Das Schiff

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"Was zum-!", ich stieß einen erschrockenen Schrei aus, als wir hoch zur Küche kletterten. Der ganze Raum schien völlig auseinandergenommen, als hätte man hier eine Horde Limuren wüten lassen. Alle Schubladen und Schranktüren waren aufgerissen und der Inhalt fand sich am Boden wieder, sodass man höllisch aufpassen musste, wo man hintrat. Pakka und Tatsu waren bereits dabei alles wieder aufzulesen und zurück zu ihrem Ursprungsort zu legen. Ein Glück, dass wenigstens die Suppe noch an Ort und Stelle war.
Schnell halfen wir beim Aufräumen, wobei ich mich fragte, wie man es schaffen konnte, in einem Haushalt, der sowieso so wenig besaß dermaßen Chaos zu stiften.
"Warum waren die Imperialen hier?", fragte ich vorsichtig.
"Wir sind ein großes Fischerdorf und bekannt dafür. Davon hat der Kaiser Wind bekommen und jetzt bekommen wir jeden Abend Besuch von patrouillierenden Imperialen, die Abgaben vom Fisch fordern. Von allen Bürgern hier, bei denen sich viel Fisch im Haus finden lässt, den sie ja dem Imperium vielleicht enthalten wollten. Schwachsinn, wenn ihr mich fragt. Die nehmen den Leuten hier nur ihre Nahrung und ihren Lebensunterhalt weg!", meinte Tatsu verbittert, während er eine zerbrochene Schale vom Boden aufhob.
"Die kommen jeden Abend?", fragte ich geschockt. Das mussten die Bewohner sich hier jeden Tag antun? Wie viel zusätzliche Arbeit das für die Beiden bedeutete und noch dazu die Rücksichtslosigkeit der Imperialen gegenüber den Menschen hier.
"Wir haben uns mittlerweile schon daran gewöhnt, aber ärgerlich ist es trotzdem. Am besten man kauft nicht viel Fisch, so kommt man recht gut um die Runden. Den Imperialen widersprechen sollte man auch nicht, da sind die sehr empfindlich. Auf jeden Fall hattet ihr Glück, dass die euch nicht geschnappt haben. Immerhin sucht das Imperium schon überall!"
Das ließ mich aufhorchen. Geschockt wandte ich mich zu Tatsu: "Sie suchen was?". Überrascht blickte er zu mir herüber.
"Sagt bloß, ihr wisst nichts davon?"
Langsam schüttelten Yong und ich den Kopf.
"Sie suchen dich, Mika. Du hast ein enormes Kopfgeld auf dir sitzen."
Yong und ich tauschten verwirrte Blicke aus.
"Aber ich dachte sie suchen Avatar Zena", wandte Yong ein.
"Ach ja, die suchen sie ebenfalls. Aber nach der mysteriösen Luftbändigerin namens Mika, die einen ganzen Haufen Gefangener, inklusive Avatar, befreit hat, suchen sie eben auch. Sie haben zwar kein Bild, aber-. Das bist du, nicht wahr?"
Was? Sie suchten mich auch als Mika? Anscheinend hat sich die Geschichte wohl etwas zu gut und schnell verbreitet. Aber sie scheinen mich für eine andere zu halten, als für die, die sich als Avatar Zena ausgegeben hat. 
Tatsu kramte in einer Schublade herum und zog zwei Zettel heraus. Zwei "Gesucht"-Zettel vom Imperium. Auf dem einen war ein großer Schriftzug zu erkennen: "Gesucht: Avatar Zena vom östlichen Lufttempel". Darunter war eine große Zeichnung zu sehen, die garantiert nicht Zena darstellte zusammen mit einer beachtlichen Summe von 150 Goldmünzen Kopfgeld.
Ich musterte die Zeichnung genauer. Warte! Sollte das etwa ich sein? Das war ja echt schwer zuzuordnen.
"Mann! Die haben dich ja genial gut getroffen!", lachte Yong über meine Schulter hinweg auf die Zettel starrend.
"Sicher.Ich schau immer so grimmig erwiderte ich schmunzelnd.
Der zweite Zettel hatte kein Bild, aber er forderte alle Leute auf, eine Luftbändigerin namens Mika dem Imperium auszuhändigen.
"200 Goldmünzen?!", staunte Yong, "Auf dich ist mehr Geld gesetzt als auf Zena. Du must das Imperium ja ganz schön verärgert haben. Aber nicht, dass du bei der Summe nochmal auf die Idee kommst dich festnehmen zu lassen und dann wieder auszubrechen. Wär sicher nicht nochmal so einfach."
Ich lachte kurz auf. So schnell würd ich das nicht mehr wieder versuchen. Ich musterte die beiden Zettel noch mal gründlicher. War ich jetzt quasi doppelt gesucht, weil die Imperialen noch nicht dahintergekommen sind, dass ich sowohl die Person war, die sie für Zena hielten, und die, die den Ausbruch eingeleitet hat? Das war echt ätzend. Für das Geld würde sicher neben dem Imperium noch jeder Kopfgeldjäger hinter mir her sein...
"Woher hast du die Steckbriefe? Wie viele davon gibt es?", fragte Yong Tatsu mit unruhiger Miene.
"Wie viele es gibt, weiß ich nicht, aber die Imperialen haben die vor kurzem auf einem ihrer Streifzüge ausgeteilt. Die haben ein riesiges 'Sortiment' an Gesuchten, wie Nien aus dem Sumpf oder auch die Zwillingsklingen. Im Dorf hab ich auch schon einige von den Zetteln hängen sehen. Als du gesagt hast, dass du Mika heißt, da wusste ich, dass-", er schluckte, "Die Wahrheit ist, am Anfang habe ich vielleicht daran gedacht euch auszuhändigen! Für Mama! Für das Geld hätte uns sicher jemand helfen können! ... Aber ihr wart so nett zu uns, dass-". Er verbeugte sich ruckartig, kniff die Augen fest zusammen und fuhr mit fester Stimme fort: "Es tut mir wahnsinnig Leid, dass ich nur daran gedacht habe! Ihr habt uns wirklich geholfen und ich habe-".
Es herrschte ein langes, betretenes Schweigen, keiner wagte es etwas zu sagen. Dann, ganz langsam, ging ich auf Tatsu zu, der immer noch in seiner Verbeugung ausharrte. Ich ging vor ihm in die Hocke und legte meine Hand auf seine Schulter, was ihn kurz aufzucken ließ.
"Du musst dich nicht entschuldigen. Komm, hör auf dich zu verbeugen. Glaub mir, ich bin sicher, ich hätte in eurer Situation auch darüber nachgedacht. Deine Mutter ist dir sehr wichtig, dagegen ist eine dahergelaufene Luftbändigerin, die du nicht mal kennst. Verstehst du? Es ist nicht entscheidend, was du gerade denkst oder mal gedacht hast, sondern wichtig ist der Weg, den du letztendlich wählst. Also wieso sollten wir dir Vorwürfe machen?"
Lächelnd sah ich ihm in die Augen und er starrte überrascht, mit offenem Mund zurück.
"A-aber", stotterte er überrumpelt und senkte seinen Blick. Sorgenfalten zeichneten sich auf seiner Stirn ab.
"Wenn ich doch wenigstens irgendwie-"
Ķaum hatte Tatsu das gesagt, sprang Pakka auf und rannte in das Schlafzimmer ihrer Mutter. Von drinnen war ein kurzes Rumpeln und ein Rascheln zu hören, dann kam Pakka wieder aus dem Zimmer gehuscht und hielt etwas in der Hand, eine Art blaues Stück Stoff. Sie kam vor mir zum stehen und hielt es mir auffordernd mit strahlendem Lächeln hin.
Vorsichtig nahm ich es entgegen und merkte nun erst, was es war.
"Wasserstammkleider", flüsterte ich verwundert, als ich mit meinen Fingern über das weiche, warme Material fuhr. An der Kapuze war weißes Fell befestigt und das Gewand war sanft gefüttert. Tatsu schnaubte belustigt auf, als würde er etwas begreifen.
"Das sind die Kleider unserer Mutter, als sie noch jung war. Ich glaube Pakka will, dass du sie bekommst", meinte er zustimmend nickend.
"Aber ist das wirklich in Ordnung?", fragte ich unsicher, immerhin gehörte es ja ihrer Mutter.
"Es ist das Mindeste. Ein 'Mädchen vom Wasserstamm' ist sicher nicht so auffällig, wie, naja, die Luftnomadin, nach der sie suchen. Außerdem, ist dir denn nicht kalt?", Tatsu deutete mit skeptischem Blick an meiner sommerlichen Luftbändigerkluft hinunter. Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, schloss ihn aber gleich wieder.
"Komm schon! Probier es an!", forderte Yong mich auf, als er merkte, dass ich zögerte. Schließlich nickte ich langsam und verschwand mit dem Gewand im Nebenraum.

Avatar - The Traitor's Child -Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt