Das Problem

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Zena starrte mich entgeistert an. Ich starrte überrumpelt zurück. Verdammt, verdammt, verdammt! Warum ausgerechnet hier? Bitte lass sie keinen Aufstand machen, dieses eine mal nicht. Wenn sie hier einen Aufstand machte, standen die Chancen gut, dass es auch die Alten mitbekamen und mich zurück zum Tempel schleppten und wieder in Fesseln legten. Und wo war eigentlich Sayo, wenn man sie mal brauchen könnte? Zena öffnete den Mund, wahrscheinlich um mich fertig zu machen. Doch dann schien ihr einzufallen, dass ja Jun noch dabei war, denn sie blickte kurz zu ihm hinüber, und schloss anschließend ihren Mund wieder. Sie wollte anscheinend doch nicht gleich den ersten Eindruck versauen. Mein Glück. Juns Blick huschte verwirrt zwischen Zena und mir hin und her. Zena seufzte kurz, dann zerrte sie mich hinter ihr her.
"Wir müssen reden", meinte sie hastig zu mir. Auf dem Weg aus der Menge sah ich wie Sayo am Rand bei der Steintreppe saß und genüsslich an einem Fischspieß knabberte. Als sie mich mit Zena sah, ließ sie diesen vor Schreck fallen und sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, die fragten: "Wo hast du dich denn da schon wieder reingeritten?!?". Mit einem Kopfnicken und einem flehenden Gesichtsausdruck deutete ich ihr mir zu folgen. Von Jun war nirgendwo eine Spur zu sehen. Sie zog mich um die Ecke in eine Seitengasse, deren verwahrloster Zustand vielleicht eine Erklärung dafür war, warum hier keine Menschenseele zu sehen war.
"Was machst du denn bitte hier?!?", donnerte Zena los.
"Erst abhauen und dann bei meiner Einführungszeremonie auftauchen? Du hast vielleicht Nerven! Weißt du was erst passiert, wenn ich den anderen davon erzähle?"
Sie grinste selbstgefällig. Das war eine rhetorische Frage, nahm ich an.
"Es wundert mich sowieso, dass du noch lebst. Ich meine", sie deutete an mir herunter, "sieh dich doch mal an. Eine kleine schwache Nichtbändigerin, die nichts anderes kann als Toiletten putzen und Bisons füttern-". Ihr Blick fiel auf meine nicht vorhandenen Fesseln und sie verstummte kurz, wohlmöglich unter schwerem Schock. Hilfesuchend warf ich einen Blick zu Sayo hinüber. Aber diese musterte Zena mit skeptischen Blicken und schien zu sehr in Gedanken, als dass sie mich bemerken würde. Sayo, was ist, versuchte ich es mit Telepathie. Ich war nicht sonderlich geübt darin, aber es reichte für kurze, einfache Sätze.
"Es ist nur... ein Gedanke. Etwas stimmt hier nicht... Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Hast du Lust unserem 'Prinzesschen Avatar' einen kleinen Schreck einzujagen?"
Da fragte sie noch? Zena schien wieder zu sich gekommen zu sein. Nur leider hab ich ein bisschen was von ihrer Predigt verpasst -ein Jammer- Es ging ganz offensichtlich um die Frage, wie ich denn die Fesseln losgeworden bin.
"Ach, die Fesseln? Ja, die haben mich eben etwas gestört", antwortete ich, als wäre nichts dabei. Dann kam Sayos großer Auftritt sie hatte sich "in Luft aufgelöst" und kreiste nun bedrohlich um uns herum.
"Meister! Wer ist dieses freche Gör?!", begann sie telepathisch zu heulen. Das schien sehr überzeugend, zumindest auf Zena. Sayo hatte inzwischen angefangen sich neben mir mit gefletschten Zähnen zu materialisieren. Zena war kreidebleich und rührte sich nicht vom Fleck.
"Das Gör meinst du?", antwortete ich, "sie ist eine alte Bekannte von mir vom Lufttempel. Sie meint, dass sie mich wieder dem Tempel ausliefern will".
Sayos Miene verfinsterte sich. Nie hätte ich erwartet, dass Sayos Schauspielkünste so furchterregend sein konnten.
"Soll ich sie für dich aus dem Weg räumen? Ein kleiner Biss in den Nacken dürfte reichen..."
Das gab Zena den Rest.
"I-ich bin der A-avatar! Komm mir nicht zu nahe!"
Ihr Versuch stark zu wirken scheiterte kläglich. Ich musste mich zusammennehmen um nicht laut loszulachen. Auf so eine Chance hatte ich mein Leben lang gewartet.
"Der 'Avatar', huh? Scheinst gerade mal die Luft bändigen zu können, Kleine! Was willst du mit Luft gegen einen Luftgeist anrichten. In meiner wahren Form könnte ich dich wegpusten wie Nichts!", knurrte Sayo.
"W-wahre Form?!?"
Zena war jetzt noch bleicher, falls das überhaupt möglich war.
"Sayo!"
"Ja, Meister!"
"Nicht deine wahre Form. Du würdest alle Häuser hier zerstören."
"Aber Meister-"
"Kein aber. Deine jetzige Form reicht hierfür völlig."
Ich deutete zu Zena hinüber.

Avatar - The Traitor's Child -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt