Der Mord

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Als Hang mich erblickte füllten sich ihre Augen mit Angst und Panik, als würde sie mich vor Schock nicht gleich erkennen. Wimmernd kroch sie ein paar Zentimeter zurück und presste das blutige etwas in ihren Händen fester an ihre Brust.
"Sch... Keine Angst, ich bin es... Sayo... Lass mich versuchen-" Meine Stimme zitterte, ohne dass ich etwas dagegen tun könnte, als habe mir jemand einen Fass voll Eis in den Rücken geschüttet. Ich rückte näher zu ihr hinüber und merkte dabei, wie sehr meine Beine unter meinem Gewicht zu schlackern begannen. Also ließ ich mich gegenüber der aufgeschreckten Hang in die Knie sacken. Diese sah mich mit weit geöffneten Augen an, als wäre sie zutiefst verunsichert von meiner Anwesenheit. Vorsichtig streckte ich meine Hand nach Trai aus, was Hang verstört zurückschrecken ließ.
"Sch!... Ich will nur... helfen.."
Das schien sie etwas zu beruhigen, denn sie wich nicht weiter zurück und ließ mich sogar näherrücken. Ich blickte auf Trais leblosen Körper hinab. Er war mit Schürfwunden übersäht und an seiner Kehle prangte eine tiefe Schnittwunde, die seine Kleidung in Blut tränkte. Panik stieg in mir auf und meine Hände begannen zu zittern, sodass ich nicht mehr unterscheiden konnte, ob sie es vor Kälte oder vor Schock taten. Das sah ganz und gar nicht gut aus! Schnell griff ich nach seinem kalten Handgelenk und suchte nach seinem Puls, ich suchte und suchte... aber ich fand ihn nicht. Verzweifelt ließ ich etwas Schnee schmelzen, und lenkte, immer noch zitternd, das Wasser behutsam zu der Wunde am Hals. Ich legte meine ganze Konzentration in meine Handflächen, mein Chi, bis das einzige Geräusch, das ich noch wahrnahm, nur noch das Rauschen in meinen Ohren war. Fast als wäre ich Unterwasser.
"Mika! Du- ", klinkte sich Sayo in mein Gehirn ein.
"Lass mich!", presste ich zwischen meinen Zähnen hervor. Ich musste mich konzentrieren, niemand sollte mich hierbei stören, nicht mal Sayo. Angespannt fokussierte ich mich auf das bläulich glimmernde Wasser, das die Wunde am Hals umschloss. Die Farben brannten sich in meine Netzhaut ein, doch ich wagte es nicht einmal zu blinzeln. Langsam, vorsichtig bewegte ich meine Hand, um die Wunde besser zu benetzen, ließ immer mehr von meinem Chi in das Wasser einfließen. Half es? Bitte, lass es helfen! Aber es schien sich nichts zu tun? Ich brauchte noch mehr Chi! Er durfte nicht... Er durfte einfach nicht sterben, nicht so. Er war doch jung und glücklich mit seiner Frau und... Meine Hände zitterten stärker. Ich musste mich mehr anstrengen.. Ich... Mein Blickfeld verschwamm etwas und ich gab mir alle Mühe, meine Konzentration nicht zu verlieren. Was war das für ein Geräusch? Jemand rief etwas. Nur was? Ach so... meinen Namen... Mit einem Mal wurde ich an den Schultern herumgerissen.
"Mika!" Perplex starrte ich in ein paar besorgte tiefgraue Augen.
"Yong? Lass mich! Ich muss..."
Mein Blick wanderte zu Trai hinüber. Das Wasser, dass ich eben noch zum Heilen verwendet hatte tränkte nun den blutverschmierten Teppich. Mühsam hob ich meine Hand und ließ wieder etwas Schnee schmelzen, als eine Hand fest mein Armgelenk umschloss. Überrascht und zugleich wütend wandte ich mich wieder zu Yong. Wieso unterbrach er mich wieder? Gerade wollte ich ihm klarmachen, er solle mein Handgelenk loslassen, aber er schüttelte nur langsam den Kopf, sein Gesicht ernst und traurig.
"Yong, ich-", fing ich an, aber er fiel mir ins Wort.
"Mika, die Toten können nicht ins Leben zurückgeholt werden! ...Von dir nicht und von keiner anderen Heilerin dieser Welt..."
"...Aber, vielleicht ist es noch nicht zu spät!", erwiderte ich, Verzweiflung in meiner Stimme.
"Mika, wenn du noch mehr Chi aufbrauchst, dann... verlieren wir dich vielleicht auch. Das kann ich nicht zulassen! Sie dich doch an, du kannst ja nicht mal mehr richtig sitzen geschweige denn stehen, habe ich recht?"
Ich wich seinem eindringlichen besorgten Blick aus. Seine Hand umklammerte mein Handgelenk immer noch fest, als glaube er ich könne jeden Moment wieder versuchen Trai zu heilen.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit ihm einer Meinung bin, aber er hat recht, Mika", wandte Sayo ein, "Es ist zu spät..., das war es schon lange bevor wir hier angekommen sind..."
Mein Blick glitt wieder zurück zu Trais leblosen Körper, den Hang immer noch fest umklammert hielt. Der Ausdruck in ihren rot überlaufenen Augen war leer und kalt, als wäre sämtliche positive Energie aus ihrem Körper gewichen, als könne sie nie wieder lachen. Auch sie wusste, dass es zu spät war.

Avatar - The Traitor's Child -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt