νόστος

180 10 2
                                    

Wenn man etwas lange anschaut und dann die Augen schliesst, sieht man dasselbe vor dem inneren Auge noch mal, als unbewegtes Nachbild. Der Moment als Nico und ich uns innig angeschaut hatten, umgeben von einer Winterlandschaft, die man sonst immer nur in einem Kinderbuch sieht. Auch Monate später ist es plötzlich wieder da, ganz egal, was man gerade angesehen oder getan hat, bevor man die Augen schloss. Es taucht auf, wenn man die Augen kurz ausruhen will, weil man zu lange in der Arena trainiert hat. Wenn man im Esssaal sitzt und den Göttern ihre tägliche Opfergabe überreicht und der Geruch des verbrannten Fleisches Tränen bei einem erscheinen lässt. Wenn man die Augen schliesst und jemanden umarmt. Wenn man auf dem Waldboden liegt, auf einer Holzbank, in einem fremden Bett, im eigenen. Wenn man den ganzen Tag herumläuft und nur anhält, um sich den aufgegangenen rosa Schnürsenkel zuzubinden, und jetzt, mit dem Kopf nach unten wieder daran denken muss. Es taucht auf wenn man das Lachen von der Menschengruppe nebenan hört. Immer wieder taucht dieses innere Bild auf, dieses eine bestimmte, und oft dann, wenn man überhaupt nicht damit rechnet.

Ich war immer noch vergeblich am warten.

Manchmal merken wir erst wie glücklich wir sind, wenn der Augenblick vorbei ist. Aber hin und wieder, erkennen ich das Glück, wenn es sich tatsächlich ereignet. Doch ich wollte es nicht alleine erleben. Wir kannten uns gerade mal ein Jahr und wir waren offiziell nur Freunde. Die einzigartigen Momente zwischen uns und die kurzen Küsse vor atemberaubenden Landschaften oder in dunklen Ecken, wirkten immer mehr wie eine ferne Erinnerung.

Mein kalter Verstand war ratlos darüber, dass ich mich immer noch wie ein benutztes Taschentuch fühtle und nicht schon längst darüber hinweggekommen war. Doch die Romantikerin in mir wehrte sich dagegen, wollte noch etwas leiden, diese besondere Verbindung nicht aufgeben. Ich entschied mich für mein Herz und nicht meinen Kopf, selbst wenn es mir vielleicht emotional besser gegangen wäre. Aber ich wollte nicht, konnte nicht, ohne Nico wieder komplett glücklich sein. Nein, ich war schon zu tief in dieses Gefühlchaos reingerutscht, keiner konnte mich anders denken lassen. Die Liebe fühlte sich viel zu warm an und ich war bereit daran zu verbrennen.

Es klopfte an der Tür.

Ich blieb in meiner Position und hielt automatisch die Luft an. Hoffentlich würde die Person mich in Ruhe lassen. Jetzt einen Haufen von Strohpuppen mit meiner Sense in Einzelteile zu verarbeiten klang viel zu anstrengend. Als ich praktisch nach dem Unterrichtsende raus gerannt bin, hätte allen klar machen sollen dass ich meine Ruhe haben will und keine Lust auf das Training habe. Mein Zimmer strahlte eine Geborgenheit aus, der Ort der mir alleine gehörte und wo ich mich zurückziehen konnte. Dies schien aber nur mir bekannt zu sein.

Das Klopfen wurde wiederholt.

Ich legte mir ein zweites Kissen, diesmal ein viel grösseres, über den Kopf und presste damit fest meine Ohren zu. Meine Lungen schrien nach Luft und kämpften für die Lebensnotwendigkeit, aber ich hielt immer noch eisern meinen Atem an. Erst die rechte, dann die linke Schläfe, und schliesslich fing mein ganzer Kopf an zu pochen. Ich liess schlussendlich nach und gab meinem Körper seine grösste Begierde. Ein krampfhaftes Stöhnen verliess meine Lippen, was der Person draussen nur eine Bestätigung meiner Anwesenheit gab.

Anstatt noch mal zu klopfen, entschied sich dieser Unbekannte für etwas Raffinierteres. Er rüttelte an meiner Klinge, worauf diese unerträglichen Metallgeräusche entstanden. Ich warf die Kissen auf den Boden, rollte mich zur Seite und öffnete mein altmodisches Nachtschränken. Der kühle goldene Hebel fühlte sich befremdlich auf meiner Haut an. Ein kurzes Grinsen huschte über mein Gesicht als ich das Objekt meiner Begierde endlich gefunden hatte.

Ohrstöpsel. Extra lärmabwehrend. Perfekt.

Meine neuen besten Freunde. Immer für einen da und wenn man gut auf sie aufpasst verschwinden sie auch nicht plötzlich. Als sie endlich in meinen Ohren waren, fühlte sich die Welt sofort viel schöner an. Meine Decken fanden dann sofort ihren üblichen Platz auf meinem Gesicht, meine Augenlieder bewegten sich nach unten und ich fing an mich zu entspannen.

Plötzlich durchflutete mich eine Kälte und ich blickte erschrocken auf.

Wie es aussieht hat es der Eindringling rein geschafft.

Nico sagte irgendwas, doch ich ignorierte ihn und richtete meinen Blick an ihm vorbei. Dass änderte sich jedoch als ich meine Tür erblickte, oder besser gesagt was von ihr noch übrig war.

,, Du hast meine Tür aufgebrochen?! Spinnst du?!''

Meine Finger holten die Ohrstöpsel raus und warfen sie ihm an die Schulter. Er hatte alle Bakterien auf der Welt an seinem T-Shirt verdient. Wenn er gedacht hätte das ich ihm in die Arme rennen und ihn mit Küssen überhäufen würde, dann hat er sich sowas von geirrt. Selbst wenn ich ihn unglaublich vermisst habe und ich ihn am liebsten mit Fragen überschütten würde. Nico konnte nur entgeistert auf die zwei runden Plastikeile auf dem Boden starren, nur um mir in die Augen zu gucken und seinen Blick wieder nach unten zu richten.

,, Sind das....?''

,,Ohrstöpsel. Weisst du überhaupt was das ist oder soll ich dir das erklären, alter Mann?''

,, Ich weiss ich habe Mist gebaut aber bitte lass mich erklären. Du musst mir glauben, dass ich versucht hatte mit dir Kontakt aufzubauen. Schau hier, das ist der Beweis.''

Die schlichte volle Stofftüte in seiner Hand war mir überhaupt nicht aufgefallen. Dies schien aber jetzt komplett unmöglich zu sein, da Nico den ganzen Inhalt ausleerte und hunderte von Briefen sich über meinem Bett verteilten oder auf den Boden landeten. Sie waren alle handgeschrieben mit der grössten Sorgfalt. Dann erblickte ich etwas zwischen den Papieren. Eine Lilie mit einer Farbkombination, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich nahm sie sorgfältig in meine Hand und strich zart über eine der Blütenblätter.

,, Entschuldigung angenommen, aber du musst mir das alles hier erklären, okay?''

,, Setz dich lieber, es ist eine lange Geschichte, Lena. Es begann alles nachdem ich gefrühstückt hatte und dann plötzlich aus dem Nichts tauchte......''

Interessant

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Interessant.

Blütenträume•Nico di AngeloWo Geschichten leben. Entdecke jetzt