Stolpersteine

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Stolpersteine (Creek)

Er musste zugeben, dass ein großes Bett seine Vorteile hatte. Nur war die Leselampe seiner Mutter, seiner Meinung nach, viel zu schwach, um sich eine solche schimpfen zu können.
Aber er wollte sich nicht beschweren, da für die Dauer des Fortbildungskurses, welchen seine Eltern eben besuchten, das ganze Haus einzig und allein ihm zur Verfügung stand. Vom Dachboden, mit seinen verstaubten Kisten, bis hin zum Keller, mit seinen unheimlichen Ecken.
Keine Mutter, welche sich über die herumkugelnden Socken beschweren konnte, kein Vater, welcher sich aufregte, dass er wieder mal das Sofa in Besitz genommen hatte.
Wohlgemerkt: nur das Sofa, nicht den davorstehenden Fernseher. Er persönlich war nicht so der Fernsehtyp. Eigentlich drehte er die Kiste nur dann auf, um sich mit einem guten Klassiker und einem stark gebrauten Kaffee einen gemütlichen Abend zu gestalten.
Klassiker waren Ok, denn die Handlungen waren ihm meistens so gut bekannt, dass sie seine koffeingereitzten Nerven nicht unnötig überspannten.
Obwohl Neuheiten mit Craig anzuschauen, hatte auch seinen Reiz, aber das lag früher vor allem daran, den Vorwand unter zu viel Druck zu stehen vorzuschieben, wenn er wieder mal sein hageres Gesicht in die Schulterpartie des Schwarzhaarigen vergrub.
Damals hatte der andere diese Annäherungsversuche mit stoischer Gelassenheit erduldet, an guten Abenden sogar einen Arm um ihn gelegt, aber nie mehr. Meistens waren ihre körperlichen Kontakte zu dieser Zeit eher steif und überhaupt nicht gemütlich gewesen.
Von seiner Seite aus, so viel war ihm nach einiger Grübelei klar geworden, stammte diese Unsicherheit über die Unkenntnis, ob sein Freund diese Annäherungen nicht im Geheimen verabscheute. Er glaubte eher, dass es bei Craig an der Unfähigkeit, vernünftig mit der Situation umgehen zu können, gelegen hatte..
Gut, er konnte seinem Freund diese Zurückhaltung schwer verübeln, wenn er bedachte, wie homophob die Gesellschaft, welche sie umgab, trotz Aufrufe zu Toleranz, immer noch in ihrem inneren Kern war.
Es wurde immer noch als nicht normal betrachtet, wenn zwei Burschen sich am Schulhof umarmt hielten. Von Händchen halten oder Küssen, wie es heterosexuelle Pärchen taten, gar nicht zu reden.
Er nahm nur von weitem wahr, wie die Zimmertüre aufging und er Gesellschaft bekam. Nur für einen Augenblick glaubte er, den Blick der blauen Augen zu spüren, doch er sah weiterhin nicht auf. Das Rascheln der Kleidung signalisierte ihm deutlich genug, dass sich der andere auszog, schließlich war ihm das Geräusch in den letzten Monaten nur allzu bekannt geworden.

Monate...

Ein leichtes Seufzen entwich seinen Lippen und wieder spürte er die blauen Augen für einen Moment auf sich ruhen. Doch wie ein Wimpernschlag verstrich dieser und er kehrte zurück zu seinen Gedanken.
Wie die Zeit verging.


Noch in den letzten Tagen, an welchen der vergangene Winter South Park fest im Griff hatte, waren sie wie immer ihre Strecke im Schein der Laternen gegangen.
Sie hatten schließlich den gleichen Weg von Clydes Heim zu dem ihrigen genommen, auch wenn er ein wenig weiter gehen musste als Craig. Doch dieser hatte sich nicht, wie es am Anfang ihrer lockeren Freundschaft war, vor seiner eigenen Haustüre verabschiedet sondern hatte darauf bestanden, ihn bis zum Geschäft seiner Eltern zu begleiten. Er konnte noch immer nachfühlen wie ihm einst das Blut in die Ohren geschossen war und er in seiner aufsteigenden Panik, nur noch zusammenhanglose Sätze vor sich hin gebrabbelt hatte, um die Zeit so schnell wie möglich zu verkürzen.
Die Angst hatte ihn einst ungnädig gefangen genommen. Es gehörte nicht zu ihrem üblichen Trott, dass ihn Craig bis vor die Türe brachte, und somit wurde diese Situation von seinem Gehirn als gefährlich eingestuft.
Ob er ihn damals schon liebte?
Ja, davon war er heute überzeugt, auch wenn er überzeugt war, dass man als Siebzehnjähriger bei weitem noch nicht ganz verstanden hatte, was Liebe außerhalb der Familie bedeutete.
Ob er ihn schon damals körperlich begehrte?
Wenn er ehrlich war, war er sich dessen nicht sicher.
Gut, er hatte in der vergangenen Zeit immer mehr die körperliche Nähe des anderen gesucht, aber er war nicht einer gewesen, welcher sich in diesem Alter beinahe täglich einen runterholte und dabei seinen Schwarm vor Augen hatte.
Er war einfach nur glücklich gewesen, wenn ihn der andere nicht von sich weg geschubst hatte.
Punkt, Komma, aus...

Trotzdem hatte sein Herz zu hüpfen begonnen, als ihn Craig nach ihrem üblichen, recht trockenen Abschied, noch einmal am Ärmel zurückgehalten hatte.
Die ganzen Minuten danach hatte sein Herz Polka in seinem Brustkorb getanzt, während Craig in ungeschickten Worten, verstrickt in einen Monolog, versuchte ihm klar zu machen, dass er auf ihn stand.
Weder hatte der Mond romantisch die Szenerie erhellt, noch waren die Sätze des Schwarzhaarigen in irgendeiner Weise einfühlsam gewesen. Nein, sie waren durch und durch wirr gewesen.
So ganz und gar nicht Craigs emotionslose Art.
Unter dem Gekläffe der Misttölle der alten Dame, ein Haus neben ihnen, welche sich immer wieder gerne auf Furchtbarste über seine, Zitat: „verwahrloste" Erscheinung bis zum Herzinfarkt aufregte, hatte Craig immer hektischer ein Geständnis runtergebrabbelt, das sich mehr nach einer Entschuldigung voller Verzweiflung, als nach einer richtigen Liebeserklärung anhörte.
Doch wofür er den anderen bis heute eher schlagen wollte, war die Tatsache, dass er ihn in Tür und Angel mit dieser neuen Wahrheit über die geheime Natur ihrer zwischenmenschlichen Beziehung alleine ließ und sich schneller, als er sich versah, aus dem Staub machte.
Da stand er nun völlig verwirrt, unter einen zu hohen Druck stehen, halb taub durch das Gebelle dieses Köters, welcher nun die ganze Nachbarschaft an die Fenster holte, und wusste auch nach dieser Einlage nicht, ob nun der andere mit ihm eine Beziehung eingehen wollte, die über die normale Freundschaft hinaus ging, oder ihm einfach nur signalisieren wollte, dass er sich ihn einfach nur fürs Bett wollte. Während er noch immer völlig hibbelig, einen frischen Kaffee aufbrühte und sich die Worte, welche auf seiner Türmatte gefallen waren, immer wieder in Endlosschleife im Geiste vorspielte, begann sein Handy unheilverkündend zu vibrieren.
Kaum hatte er eine beruhigende Tasse Kaffee für seine Nerven in den Händen gehalten, hatte er es gewagt, sich seinem mobilen Telefon zu nähern.
Mit noch immer leicht zitternden Fingern hatte er auf „Lesen" der angekommenen SMS geklickt und überflog mit einem kurzen Blick die Nachricht. Sein Bauch verkrampfte sich unter der Anspannung, welcher sich seit dem verwirrenden Gebrabbel Seitens Craigs, offenbar fest in seinem Magen eingenistet hatte.
Der Inhalt war, um es kurz zu fassen, nur eine kürzere Form des mündlichen Monologs von vorhin gewesen und behielt auch noch eine Entschuldigung für die Verunsicherung, welche er offenbar bei ihm ausgelöst hatte.
Also alles in allem, hatte der Text für ihn nichts Neues enthalten, wenn man von den letzten drei Wörtern absah.
Er selbst hatte sie bis hierher nur aus Filmen oder aus seinen Romanen gekannt. Sie kamen in jenen Szenen zur Geltung, welche er persönlich nie erlebt hatte, noch von Bekannten gehört hatte, dass es sich bei ihnen so abgespielt hätte.
Da war die Szene vor seiner Tür ja ein gutes Gegenbeispiel gewesen. Außerdem hätte er sich nie träumen lassen, dass es jemand in nicht allzu ferner Zukunft zu ihm sagen würde.
Klar, die Mädchen fanden ihn mit seiner zögerlichen und unsicheren Art hin und wieder süß, aber er wusste sehr wohl, dass sich das Durchschnittsmädchen auf seiner Schule nach der klischeehaften starken Schulter sehnte und nicht nach einen nervlichen Wrack, wie er es war.
Dabei hatten sich seine Anfälle mit Fortschreiten der Pubertät, welche er mit seinen Tücken und Krisen erfolgreich aus dem Weg gegangen war, schon sehr gebessert.
Und dass ein Junge jemals mehr in ihm sah als einen kauzigen Kumpel, war für ihn immer so wahrscheinlich gewesen, wie die Möglichkeit, dass Cartman plötzlich zum Hippie mutierte oder zum jüdischen Glauben wechselte.
Doch offenbar war einer der beiden Fälle eingetreten und der dicke Ungustel schmiss entweder mit Blumen um sich oder er musste gleich morgen Kyle fragen, ob seine Gemeinde ein weiteres Mitglied unter ihren Reihen hatte begrüßen dürfen.
Natürlich fand sein Gehirn an diesem Abend noch eine dritte Möglichkeit: Jemand erlaubte sich mit ihm einen ganz üblen Scherz.
Nur konnte er sich schwer Token, Clyde und Craig vorstellen, wie sie sich nun feixend bei einem von ihnen zu Hause über das Handy beugten, um schadenfroh auf seine Reaktion zu warten.
Nein, sie waren vielleicht nicht so ein Quartette Infernali, wie die vier Kretin aus seiner Klasse, aber eine solche Gemeinheit ihm gegenüber traute er ihnen bei aller Freundschaft nicht zu. Gut und noch weniger hatte er sich vorstellen können, dass Craig sich für einen solch geschmacklosen Scherz mit Cartman und Co zusammen getan hätte.
Aber da standen sie auf seinem Display und leuchteten ihn an.
Drei fucking Wörter, völlig abgegriffen und nicht einmal originell.
Und dennoch hatten sie ihn damals komplett aus der Fassung gebracht. Er war für die folgenden Augenblicke in der Küche seines Elternhauses wieder zu dem zuckenden Etwas aus der dritten Klasse geworden.
Mit einem höchst seltsamen Gefühl in der Magengrube, welches ihm signalisierte, wie unsicher ihn das Ganze bezüglich der Zukunft machte, war er dann in sein Zimmer hochgegangen.
Er hatte die SMS bis zum nächsten Schultag unbeantwortet gelassen, obwohl er ahnte, dass er dem Schreiber damit eine unruhige Nacht bescherte.
Aber shit happens, sein fast nicht vorhandener Schlaf war nicht von besserer Qualität gewesen.

South Park BoyxBoy /OneshotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt