Die Sklaven

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"Ich glaube ich weiß, was ihr hier wollt. Nur gebe ich euch das nicht!"
Kaum hatte der Sklaventreiber das gesagt, kam auch schon ein großer Felsbrocken auf mich zu geschossen, dem ich aber ohne Probleme ausweichen konnte. Der Sklaventreiber war also ein Erdbändiger. Flink konterte ich mit einem Luftstoß in seine Richtung, der ihn unerwartet traf und in auf die Minenwand zuschleuderte. Er fing sich aber davor noch, indem er seine Füße in der Erde fixierte. Jun hatte sich währenddessen von hinten an ihn angenähert und stieß mit dem Fuß einen Feuerschwall auf seinen Gegner zu. In letzter Sekunde erhob sich eine Steinwand aus dem Boden und schützte den Sklaventreiber vor den Flammen. Auf den Gegner zuspringend, wollte ich gerade zu meinem nächsten Zug übergehen, als Chyou mir zuvorkam. Mit Schwung trat sie dem Sklaventreiber in die Magengrube, sodass dieser keuchend gegen die eigene Steinwand gedrückt wurde, und hielt ihm das Schwert an die Kehle.
"Ich übernehme", meinte sie übertrieben freundlich, "wir beide haben ja noch eine Rechnung offen."
Der Erdbändiger starrte sie verbissen an und rief ein gepresstes "Ergreift sie!" zwischen seinen Zähnen hindurch.
Die Sklaven tauschten unsichere Blicke aus, doch keiner von ihnen machte Anstalten, auf seinen Befehl zu hören.
"Sieht ganz so aus als wärst du allein", bemerkte Chyou und lächelte schadenfroh.
Ruolan trat zu ihrer Schwester hervor.
"Ich glaube du hast mir später so einiges zu erklären", stellte sie Chyou zur Rede, während sie ihre Arme verschränkt.
"Gern geschehen", antwortete Chyou schnippisch, "So viel Dankbarkeit hätte ich nicht erwartet. Aber jetzt müssen wir alle hier erstmal abhauen."
"Hast du nicht etwas vergessen", merkte Ruolan an und streckte ihre gefesselten Arme nach vorne.
"Er hat die Schlüssel", schrie einer der Sklaven und zeigte auf den am Boden liegenden Sklaventreiber, "Sie hängen an seinem Gürtel!"
Jun trat auf den Mann zu und schnappte sich den Beutel, der von dessen Gürtel hing. Der Sklaventreiber wollte sich wehren, wurde aber wieder von Chyou an die Klinge an seinem Hals erinnert.
Jun zog einen Schlüsselbund aus dem Beutel hervor, den die Sklaven um uns herum hoffnungsvoll beäugten.
"Der Schlüssel passt nicht für alle Fesseln. Die Gefangenen des Imperiums haben andere Schlösser", gab ein anderer Sklave unsicher von sich, "Es scheint ein komplett anderer Mechanismus zu sein."
Jun hob neugierig eine Augenbraue.
"Dürfte ich die Fesseln mal sehen?", fragte er und der Sklave nickte.
Jun beugte sich nach vorne, um das Schloss genauer zu betrachten. Verdutzt hielt er inne.
"Mika, schau dir das mal an", rief er mir zu und ich gesellte mich zu ihm.
"Siehst du das? Das sind Feuerfesseln. Ähnlich geschmiedet wie deine", sagte er zögernd, während er mit den Fingern über das Schloss strich.
Mit einem schnellen Fingerflicken und einem kaum merkbaren Lichtblitz ließ er die Fesseln aufklacken. Sprachlos kniete ich mich hin, um den Metallriemen genauer unter die Lupe zu nehmen. Es war ein schwerer Ring, an dem eine lange Kette befestigt war, die die Schellen verband. Im Gegensatz zu meinen früheren Fesseln wiesen diese hier keine Stifte an der Innenseite auf, doch etwas hatten sie gemeinsam. Wenn ich nicht gewusst hätte, wonach ich suchte, hätte ich es womöglich übersehen. Ungläubig starrte ich auf Gatous Siegel, das dort eingraviert war.
Was hatte das zu bedeuten? Belieferte Gatou etwa auch das Imperium? Ich konnte mir das durchaus vorstellen, doch war mir, als würde ich etwas wichtiges übersehen.
"Was denkst du?", fragte Jun, der inzwischen schon weitere Sklaven von ihren Fesseln befreit hatte.
"Gatou. Er scheint gemeinsame Sache mit den Imperialen zu machen", erklärte ich.
"Du meinst der Typ, der deine Fesseln gemacht hat und euch an die Untergrundszene verpfiffen hat? Das verwundert mich nicht."
Ich nickte nachdenklich und nahm Jun den Schlüsselbund ab, damit er sich auf die Spezialschlösser konzentrieren konnte.

"Wie geht euer Plan weiter? Wie kommen wir hier wieder heraus?", fragte einer der Sklaven, "Wir können hier nicht einfach so herausspazieren. Es gibt überall Wachen!"
Eine Stille durchdrang Höhle, die sogleich durch beunruhigtes Gemurmel verdrängt wurde. Die Sklaven waren unsicher, denn die Hoffnung, die sie gerade noch hatten, schien wieder verloren.
"Wir bekommen euch schon hier heraus. Wir dürfen nur keinen bekannten Ausgang verwenden", bekräftigte Jun und sah sich um, "Ist einer von euch zufällig Erdbändiger?"
Wieder lag eine bedrückende Stille über der Mine, bis sich schließlich einer der Sklaven zu Wort meldete: "Wir sind alle keine Bändiger. Darauf haben die Feiglinge schön geachtet, als sie uns hierhergebracht haben. Sie hatten zu viel Angst, dass wir uns gegen sie richten würden. Ohne Bändigen sind wir ihnen hier wesentlich lieber."
Jun senkte betrübt den Blick. Ich konnte ahnen, was er vorhatte, nur ohne Erdbändiger war es aussichtslos. Könnte ich doch nur gut genug Erdbändigen, aber ich konnte noch nicht einmal einen Stein heben. War es dennoch einen Versuch wert? Eine Hoffnung war besser als nichts.
Entschlossen ging ich an Jun vorbei auf die Felswand zu und nahm die Erdbändigerhaltung ein, die ich so lange geübt hatte.
Einen Tunnel zu graben war sicher anders als einen Stein zu heben, also konnte ich nur schätzen, was zu tun war.
Ich konzentrierte mich auf die Wand vor mir und streckte beide Hände danach aus. Dann, als ich glaubte sie zu fühlen, spannte ich mich an und schob die Handflächen nach hinten auseinander. Nichts passierte.
Frustriert trat ich mit meinem Fuß gegen die Minenwand, was ein paar Erdkrümel herunterbröckeln ließ, als würden sie mich verspotten.
Die Sklaven hinter mir begannen zu tuscheln, was mich peinlich berührt zurücktreten ließ.
"Mika?", fragte Chyou zögerlich.
"Ja?"
"Ich will dich ja nicht unterbrechen, aber wir haben hier doch einen Erdbändiger", merkte sie an und deutete mit dem Kinn auf die Geisel, die immer noch unter ihrem Schwert kniete.
Ich wusste nicht mehr ob ich jetzt vor Erleichterung lachen oder weinen sollte.
"Und daran hast du uns nicht früher erinnert?", schüttelte Jun belustigt den Kopf.
"Als würde ich euch helfen wollen!", erwiderte der Sklavenhändler höhnisch, seinen Blick abwendend.
"Ich denke nicht, dass du eine bessere Wahl hast", lachte Chyou und näherte ihre Klinge weiter seiner Kehle.
Der Mann klickte verärgert mit der Zunge, sagte aber nichts.
"Wie schön, ich denke wir sind uns einig!", erwiderte Chyou spöttisch und drängte ihn dazu aufzustehen, "Und komm bloß nicht auf dumme Gedanken, wir sind eindeutig in der Überzahl."
"Du wirst uns einen Tunnel in die Freiheit graben. Keine Umwege, keine Kreuzungen mit existierenden Gängen. Verstanden?", hakte Jun nach.
Der Erdbändiger nickte widerwillig und ging in Richtung der Minenwand.
Mit einer strikten Bewegung bändigte er ein großes Loch in den Fels.
"Lass die Minengänge hinter uns allen einstürzen. Es soll wie ein Unfall aussehen und niemand soll uns folgen können", wies ich den Sklavenhändler an. Hoffentlich würde das die Aufmerksamkeit von den fehlenden Sklaven ablenken.

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