2. Chapter

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-Sieben Monate früher- 

Ich saß allein.

Niemand wollte sich neben mich setzten.

Die Mensatische waren überfüllt, aber meiner war fast leer.

Es störte mich nicht. Im Gegenteil, ich genoss die Einsamkeit. Ich war Einzelgänger. Und froh darüber. Lieber wäre ich allein, anstatt dass mir die Seele zerbrochen wird.

Ich sog den Geruch des Tees ein. Der Dampf wärmte mein Gesicht. Müde schloss ich die Augen. Mein Rücken schmerzte, wie immer.

Ich nahm einen Schluck von dem heißen Getränk verbrannte meinen Gaumen, ließ mir aber nichts anmerken.

Immer dieses nervige Ziehen im Rücken. Als würde meine Haut zerreißen.

Ich ignorierte es so gut es ging, aber es schmerzte einfach nur.

Ich stellte die Tasse ab. Im selben Moment ertönte eine verzerrte, weibliche Stimme aus dem Lautsprecher: "Achtung, eine Durchsage. Der Nachmittagsunterricht für die Klassen fünf bis elf fällt heute wegen einer Lehrerkonferenz aus. Ihr könnt jetzt nach Hause gehen."

Die Schüler jubelten und tuschelten aufgeregt mit ihren Freunden. Ich drehte mich angeekelt ab.

Wie konnte man so etwas toll finden? Schulfrei.

Jede Stunde, die ich nicht bei mir zu Hause verbringen musste war für mich eine Rettung.

Währe ich doch nur eine Klasse weiter.

Ich packte meinen Block und die schwarze Kohle in den dunkelgrauen Rucksack und stand auf. Ordentlich schob ich den Stuhl an den Tisch, räumte meine Tasse auf und verließ das Schulgebäude.

Die Straßen wurden mit jedem Schritt schlechter. Die Häuser höher, enger und baufällig.

Mit schnellen, schlurfenden Schritten ging ich an den heruntergekommenen Zäunen vorbei.

Mit den Händen in den Taschen der schwarzen Jeans, dem schwarzen Kaputzenshirt und den hochgezogenen Schultern könnte ich einem Schatten ähnlich sein.

Mein pechschwarzes, kurzes Haar fiel mir in die Augen. Ich ignorierte es.

Die Haut über den Schulterblättern zog verdammt und schmerzte.

Ich biss die Zähne zusammen und stapfte wütend weiter.

Die Häuser verschwammen und ich konzentrierte mich auf das eine kleine, nieder gekommene Haus, ganz in der Ecke. Es sah genau so schrecklich aus, wie die Anderen auch.

Im schlechtesten Viertel dieser Stadt zu wohnen war schon echt beschissen.

Ich nahm mich zusammen und wollte die Tür öffnen. Sie klemmte. Wütend drückte ich dagegen. Wieder öffnete sie sich nicht.

Ich atmete aus um mich von der aufkeimenden Wut zu beruhigen, nahm Anlauf und warf mich gegen die Tür. Sie sprang aus dem Schloss und ich trat ein.

Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen und damit das lästige Tageslicht ausgeschlossen hatte, war es plötzlich stockdunkel in dem Treppenaufgang.

Staub wirbelte über die Stufen, als ich die Treppe hoch stieg. Obwohl ich husten wollte, unterdrückte ich den Reiz.

Das Treppenhaus war nur von wenigen Lichtstrahlen erhellt und erschwerten mir die Sicht, doch ich kannte die knarrenden Stufen und hatte demnach keine Probleme mit dem Zurechtfinden.

Die letzte Stufe knarrte lauter als die Anderen, dass störte mich aber nicht.

Ich blieb vor der Tür stehen. Es war plötzlich totenstill in dem Treppenaufgang. Außer uns lebte niemand in diesem Haus. Keine Überraschung.

Ein Seufzen erklang aus meiner Kehle. Ich nahm den Haustürschlüssel aus meinem Rucksack und schloss die Bruchbude auf.

Ekelhafter Zigarettenrauch strömt mir entgegen. Ich habe nichts gegen Zigarettengeruch, hab selbst eine Zeit lang geraucht, aber wenn man nur noch diesen Qualm um sich hat und kaum noch atmen kann, dann finde ich das schon sehr abartig.

Ich knallte die Tür hinter mir ins Schloss und schlurfte auf das milchige Licht am Ende des spärlich beleuchteten Ganges zu.

Auf der Hälfte des Weges warf ich meinen Rucksack in mein Zimmer, dessen Tür offen stand.

Mom hatte mal wieder in meinen Sachen rumgeschnüffelt.

Wie ich das hasste!

Ich betrat mein Zimmer und verschloss die Tür hinter mir.

Das ziehen in meinem Rücken war mittlerweile unerträglich geworden.

Ich lehnte mich gegen die Tür und atmete erleichtert ein und aus.

Dann stieß ich mich von der Tür ab und ging in mein kleines Badezimmer.

Das war wohl übertrieben, es war ein verdreckter Spiegel, eine stinkende Dusche und ein Klo, dass nicht mehr zu gebrauchen war.

Ich zog mir schwerfällig das Kaputzenshirt über den Kopf. Meine makellose, porzelanweiße Haut schien unter meinen schwarzen Haaren und Augen noch heller, als sie eigentlich war.

Insgesamt sah ich makellos aus.

Wäre da nicht mein Buckel. Wenn ich zurückdenke, hatte ich schon immer einen Buckel. Wahrscheinlich war ich deshalb bei jedem so verhasst. Selbst bei mir.

Ich seufzte, beugte mich zu dem Waschbecken runter und drehte das Wasser auf.

Die gelbliche, verkalkte Flüssigkeit war eiskalt.

Ich spritzte mir das Wasser ins Gesicht.

SCHMERZ!

Ich verzog mein Gesicht zu einem stummen Schrei.

Biester - RavenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt