Kapitel 01 - The Girl in the Streets (2/2)

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„Woher weißt du das? Du wohnst doch offensichtlich hier. Wieso willst du wissen, dass die Hotels ausgebucht sind?" Sie funkelte ihn misstrauisch an, weshalb Caleb erneut das Verlangen verspürte seine Hände in Abwehrhaltung zu heben. Diese Frau wirkte ein kleines bisschen einschüchternd auf ihn. Aber nur ein bisschen.

„Ich arbeite in einem Restaurant. Da hört man so einiges", sagte er und beobachtete ihr Mienenspiel. Wieder strich sie sich mit den Fingern durch die Haare und ließ den Blick hektisch über die Straße wandern. Sie war eindeutig verzweifelt.

„Was mache ich jetzt?", flüsterte die Frau und dachte angestrengt nach. Wieder zog sie ihre Unterlippe durch die Zähne ein und kaute darauf herum. „Kennst du ... weißt du von einer Pension, die vielleicht noch ein Zimmer hat?"

„In diesem Teil der Stadt gibt es keine Pensionen", sagte Caleb wahrheitsgemäß. Bis zur nächsten Pension müsste sie mit der U-Bahn mindestens eine Stunde fahren. Aber ob zu dieser Uhrzeit noch eine U-Bahn fuhr, war die andere Frage. Die Frau seufzte tief.

„Dann muss ich wohl woanders hin", sagte sie leise und hob ihren Koffer wieder hoch. Entgegen des Geräuschs von vorher, schien er sehr leicht zu sein.

„Und wo willst du hin?", fragte Caleb neugierig und folgte der Frau die Straße entlang.

„Raus aus der Stadt", antwortete sie. „Das ist vermutlich sowieso besser ..." Ihre Stimme verlor sich in den fernen Geräuschen der Hauptstraßen.

„Bis du aus der Stadt draußen bist, wird es Stunden dauern!", sagte Caleb. „Die U-Bahnen fahren in der Nacht nur unregelmäßig und du willst doch hoffentlich nicht laufen!"

Die Frau drehte sich zu ihm um. Sie hatte ein schwaches Lächeln auf den Lippen. „Ich komme zurecht."

„Mitten in der Nacht?", fragte Caleb ungläubig. „Nein, ich kann dich doch nicht alleine, mitten in der Nacht, quer durch die ganze Stadt laufen lassen."

„Ich bin nicht so hilflos, wie ich vielleicht aussehe", sagte die junge Frau und lief weiter.

„Du bist eine Frau und man sieht dir an, dass du gerade nicht im Besitz deiner ganzen Kräfte bist. Ich bin ein anständiger Mann, ich kann dich nicht einfach so durch die Nacht spazieren lassen."

„Ach, und was soll ich dann tun?", fragte die Frau. Caleb hatte das Gefühl, dass die Frau ein bisschen von ihm genervt war. Das war nichts Neues für ihn. Er war meistens so aufdringlich, bis die Leute entweder genervt das Weite suchten oder ihn in ihr Leben einließen. Er hoffte bei dieser Frau auf das letztere, obwohl er es sich wirklich nicht erklären konnte, wieso er das wollte.

„Du schläfst in meinem Gästezimmer. Morgen kannst du immer noch zum Zug gehen und woanders hinfahren. Aber heute Nacht schläfst du bei mir!", erklärte Caleb und blieb stehen.

„Ich werde nicht bei irgendjemanden Wildfremden übernachten", sagte die Frau und lief weiter. „Ich kenne ja noch nicht einmal deinen Namen."

„Caleb!", rief er ihr hinterher. Sie drehte sich überrascht um. „Caleb Simmons."

„War schön, dich kennen zu lernen", sagte die Frau, drehte sich wieder um, und ging weiter.

„Ach komm schon", rief Caleb und lief ihr wieder im Lauftrapp hinterher.

„Läufst du Frauen immer wie ein verlorenes Hündchen hinterher?", fragte die Frau und Caleb konnte das Grinsen in ihrer Stimme hören.

„Nur, wenn ich sie zum Lachen bringen will." Wieder blieb die Frau stehen. „Verrätst du mir deinen Namen?" Sie schüttelte den Kopf, hatte aber ein Grinsen auf den Lippen. „Komm schon, ich verspreche dir, dass ich keine bösen Absichten habe." Caleb hob, mal wieder, abwehrend die Hände hoch. „Ich tue dir nichts. Du wirst dein eigenes Zimmer mit einem eigenen Bett haben und darfst das Bad vor mir benutzen. Morgen früh mache ich dir einen Tee und Frühstück und bringe dich zum Zug. Nur bitte, lauf nicht alleine mitten in der Nacht durch London."

Die Frau beobachtete ihn genau. Sie betrachtete sein Gesicht. Ihre Augen blieben an seinen langen Locken hängen und fuhren dann weiter über sein weißes T-Shirt und der zerrissenen Bluejeans. Ihre Augen schossen wieder hoch und bohrten sich in seinen Blick. Er wusste was sie dort sah. Schon oft hatte man ihm gesagt, wie hell seine Augen im orangenen Licht der Laternen leuchteten. Viele hatten gefragt, ob er Kontaktlinsen tragen würde, doch von so etwas hielt er nichts. Er brauchte das nicht. Seine Augen waren auch ohne künstliche Kontaktlinsen von einem hypnotisierendem Grün. Und aus diesem Grün starrte er sie jetzt mit offenem Blick an.

„Na gut", sagte sie schließlich, als sie mit ihrer Musterung fertig war. Ein Lächeln bildete sich auf Calebs Lippen.

„Wenn Sie mir dann bitte folgen", zwitscherte er und griff nach ihrem Koffer.

„Nein, den trag ich", sagte sie schnell und riss ihn aus seiner Reichweite. Caleb zuckte nur mit den Schultern und ging voraus zu seiner Wohnung. Die Frau folgte ihm schweigend und besah sich die Häuser in der Dunkelheit. Sie erreichten das Haus und Caleb öffnete ihr die Tür. Er führte sie in den ersten Stock, wo er das Schloss aufsperrte und im Flur das Licht anmachte.

„Dann mal rein in die gute Stube", sagte er und die Frau ging an ihm vorbei in die Wohnung. Er schloss die Tür und sah, dass sie verloren im Flur stand und sich umsah. Sie betrachtete die Bilder an der Wand und schaute von einer Tür zur anderen. „Das hier ist das Badezimmer", erklärte Caleb und öffnete die Tür. „Gegenüber ist mein Schlafzimmer und am Ende vom Flur sind Küche und Wohnzimmer. Das Gästezimmer ist hier." Er öffnete die Tür neben seinem eigenen Schlafzimmer und machte das Licht an. „Hier dürfen Sie nächtigen, Mrs. Jane Doe."

„Hermine", sagte die junge Frau schnell. „Ich heiße Hermine."

Calebs Lippen umspielte wieder ein Lächeln und seine Grübchen vertieften sich. „Dann, Hermine, hier darfst du schlafen. Irgendwo hier habe ich noch frische Bettwäsche ...", sagte er und öffnete den großen Kleiderschrank, der dem Bett gegenüberstand. Er fand, was er suchte und warf ein Bettlacken und Überzüge für Kissen und Zudecke auf das Bett. Er schloss den Schrank und nahm das Bettzeug in die Hände.

„Warte, das kann ich machen. Du ... ich will dir keine Umstände machen", sagte Hermine und Caleb ließ die Sachen wieder auf das Bett fallen.

„Das macht mir keine Umstände", sagte er, ging aber trotzdem vom Bett weg. Er sah ihr ins Gesicht und erkannte, dass es noch immer gerötet und ihre Augen vom Weinen gereizt waren. „Ich lass dich mal alleine. Ich bin im Wohnzimmer, wenn du mich suchst", sagte er dann und ging an ihr vorbei aus dem Gästezimmer heraus. Hermine schloss die Tür und er konnte noch hören, wie sie heftig ausatmete. Auch er stieß seinen Atem aus. Sie hatten wohl beide nicht damit gerechnet, dass sie tatsächlich hier übernachten würde.

Caleb ging in die Küche und setzte Teewasser auf. Er vermutete, dass ihr das guttun würde. Dann ging er ins Wohnzimmer, wie er versprochen hatte und schaltete den Fernseher ein. Er zappte durch die Kanäle, doch überall lief nur Werbung. Nachdenklich blieb er an einem Kanal hängen und beobachtete, wie die Schauspieler einer Filmvorschau auf dem Bildschirm hin und her rannten. Schien, als würden sie vor etwas davonrennen.

Caleb konnte sich noch immer nicht erklären, wieso er Hermine dazu überredet hatte, bei ihm zu übernachten. Er kannte sie nicht. Nach allem, was er wusste, konnte sie eine Psychopathin sein und ihn im Schlaf überfallen. Doch daran hatte er überhaupt nicht gedacht, als er sie dort draußen verweint auf der Straße gefunden hatte. Sie hat ihm leidgetan und er wollte ihr etwas Gutes tun. Irgendetwas in ihm hat ihn dazu veranlasst.

„Danke, dass du mich hier übernachten lässt", schreckte ihn Hermines Stimme aus den Gedanken.

„Keine Ursache", sagte Caleb und sah sich zu ihr um. Sie hatte sich umgezogen und trug Jogginghosen und ein langes Shirt, das ihr viel zu groß war. „Möchtest du einen Tee?"

„Gerne", sagte sie und er stand auf.

„Mach es dir bequem, ich bin gleich wieder da." Hermine nickte nur und Caleb ging an ihr vorbei in die offene Küche. Schweigend goss er den Tee auf. Von der Küche aus warf er einen Blick ins Wohnzimmer und beobachtete die junge Frau, die es sich gerade bequem machte. Er war wirklich neugierig was sie dazu veranlasst hatte weinend in der Straße zu sitzen, doch dachte sich, dass er seine Fragen wohl lieber zurückhalten sollte. Sie hatte vermutlich genug durchgemacht heute.

Er trug die Tassen ins Wohnzimmer und gemeinsam schauten sie noch eine Weile in den Fernseher. Als sie ihre Tasse leer getrunken hatte wünschte Hermine ihm eine gute Nacht und verschwand dann ins Gästezimmer. Nur wenige Minuten später schaltete Caleb den Fernseher aus und legte sich ebenfalls in seinem Zimmer zur Ruhe.

Hermine Granger und die Feder des Wissens * ABGEBROCHEN *Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt