Kapitel 2

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Nach einem gewaltigen Fußmarsch, bei dem er immer wieder vor Schreck zusammenzuckte, wenn uns die Modepolizei näher kam, trafen wir endlich bei der Tardis ein.

Ungläubig starrte er die pinke Police-Box an.

„Da wohnen sie? Etwas klein oder nicht?" Er taxierte mich ab." Da passen wir auf jeden Fall nicht zu zweit rein!"

Spontan entfuhr mir einer meiner Lieblingssprüche: „Von innen größer als von außen." Ich schloss auf und zog ihn hinter mir her. Just als er durch die Tür getreten war und die inneren Ausmaße der Tardis wahrnahm, schritt er rückwärts wieder durch die Tür hinaus, wie so viele vor ihm. Ich wartete, bis sein Verstand diese Tatsache akzeptiert hatte. Derweil brühte ich einen Tee auf, einen leckeren Earl Grey in den ich einen Schuss Sahne gab.

„Und?", fragte ich ihn.

„Von außen kleiner."

„Hmm, das ist interessant." Spontan erinnerte ich mich an Staffel 7, die Weihnachtsfolge mit den gefräßigen Schneemännern, in der Clara dieselbe Feststellung äußert. Sollte er meine Clara werden? „Bitte die Tür schließen. Wir wollen doch nicht, dass die Modepolizei auf uns aufmerksam wird."

Brav tat er, wie ihm geheißen.

„Setz dich. Es ist doch hoffentlich okay, wenn ich dich duze." Ich deutete auf einen meiner hübschen 70er Jahre Cocktailsessel. „Tee?"

Er nickte und nahm gleich einen großen Schluck.

„So. Du bist also der Ur-ur-ur...Enkel von dem schwedischen Männer-Modell? Das gute Aussehen hat sich ja wohl weitervererbt." Ich nahm einen Schluck Tee, während er sich mit der Hand durch seine etwas längeren dunkelbraunen, vollen Haare fuhr.

„Erzähl mir doch mal was von der Welt da draußen. Was geht in Berlin? Hol ruhig etwas aus. Ich war schon länger nicht mehr hier. Vielleicht eine Kurzversion der letzten 300 Jahre?"

Wieder einmal zeichnete sich Verwirrung auf seinem Gesicht ab. Er versuchte sie zu überspielen.

„Nun ja, die Menschen sind immer noch Menschen. Wollen Macht und Geld, während andere darunter leiden. Allerdings hat sich in den letzten Jahren technisch und modisch sehr viel getan. Etwas anderes zählt für die Berliner eigentlich nicht mehr. Wie wohl überall auf der Welt. Alle wollen sie ewig jung und schön sein. Wem es von der Natur nicht gegeben ist- und das ist es den meisten nicht –, lässt sich bis zur Unkenntlichkeit operieren." Spontan flammte wieder eine Erinnerung an meine Lieblings-TV-Serie auf. Diesmal Lady Cassandra mit ihrem Befehl: "Befeuchte mich." Ich schmunzelte. Irgendwie schien die Geschichte in jeder Dimension eine ähnliche Wendung zu nehmen. Er trank einen Schluck Tee, wobei er den kleinen Finger mächtig abspreizte. Das hob doch glatt meine Augenbrauen in die Höhe.

 „Nach den verschiedensten abstrusen Diäten, bekam der Magerwahn so richtig Aufschwung durch die neuen technischen Möglichkeiten. Fettabsaugen war gestern. Vor dem Walzen war das chemische Schleifen sehr in. Es hatte aber zu viele Nebenwirkungen, deswegen wurde es recht bald verboten. Letztes Jahr ist Larvenfeld „von den Toten auferstanden". Ich weiß nicht, wie sie es gemacht haben. Da muss irgendein Trick dabei sein. Nach seiner Regenerationsphase hat er gleich seine Idee vom Walzen umgesetzt. Seitdem machen sie es alle. Dann ist da noch diese Schönfärberei. Alle wollen so besonders sein. Berlin ist die erste Stadt, in der alle zwangsgefärbt wurden. Da das Walzen ein extremer Eingriff ist, hat man vorerst von einer Zwangswalzung abgesehen. Aber auch da gibt es gesetzliche Hintertürchen. Beidem konnte ich mich bislang erfolgreich entziehen. Der Bürgermeister möchte keine Übergewichtigen oder Dicken in der Stadt. Mal abgesehen von zahlungskräftigen Touristen mit dickem Portemonnaie. Volksgesundheit nennt er das, tz. London, New York und Tokyo wollen sehr bald nachziehen. Sie verhandeln aber noch mit Larvenfeld wegen der Walzungsmaschinen und ihren Einwohnern wegen der Farbe. Viele Einwohner leiden jetzt schon darunter. Wer aufmuckt wird ins Irrenhaus gesperrt. Jeder der dort landet kann und wird zwangsgewalzt und -gefärbt. Die Gesetzeslage wurde extra dahingehend geändert. Das Hintertürchen halt. Die meisten sind in die ländlicheren Regionen gezogen, als sich abzeichnete, was geschehen würde."

„Hmmm. Und warum bist du dagegen und hier geblieben?"

„Ich bin nicht allein dagegen. Wir haben gerade eine kleine Untergrund-Bewegung gegründet „FdulD" – Freie dicke und lebendige Denker". Rundungen an den richtigen Stellen sind einfach sehr ästhetisch. Außerdem finden wir, dass an dieser Sache definitiv was faul ist. Stellen sie sich vor: Rubens-Gemälde wurden zensiert! Und pink eingefärbt! So was geht gar nicht! Kunst, die so viele Jahrhunderte überdauert hat, wird einfach zerstört. So viele Fragen werden nicht beantwortet. Warum kommt Larvenfeld reloaded so schnell damit durch? Es gibt keine Langzeittest. Wie sind die Nebenwirkungen? Niemand weiß was. Larvenfeld und die anderen Walzungs-Unternehmen geben keine Antworten. Ihre Computernetze sind nicht zu hacken. In die Fabriken kommt man nicht rein. Was verbergen die?" Er donnerte meine Teetasse aus feinstem chinesischem Porzellan auf die Untertasse. Fauxpas!

„Gute Frage. Das möchte ich auch gerne wissen." Ich stand auf und wanderte ein wenig herum um meine Gedanken besser sortieren zu können.

„Was hältst du davon, wenn ich mich für eure Sache dienlich mache? Ich habe gute Möglichkeiten und in drei Tagen einen Termin für eine inoffizielle privat Führung bei Larvenfeld reloaded."

„Wirklich? Das versuchen wir schon seit Monaten!"

Ich ging nicht darauf ein. „Hmm. Du bist körperlich gut in Form. Kannst du schnell laufen, schwere Sachen heben und gut klettern?"

Er sah mich an, als hätte ich ihn sonstwas gefragt, nickte dann aber.

„Bestens. Das kann ich nämlich nicht."

„Wie sieht es aus mit intellektuellen Fähigkeiten? Hacken? Allgemeinwissen? Umgangsformen?"

„Ich bin nicht blond. Wird das jetzt ein Bewerbungsgespräch?"

„Vielleicht. Magst du Abenteuer? Magst du den Nervenkitzel kurz bevor man an die Schwelle des Todes tritt? Kniffelige Rätsel und Reisen?" Verträumt sah ich ins Nichts.

Man sah ihm förmlich an, wie sein Gehirn arbeitete. Das es das tat und er nicht nur hübsch und sportlich war, war mir nur recht.

„Wer oder was sind sie?" Er war aufgestanden und stand mir, mich um mindestens zwei Köpfe überragend, gegenüber und wirkte total aggressiv. Nicht, dass das mich das irgendwie beeindruckte. Öhm...

„Testosteron! Uhh! Du wirkst schon fast bedrohlich." Upps, ich hatte doch tatsächlich das Gefühl einem wutschnaubenden Stier gegenüber zu stehen und lenkte deshalb lieber ein. „Nun ja, ich bin die Doctoress. Das erwähnte ich bereits oder?", flötete ich, nicht ohne eine gewisse Wirkung zu erzielen. Er schnaubte minimal weniger.

„Ich möchte mehr wissen. Doctoress wer? Woher kommen sie?" Beinahe berührten sich unsere Nasenspitzen.

„Doctoress, einfach Doctoress. Ich bin eine Zeitreisende, eine Timelady. Mein Heimatplanet heißt Er...Gallifrey – nicht das du damit etwas anfangen könntest..." Wieder mehr Schnauben. Zur Beruhigung und zur Wahrung des Abstands, legte ich meine Hand auf sein Herz und wisperte: "Ich bin die letzte meiner Art." Mehr Schnauben. „Ich hasse pink?!" Letzterer Satz kam mehr als Frage aus meinem Mund. Versuchen konnte man es ja mal. Er wich einen Schritt zurück, drehte sich herum und fing an langsam auf und ab zu gehen.

„Also nur mal so zum Verständnis. Du bist eine zeitreisende Außerirdische mit einer pinken Police-Box und bietest der FdulD deine Hilfe an?" Ich nickte eifrig. "Und du hasst pink?" Wieder nickte ich eifrig, was ihn einen irritierten Blick auf das Interieur meiner Tardis werfen ließ. Selbiges fiel mir auf und ich versuchte mich zu rechtfertigen:"D-D-Das war ein Unf..." Er unterbrach mich: „Du hast eben ein Bewerbungsgespräch mit mir geführt?" Verlegen sah ich nach unten und malte mit der Fußspitze einen Kreis auf den Boden. Flüsternd: "Jupp."

„Wie war das?" Offensichtlich hatte er das akustisch nicht ganz wahrgenommen.

„Ja, verdammt." Ich klang schon fast gelangweilt. Wir sahen uns aus einiger Entfernung an. Er trat wieder näher an mich heran.

„Auch wenn ich vieles noch nicht so realisieren kann: Das ist so verrückt - ich muss dabei sein."

Er lächelte ein umwerfendes Lächeln und hielt mir seine Hand für ein High-Five hin. Männer. Aus denen soll man schlau werden. In jeder Spezies das Gleiche. Upps, wo kam das schon wieder her?!

„Noch Tee?", wechselte ich das Thema.

The Doctoress - Think Pink! (1) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt