breathe

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Ich drehte Namjoon den Rücken zu und ließ ihn kaltherzig auf den Steinstufen zurück.
Es war eine ekelhafte Aktion von mir, doch
diesen kleinen Hauch von Stolz zu spüren, war es wert.

Das Auto meiner Ersatzmutter wartete einige Meter vor meiner Schule.
Ich stieg emotionslos ein und ignorierte die Blicke meiner Mitschüler dabei völlig.
„Und du bist dir sicher?" ,fragte Haeyong mit brüchiger Stimme. Ihre glasige Augen verrieten, dass sie geweint hatte. Ich nickte.

Sie startete zittrig den Wagen und strahlte dabei eine einschüchterne Unruhe aus, die kaum zu beschreiben war. Es steckte viel mehr als bloße Trauer, Enttäuschung und Angst in ihr. So viel mehr.

Während der Fahrt herrschte angespannte Stille zwischen uns, wobei ich mir aus tiefstem Herzen das Gegenteil erwünschte.
Das Hochziehen ihrer Nase übertönte den knackenden Motor und ihr schwerer Atem ließ mich schuldig fühlen.

Es ist wie ein Hilfeschrei.
Viele Menschen finden Glück darin, eigene Entscheidungen zutreffen. Sie sind dann oftmals glücklich und stolz so entschlossen zusein. Während sie sich rundum Positiv fühlen, tauchen sie tief im Wasser.
Und doch kann dieses Gefühl schnell in Hilflosigkeit umschlagen. Das tiefe Wasser ist jetzt zu tief und unheimlich triste. Es zieht sie herunter und lässt sie nach Luft ringen.
Die Menschen drohen in ihrer eigenen Hilflosigkeit zu ertrinken.
Und nur wenige haben jemanden, der ihnen in dieser Not einen Strohhalm reicht. Es ist der Rat eines anderen, der sie vorm Ertrinken rettet und es zeigt keinerlei Schwäche diesen anzunehmen.

Ich bin bereits ertrunken.
Hilflos und alleine.

„Soll ich wirklich nicht mit reinkommen?" ,fragte sie leise, als der Wagen zum Stehen kam. Kopfschüttelnd verneinte ich. Daraufhin seufzte sie traurig.
„Es wird alles gut Mama. Ich kann endlich ausatmen. Nach all den Jahren."
Sie lehnte sich rüber um mich fest in den Arm zunehmen. Es fiel mir wirklich schwer zu atmen, denn sie weinte nun so schrecklich, dass sich meine Kehle schmerzhafte zugeschnürt hatte.

„Ich hab dich lieb, egal was kommt."

Ich lächelte ehe ich ausstieg und mit einem wahnsinnig schwerem Gefühl im Magen die Mamor Treppen zum Eigang hochlief.
Sofort im Empfangsbereich hielt mich eine Krankenschwester mit Klemmbrett an.
„Park Jimin?"

„Ja."

„Es ist leider zu einer Verspätung der vorherigen OP gekommen. Weshalb ich Sie bitten würde noch etwas Platz im Wartezimmer zunehmen. Ich sage Ihnen Augenblicklich Bescheid, wenn Ihre Operation vorbereitet wurde."

Ich nickte zum Verständnis und begab mich zitternd in den Warteraum. Meine Knie schafften es beinahe nicht mein Gewicht zutragen, so elendig wie ich mich fühlte.
Völlig unstabil fiel ich auf einen der unbequemen Sitze und bemerkte dabei etwas hartes, auf das ich mich gesetzt hatte.

Schnell raffte ich, dass es sich in meiner Jackentasche befand und auch fiel mir ein:
ich trug noch immer Yoongi's Parker.

Ich schnaufte schwer.
Durch die aufkommenden Gedanken durchfuhr mich ein kühler Blitz.
Der Frust mit samt Schuld-, und Trauergefühl überkamen mich erneut. Ich wollte schreien.

Wie froh ich war, dass ich diese Last bald nicht länger mit mir herumschleppen brauchte.

Etwas zögerlich nahm ich den Gegenstand aus meiner Jackentasche.
Es handelte sich dabei um ein Zeichenbuch, welches durch einen hell braunen, abgenutzten Lederumschlag wirklich vintage aussah.

Fraglich begutachtete ich das kleine Buch und ließ meine Gedanken in der Vergangenheit tanzen. Es war Yoongi's Skizzenbuch, indem er all die vielen Pausen versunken ist, es war sein Buch, welches den Raum mit dem Kratzen der Bleistiftmine erfüllt hatte, es war seins.

Verdutzt öffnete ich die erste Seite.
Sicher, ob ich das überhaupt wollte, war ich mir nicht. Ich ließ mich einfach lenken.

"Für meinen Blumenjunge" zierte das beige Papier in einer schönen, liebevollen Handschrift. Mein Herz machte einen Sprung.
Sanft blätterte ich die feinen Seiten durch.
Es waren Zeichnungen. Von mir.
Auf jeder Seite ein bis zwei aufwendige Skizzen.

Ich erkannte mich auf den Steinstufen hockend, den Kopf auf meine Arme gelegt.
Ich erkannte mich im Bett, friedlich schlafend, eingekuschelt in seine Decke.
Ich erkannte mich im Blumenladen, und tatsächlich hatte er die Elefantengießkanne mit dazu gezeichnet. Ich musste schmunzeln.

Ich grinste und bemerkte meine feucht werdenden Augen erst dann, als die erste Träne eine seiner Skizzen zerstörte.
Sofort tupfte ich die Seite trocken.
Leider war sie nun völlig hin.

Zittrig blätterte ich weiter.
Die Zeichnungen waren so lieblich gestalten, dass sie mir wirklich viel bedeuteten. Ich schätze seine Arbeit in diesem Moment enorm und fühlte mich für einen Augenblick wieder geborgen in seinem Schutz.

Ich lächelte durch meine Tränen.
Ich war so unheimlich traurig und von Glück erfüllt zugleich. Ich wusste es einfach nicht.
Vermutlich hatte ich mich selbst belogen, in all den Wochen, in denen ich meine Welt zur Hölle gemacht hatte. Ich konnte nicht leugnen, dass ich ihn wahnsinnig vermisste.
Ich vermisste ihn wirklich.
Alles an ihm.

Nun raste mein Puls vor Aufregung.
Ich war an der letzten Seite des Buches angekommen.
Ein kurzer Satz schloss es vollkommen ab.

Ohne nachzudenken erhob ich mich, ehe ich so schnell ich konnte aus dem Krankenhaus lief. Mein Herz war warm, ich strahlte und rannte.
Und rannte und rannte immer weiter.
Der Satz wiederholte sich.
Und ich rannte zu ihm.

"Ich finde Blumen eben wunderschön."




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ENDE

Blumenjunge [ Yoonmin ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt