei er nie weg gewesen. Von den anderen wusste er angeblich nichts. Doch als der nächste verschwand, war er derjenige, der darauf drängte einen Diener Gottes zu holen. Man stimmte zu und schickte eine Nachricht an Renoir.
Der Bürgermeister von Little Village war nervös. Er glaubte nicht an eine teuflische Verschwörung, sondern an eine reale Bedrohung. Seine Geliebte war schon länger ins Visier geraten. Die Klugen traf es immer zuerst, wenn ein Schuldiger gesucht wurde.
Fast gleichzeitig erklärte man dem kleinen Dorf, dessen Bürgermeister er war, den Krieg. Bald schon waren seine Streitkräfte übersät mit den Farben des Gegners und die beiden flohen in ein weiter entferntes Örtchen, in dem er einige Ländereien besaß.
Kurz darauf erschienen die unheimlichen Symbole, die jemand des Nachts an Wände und auf den Boden schmierte. Der neue Bürgermeister verhängte eine Ausgangssperre. Doch irgendwann wurden aus Farbgraffiti Kunstwerke aus Blut. Man fand das Brunnenwasser versalzen, jemand hatte dem Müller Späne ins zu mahlende Getreide gemischt.
Die Bewohner wurden panisch. Wann würde der erste ernsthaft zu Schaden kommen? Unruhe breitete sich aus. Die Regierung sah sich in die Ecke gedrängt, kaum dass sie die Macht in dem Kaff erlangt hatte.
Und dann - just zu dieser Gelegenheit - tauchte endlich Gottes Diener auf. Es war ein magerer Kerl, der aussah, als hätte er nie über einen Witz gelacht. Unentwegt umklammerte er das überdimensionale Kreuz, das an einer goldenen Kette um den Hals hing. Das Reden übernahmen seine Lakaien, die mit ihm angereist waren. Er selbst ließ nur Verse der heiligen Schrift und Predigen über seine spröden Lippen kommen. Die Frauen schaute er nicht einmal an und die Männer musterte er mit einer unterschwelligen Anschuldigung und der Warnung, ihm ja nicht in die Quere zu kommen. Gott habe ihm offenbart, dass sie dem Schrecken schon bald begegnen würden. Ein paar Leute, so befahl er, sollten sich im Wald auf die Lauer legen und den blauen Blitz einfangen, der über sie hereinbrechen wolle.
Man zweifelte, fürchtete einen Fehler zu begehen, traute dem Fremden nicht über den Weg. Erst als ein Kind weinend auf den Platz gelaufen kam und von einem Traum erzählte, in dem es von einer fürchterlichen Gestalt mit einer blauen Flamme auf dem Kopf gejagt wurde, gehorchte man. Und tatsächlich nahmen die Späher alsbald ein seltsames Weib gefangen. Ihr Körper schien aus schwarzem Leder zu bestehen, die kurzen Haare glichen einer gefrorenen Flamme. Sie warfen sie in den Kerker, der Inquisitor rezitierte einige Sprüche und sowie er wieder herauskam und die Bibel zuklappte, raschelte es im Wald und all die Vermissten taumelten heraus, fuhren sich geblendet über die Augen und fielen auf die Knie aus Dankbarkeit, die Sonne wiederzusehen. Was geschehen war, darüber verlor jedoch nach wie vor keiner ein Wort.
Der Geistliche kündigte an, die Gemeinde endgültig von dem Übel zu befreien und der besessenen Seele das Heil wiederzubringen. In freudiger Erwartung und Windeseile errichtete man eine Bühne in der Mitte des Dorfplatzes...
DU LIEST GERADE
Federlesen
AventuraEine Insel, auf der Geschichten erlebt werden. Doch ein Schatten legt sich über das Idyll, als jemand Protagonisten umbringt. Ausgerechnet die unerfahrene Erzählerin Ylaine soll die Verbrechen aufklären. Begleitet wird sie von einem weltoffenem Prie...