Kapitel 1: Der Beginn

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Meine Aufregung ist an diesem Morgen besonders groß. Mein Herz schlägt schnell, mein Atem geht stoßweise - kurz: ich bin nervös. Supernervös! Heute ist der große Tag. Der Tag, auf den ich schon so lange gewartet habe. Ich muss mich ihm stellen, ich werde zu ihm gehen und ihm in die Augen blicken, ihm sagen, wie ich mich fühle. Ihm gestehen, dass ich nicht länger seine Bälle holen werde, nie wieder bringe ich ihm sein Handtuch oder sein Trinken. Ich werde nicht länger sein Ballmädchen sein. Ich will mich nicht weiter so behandeln lassen. Der meint, er könnte sich alles erlauben, nur, weil er amtierender Tennisweltmeister ist - aber dem ist nicht so. Bekleidet mit meiner Ballmädchenuniform, also einem Hemd mit Krawatte und kurze Shorts, mache ich mich auf den Weg zur nächsten Bushaltestelle. Der Bus hält gerade, als ich ankomme und ich steige ein.

Es ist noch früh am Morgen, die Sonne geht gerade auf und der Himmel erstrahlt mit seinem wunderschönem und unverwechselbarem Farbspiel. Ich schaue auf die vorbeiziehenden Häuser und denke nach. Denke daran, wie mich dieser ach so tolle Tennisspieler anschreit, mitten auf dem Feld. Die damals empfundene Scham steigt wieder in mir hoch und bestätigt mich in meinem Vorhaben. Es ist richtig, wenn ich soetwas nicht wieder erleben möchte. Es ist in Ordnung. Der Bus hält und ich steige aus. Mit zittrigen Beinen laufe ich die Straße entlang, bis ich zu der Arena komme, in der das heutige Spiel stattfinden soll. Man wird nicht begeistert sein über meinen Entschluss. Vielleicht sollte ich es doch lassen? Mit schwitzigen Händen öffne ich die Türe zum Hintereingang und werde von Bruce, dem Türsteher, freundlich begrüßt. Er ist immer so nett zu mir, ich nicke ihm heute nur kurz zu und laufe weiter. Immer den Gang entlang, die Treppen runter und schon bin ich angekommen an meinem Ziel. Nur diese Türe trennt mich noch von dem Mann, der von allen beneidet wird. Die letzten zweifelnden Gedanken verdränge ich schnell und schlage die Tür auf. Da steht er vor mir - groß, muskulös und gefährlich. Er sieht mich mit verwunderten Augen an und wendet sich zu mir. Jetzt ist es soweit. Ich schaffe das. Ich schaffe das!

"Ich werde nicht länger dein Ballmädchen sein." Die Worte klingen fest entschlossen und ich wage es dennoch kaum mehr zu atmen. Er kommt einen Schritt auf mich zu und umfasst grob meine Wangen mit seiner Hand. Seinem Blick ist blanke Wut zu entnehmen und er spuckt mir die Worte regelrecht entgegen. "Wie bitte? Du wagst es nicht tatsächlich, mir deine Dienste zu verweigern, du kleines Vieh?" Oh Scheiße, der ist sowas von stark! Ich kann mich nicht aus seinem Griff befreien, auch wenn ich es noch so sehr versuche. Er hebt seine andere Hand und scheint mich schlagen zu wollen. Ich schließe meine Augen. Gerade, als ich mich innerlich auf den Schlag vorbereiten will, kommt jemand zur Tür herein. "Hey! Lass das Mädchen los, sag mal, spinnst du?!" Meine Augen sind schnell wieder geöffnet und hilfesuchend blicke ich meinem Retter entgegen. Es ist der gegnerische Tennisspieler, ich kenne ihn nicht sehr gut und habe ihn erst ein paar Mal flüchtig gesehen. Er kommt schnellen Schrittes auf uns zu und greift nach der Hand, die noch immer fest meine Wangen umklammert. Ehe ich mich versehe, suche ich Schutz hinter dem helfenden Fremden. Er fasst hinter sich und nimmt meine zitternde Hand. "Dich mach ich noch fertig, wirst schon sehen!" Die Worte sind an meinen Beschützer gerichtet. Er ignoriert die Drohung und verlässt mit mir den Raum. Zusammen gehen wir sschweigend in seinen Umkleideraum. Ich bleibe wie angewurzelt am Türrahmen stehen. Jetzt bekommt er wegen mir womöglich Schwierigkeiten. Ich stottere. "Es tut mir Leid, ich ... " Schnell kommt der Tennisspieler auf mich zu und wischt mit seinen weichen Händen die Tränen von meinen Wangen, seine graugrünen Augen blicken mich besorgt an. "Ist schon gut, er wird dir nichts tun. Ich melde das, keine Sorge." Seine sanfte Stimme beruhigt mich und ich versuche, die Tränen zu stoppen. "Soll ich dich zur Bushaltestelle begleiten? Man wird es sicherlich verstehen, wenn du jetzt gehst." Ich nicke vorsichtig. Ob es wirklich in Ordnung sein wird, wenn das Ballmädchen fehlt? Schon wenige Minuten später stehe ich mit ihm an der Haltestelle und warte auf den Bus. Ich bin wieder ganz ruhig, vielleicht etwas zu ruhig. Als der Bus auf uns zugefahren kommt, drehe ich mich zu meinem Begleiter und bedanke mich nochmal. "Passt schon." Er schenkt mir ein freundliches Lächeln und klopft mir aufmunternd auf die Schulter. Wir verabschieden uns kurz und ich fühle mich plötzlich erstaunlich allein, als er geht. Der Bus ist bis auf ein altes Ehepaar leer. Ich komme mir schäbig vor. Bin ich doch zu schwach, um auf sich selbst aufzupassen?

Mr. TennisstarWo Geschichten leben. Entdecke jetzt