Kapitel 9

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Als das Licht hinter mir im Flur wieder anging, stand ich immer noch regungslos da.
„Baby, was machst du da? Warum bist du nicht im Bett?" Luca stand in der Tür .
Er musste etwas ahnen, da er nicht näher kam. Als ich mich umdrehte, fiel sein Blick direkt auf das Bild in meinen Händen. Sein Blick erstarrte kurz, bevor seine Mimik unbeschreiblich wurde. Er sah zum gleichen Moment erfreut aus, aber ebenso auch traurig. Seine Augen sagten mir er war verwundert und erschrocken, darüber mich hier stehen zu sehen. Mit diesem Foto.
„Was ist das?", war alles was ich über die Lippen brachte. Es musste sich um eine Fotomontage handeln. Oder eine Doppelgängerin, die mir einfach zum Verwechseln ähnlich sah.
„Baby, das ist nicht einfach und..." - „Lass die Ausreden! Ich will die Wahrheit hören? Was soll dieser Scheiss hier? Bist du Profi im Bearbeiten von Bildern? Oder hast du es anfertigen lassen?" - „Das denkst du dabei? Nein, Rory, es ist ein echtes Bild. Du musst dich doch erinnern!" Tränen traten in Lucas Augen. „Erinnern? Woran? Luca was soll das Spiel hier? Verdammt nochmal, was soll diese ganze Scheisse hier?"
Luca kam einige Schritte auf mich zu. Und blieb dann doch stehen. Raufte sich die Haare. Drehte sich um Kreis. Er musste durchgedreht sein.
Er war ein Stalker. Ein kranker Stalker. Ein vollkommen durchgeknallter Stalker!
„Luca! Verdammte Scheisse. Zum Teufel nochmal. Rede endlich! Was soll das Foto hier sein?" Schrie ich den immer noch umhergehenden Irren an. Er blieb stehen und blickte mich an. Traurig und verärgert.
„Dein Traum, Aurora. Es war kein Traum. Also doch schon du hast geträumt. Aber es ist auch schon wirklich mal geschehen."
Ich wusste es. Er war tatsächlich durchgeknallt. „Wovon redest du, Luca?", fragte ich ihn zwar wieder in einem gemäßigteren Ton, jedoch weiterhin sichtlich verärgert und verwirrt.
Luca atmete tief ein und wieder aus bevor er mich anwies mich zu setzen. Andernfalls würde er mir nichts erzählen.
Als ich endlich auf einem der sonst so gemütlichen Sessel Platz genommen hatte, kam Luca zu mir. Er setzte sich auf den dunklen Kaffeetisch und nahm meine Hand, die ich ihm jedoch schnell wieder entriss.
Er seufzte und fing dann endlich an zu erzählen.
„Das sind wir, mein Schatz. In unseren Flitterwochen kurz nach unserer Hochzeit in Venedig. Du wolltest es so, nachdem du erfahren hast, dass du schwanger bist."
Ich schnaubte verächtlich. Doch Luca ließ sich nicht aufhalten: „Wir hatten uns bei dem Geburtstag von Signore Levante kennengelernt. Er gab damals ein feuchtfröhliches Fest in einem der vielen Casinos in Monte Carlo. Du hattest mich am Roulette-Tisch verzaubert und ich war dir sofort verfallen. Später nach einigen Monaten erzähltest du mir, ich sei erst nur ein Auftrag gewesen, doch deine Gefühle mir gegenüber hatten sich verändert. Du hattest dich in mich verliebt. Wir wollten abhauen und ein eigenes Leben führen. Ohne die Familien. Ich habe uns extra ein Anwesen in Venezuela gekauft. Mitten im Regenwald. Du hast es eingerichtet und wir waren so glücklich. Bis du schließlich schwanger wurdest. Wir zogen in die Schweiz. In eines der vielen Villen meiner Familie, damit du die bestmögliche gesundheitliche Versorgung erhältst, die man kriegen kann."
Ich traute meinen Ohren nicht. All das musste er sich doch gerade ausdenken. Luca musste ganz eindeutig unter einer psychischen Erkrankung leiden. In seinem Kopf ergab das, was er von sich gab bestimmt einen Sinn.
Aber ich wusste, dass es nicht stimmte. Ich kannte doch mein eigenes Leben. Und das alles konnte nicht dazugehören.

Oder?

Nach einer kurzen Pause fuhr Luca fort:
„Doch, leider, konnten auch die besten Ärzte Europas nicht verhindern, dass du bereits nach nur 32 Wochen Schwangerschaft unser Kind auf die Welt brachtest."
Luca stoppte wieder und sah mich an. Es fiel ihm deutlich schwer zu sprechen.
Mir fiel das Foto im Schlafzimmer ein. Dieses kleine Bündel in den Armen von Luca.
„Emilia.", brachte ich über meine Lippen ohne es zu wollen. Lucas Blick erhellte sich.
„Du erinnerst dich?"
Ich schüttelte mit dem Kopf und stand von dem Sessel auf. „Nein, Luca, das kann nicht sein. Ich habe den Namen nur im Traum gesehen." Luca stand ebenfalls auf und trat an mich heran. „Es ist kein Traum, Rory. Emilia ist der Name, den wir unserer Tochter gegeben hatten. Es ist wahr, Baby!"
Er hatte bei seinen Worten meine Arme gegriffen, doch ich entwand mich aus seiner Berührung. Nun war ich an der Reihe mir die Haare zu raufen.
Wenn das alles stimmte...
„Wieso erinnere ich mich dann nicht mehr daran?"
Erneut atmete Luca tief durch.
„Irgendwie hatte dein Vater von der Geburt erfahren. Wie gesagt, Emilia, unser kleiner Engel, war viel zu früh auf die Welt gekommen. Sie lag auf der Intensivstation und du in einem  anderen Zimmer einen Stockwerk unter ihr. Als dein Vater mit seiner Entourage kam, war ich gerade bei ihr gewesen und forderte ihren Arzt und zwei Krankenschwester auf, das Gebäude zu verlassen und sie mitzunehmen.
Bis ich unten bei dir ankam, war es leider schon zu spät gewesen. Dein Vater hatte dich gefunden. Du hattest es nicht geschafft ihm zu entkommen, also nahm er dich mit sich, nachdem er dich lahmgelegt hatte."
Luca hatte tatsächlich meinen Traum beschrieben. Aber ich hatte ihm ja auch davon erzählt. Konnte es tatsächlich die Wahrheit sein, was er da von sich gab? Oder war das alles hier nur ein krankes Spiel, dass er mit mir spielte?
„Du warst wie vom Erdboden verschluckt. Ich konnte dich nirgends finden. Und als du dann nach ganzen zwei Jahren wieder aufgetaucht bist, warst du ein vollkommen anderer Mensch. Du erkanntest mich nicht, obwohl ich dir immer wieder begegnet bin. Ich war wieder zu deinem Feind geworden. All die Liebe, all die Zuneigung, all die Leidenschaft zwischen uns, war weg. Es hatte mir mein Herz gebrochen. Ich wollte dich wieder haben, doch die Ärzte meinten, es wäre in deiner Lage nicht gut, dich mit der Wahrheit zu konfrontieren. Du könntest einen Schock erleben."
Luca schaute mich voller Sehnsucht an. Auch wenn seine Worte zwar Sinn ergeben, konnte ich ihm nicht glauben. Mein Vater würde sich nicht gegen mich stellen. Oder? Wenn das stimmt was Luca erzählte, hatte ich ihn schließlich zuerst verraten.
„Und warum jetzt?", fragte ich ihn ruhig. „Was warum?", kam verblüfft zurück.
„Warum hast du mich jetzt zurückgeholt?  Ich erinnere mich schließlich immer noch nicht."
Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weil ich nicht mehr ohne dich kann. Jeder Tag, den ich nicht an deiner Seite aufwache, ist eine Qual für mich. Du bist die Liebe meines Lebens, Aurora." - „Und weil du mich so sehr liebst, fügst du mir diese Schmerzen zu, sobald dir etwas nicht passt?" Luca lachte auf. Ihn amüsierte es also. „Baby, auch das sollte dir nur helfen dich zu erinnern. Das was du da gespürt hast, ist eine Simulation von Geburtswehen. Meine Ärzte hatten die Hoffnung, dass du dich daran erinnern wirst, sobald du sie mehrfach gespürt hast. Doch du hast dich mir und meinen Wünschen einfach gefügt." - „Und warum das letzte Mal? Als ich mit Patricio draußen war."
Luca hatte erneut meine Arme gegriffen. Er hielt mich fest und es fühlte sich gut an. Auch wenn es noch immer so unglaublich schien, ergab nun alles einen Sinn. Warum ich ihn so attraktiv fand. Warum ich das Gefühl hatte mich zu ihm hingezogen zu fühlen. Warum er mich so gut kannte.
„Patricio hat früher für deinen Vater gearbeitet. Er hat dich, nachdem dein Vater dich entführt hatte, schon einmal therapiert. Hättest du dich daran erinnert, wäre alles in eine falsche Richtung gegangen. Du wärest der festen Überzeugung gewesen, er sei ein Spitzel und er hätte mir alles über dich erzählt. Die Hoffnung auf deine Erinnerung wäre dahin gewesen."
Wieder ergaben seine Worte Sinn. Er umarmte mich fest und ich wehrte mich nicht. Ich stand einfach nur da. Fassungslos. Geschockt.
Doch eine Sache war da noch. Ich entwand mich aus seiner Umarmung und schaute ihm in seinen feuchten Augen.

„Luca, wo ist Emilia?"

Seine TochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt