Die Zwillingsklinge

327 33 14
                                    

"Erkläre dich!", stellte ich mein festgefrorenes Gegenüber zur Rede, während ich das Schwert rasch vom Boden aufhob. Es war erstaunlich leicht in meinen Händen, jedoch wirkte die Klinge so hauchdünn, als könnte sie mich schneiden, wenn ich sie nur ansah.
Das Mädchen zappelte etwas herum, in dem vergeblichen Versuch sich zu befreien.
"Lass mich los", fauchte sie, "und auch das Schwert!"
"Das ist keine Erklärung", seufzte ich resigniert und wanderte hinüber zu Fohrs Bett, um sie wachzurüttelnd, doch die drehte sich nur wieder auf die Seite und grummelte im Schlaf vor sich hin.
"Das bringt nichts", meldete sich das Mädchen von der anderen Seite des Zimmers, "Ich habe eurem Essen eine ordentliche Dosis Schlafkräuter verpasst. Sie hat heute wahrscheinlich den erholsamsten Schlaf ihres Lebens. Warum bei dir die Schlafmittel nicht gewirkt haben, ist die eigentliche Frage!"
Ich ging wieder zurück zu dem Mädchen und setzte mich ihr gegenüber auf den Boden, das Schwert immer noch in meiner Hand.

"Ich denke das könnte daran liegen, dass ich gestern kaum einen Bissen herunterbekommen habe", erklärte ich, "das Glück scheint wohl nicht auf deiner Seite zu sein. Aber jetzt will ich erst einmal deine Geschichte hören."
Das Mädchen seufzte und pustete dabei ihre verwuschelten schwarzen Haare aus ihrem Gesicht.
"Hätte ich gewusst, dass der Avatar im Spiel ist, hätte ich nach einem anderen Weg gesucht. Aber natürlich werden solche Informationen wieder einmal außen vor gelassen", beklagte sie sich.
Ich sah sie erwartungsvoll an, als sie an dieser Stelle aufhörte zu erzählen.
"Na schön, du willst wirklich alles hören, was?", schmollte das Mädchen. "Vor knapp einem Monat hat das Imperium meine Schwester gefangen und versklavt. Ich selbst konnte ihnen nur knapp entwischen. Doch ich konnte meine Schwester nicht einfach so in den Händen der Sklaventreiber lassen, also hab ich mich auf einen Handel eingelassen. Ein kleines Tauschgeschäft. Meine Schwester gegen ein anderes Kopfgeld." Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu.

"Der Haken an der ganzen Sache war jedoch, dass das Kopfgeld höher sein musste als das von mir und meiner Schwester zusammen. Ich habe durch sämtliche Kopfgeldberichte geblättert und du warst die einzige, die das ganze Kopfgeld für uns beide als Einzelperson aufgebracht hätte. Zunächst wollte ich, dass ich vielleicht mehrere Gesuchte aus der Umgebung auftreibe, um die Summe unserer Köpfe zu erzielen. Doch unerwarteterweise kommst du mit deinen Freunden direkt zu mir in die Stadt spaziert. Zunächst dachte ich, es müsse eine Verwechslung vorliegen, doch die Hinweise haben alle gepasst. Es hat wohl doch seinen Vorteil sich als Kopfgeldjäger in einer Stadt niederzulassen, die quasi als geheimer Gebirgspass zum Untertauchen für allerlei kriminelles Pack bekannt ist. Also hab ich mir dich als Ziel ausgesucht."
"Was uns jetzt zu genau dieser Situation bringt", ergänzte ich ihre Geschichte.

Das Mädchen sagte nichts, ihr Blick fiel beschämt zu Boden. Ich musterte sie für eine Weile nachdenklich, dann entschied ich: "Die Entscheidung, was mit dir geschehn soll, werde ich wohl auf morgen vertagen, denn dank dir sind meine Freunde momentan ausgeknockt."
Ich stand auf und wickelte meine Bandagen von meinen Armen und meinem Hals, worauf mein Gegenüber beim Anblick meiner Narben überrascht zusammenzuckte.
"Komm nicht auf dumme Gedanken", warnte ich sie grimmig.
Mit einer sanften Handbewegung ließ ich das Eis schmelzen, griff flink nach den Armen des Mädchens und drückte sie mit dem Gesicht voraus zu Boden. Sorgfältig wickelte ich die Bandagen um die Hand und Fußgelenke.
"Wenn du nicht zu Schreien anfängst, brauchen wir die Bandage hier nicht", fügte ich hinzu und das Mädchen nickte einsichtig. Ich hievte sie in eines der leer stehenden Betten und nahm das Schwert mit in mein Bett. Ich würde es diese Nacht nicht aus der Hand lassen.

...

"Mika! Kannst du das bitte erklären, Mika!"
Verschlafen versuchte ich meine verklebten Augen zu öffnen, ein Hinweis darauf, dass ich wieder einmal nicht genug Schlaf bekommen hatte.
"Fohr, was ist denn?", fragte ich schlaftrunken, bevor die Erinnerungen von letzter Nacht nach und nach zurückkamen.
"Was los ist? Der ganze Raum ist verwüstet, da hängt Eis von der Wand und da drüben schläft ein gefesseltes Mädchen!", ereiferte sich Fohr.
Sie hatte recht, gestern in der Dunkelheit hatte ich nicht bemerkt, was für eine Verheerung wir hier angerichtet hatten. Der Raum war eine einzige Katastrophe. Es wäre schneller gegangen aufzuzählen, was noch an seinem Platz war, als was irgendwo auf dem Boden lag. Wenigstens die Möbel schienen größtenteils unbeschädigt, auch wenn sie teilweise leichte Kampfspuren aufwiesen.
"So jetzt interessiert dich auf einmal was passiert ist, gestern war dir das nicht mal wert aufzuwachen", scherzte ich. "Lass uns die anderen holen, dann erkläre ich alles."

Avatar - The Traitor's Child -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt