Kapitel 7

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Die Sonne ging auf. Zumindest gingen die Lichter draußen auf der Anlage an.
Ich hatte den Rest der Nacht damit verbracht, das Foto anzustarren und mich an den Namen im Traum zu erinnern. Ich hatte mich aufs Bett gehievt und mich an das Kopfende gesetzt. Meine schmerzenden Gliedmaßen ausgestreckt und versucht mich zu entspannen. Es war ein psychologischer Trick, den man mir in meiner Ausbildung gezeigt hatte. Man versetzte sich durch spezielle Atemübungen in einen Trance ähnlichen Zustand. Man versuchte dann an Informationen im Unterbewusstsein zu gelangen. Doch es half alles nichts.

Ich gab auf und wartete auf dem Bett sitzend, dass mein Entführer endlich zu Tür kam.
Ich hatte so viele Fragen und hoffte auf Antworten. Ich war mittlerweile sogar so verzweifelt, dass ich beinahe bereit gewesen wäre, ihn darum anzubetteln.
Da ich kein Auge mehr zu bekommen hatte, wusste ich genau, wie ich versuchen würde meine Fragen beantwortet zu kriegen. Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben mit dem Feind kooperieren. Ich wollte ehrlich sein. Luca alles erzählen.
Und ich wurde mit jeder Minute, die verstrich, aufgeregter. Um mich etwas abzulenken, zählte ich die Sekunden. Und als ich bei 15 Minuten und 37 Sekunden angelangt war, kam er hinein. Mein Entführer. Aber auch gleichzeitig mein Erlöser. Zumindest hoffte ich, dass er mich von meinen quälend, drängenden Gedanken befreien würde und ich endlich Gewissheit hätte.

„Hast du gut geschlafen, Baby?", fragte er nach dem er die Tür hinter sich wieder geschlossen hatte. Als ob er was ahnen würde, kam er nicht weiter in den Raum hinein. Er schaute zu dem Rollstuhl und ich ahnte, dass er wusste, dass ich mich damit fortbewegt hatte.
„Nun ja, nicht wirklich."
Luca war erstaunt über meine ruhige Antwort. Er hatte wohl eher das schnippische Teenagerverhalten von gestern erwartet. Doch um an mein Ziel zu gelangen, würde ich mich zusammenreißen müssen.
„Hattest du Schmerzen?", fragte er mich besorgt. Ich schüttelte mit dem Kopf: „Ich hatte einen Alptraum und als ich aufgewacht bin, hatte ich Durst. Also bin ich zur Küche gefahren, um mir was zu trinken zu holen." - „Na, dann war es doch gut, dass ich dich rumgeführt hatte." Er lächelte und kam einige Schritte auf mich zu. „Was hast du geträumt?", fragte er mich, als er sich ans Bettende zu meinen Füßen setzte. Er nahm einen von ihnen in seine Hand und begann ihn sanft zu massieren. Ich musste mich zusammenreißen, um ihm meinen Fuß nicht ins Gesicht zutreten. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass ich nur an mein Ziel käme, wenn ich ehrlich wäre und etwas Mitleid im ihm weckte. Also erzählte ich ihm, was mich heute Nacht nicht schlafen ließ:
„Ich war in einem Krankenhaus. Überall an mir war Blut. In meinem Zimmer war ein verlassenes Babybett und ich war so traurig. Ich schrie, schrie um Hilfe, doch keiner erhörte mich. Ich lief unter starken Schmerzen auf den Flur heraus. Auch dort rief ich nach jemandem, hielt Ausschau nach dem Baby. Aber ich war komplett verlassen. Niemand war da. Also lief ich in Richtung Ausgang. Draußen würde sich schon jemand finden würde. Ich hatte mich verlaufen und dann wurde auf mich geschossen. Als ich mich umdrehte.." Ich machte eine Pause und atmete tief durch. Es war so schwierig einem Feind von meinen geheimsten Gefühlen zu erzählen. Ich hab ihm gerade mein Innerstes preis. Was wenn er mich auslachen würde und meine Angst und diese Verletzlichkeit gegen mich verwenden würde? Luca bemerkte meinen inneren Kampf und forderte mich dazu auf weiterzuerzählen.
Die Möglichkeit Antworten auf meine Fragen zu erhalten, war das Risiko wert und so setzte ich fort: „..als ich mich umdrehte, um meinem Angreifer in die Augen zu schauen, stand dort mein Vater, der eine Waffe auf mich richtete." Luca sah nicht verwundert aus. Er führte die Massage an meinem anderen Fuß fort und fragte: „Ist es das erste Mal, dass du davon träumst, dass dein Vater sich gegen dich richtet?"
Wie bitte? Was sollte die Frage? Doch er hatte mich zum Nachdenken gebracht. „Wenn ich recht überlege, nein! Ich hatte es schon paar mal geträumt." - „Was denkst du, warum du das träumst?" Schon wieder. Worauf zielte er hinaus? Was war seine Absicht? Ich würde es nur erfahren, wenn ich mitspielte.
„Wahrscheinlich, weil ich Angst davor habe, dass ich ihn verärgere und er sich gegen mich wendet." Luca schaute zu meinen Füßen und lachte leise auf. Machte er sich über mich lustig? „Bist du dir sicher, dass er das nicht schon längst getan hat?" Ich riss meinen Fuß aus seinen Händen. Mich durchfuhr ein reißender Schmerz und ich zuckte zusammen. Luca sprang auf und kam zu mir. „Du hast kein Recht über meinen Vater zu urteilen. Er ist ein wunderbarer Mensch.." Ruckartig ließ er mich los und stand vom Bett auf. „Tatsächlich?" - „Ja!" - „Und warum hatte er sich dann entführen lassen? Dich foltern lassen? Ein wunderbarer Mensch würde seiner Tochter sowas niemals antun lassen!" Wut kochte in mir hoch: „Das Geschäft verlangte es so! Nur so konnte ich mich auf das Leben vorbereiten.." Ich machte ein kurze Pause und stutzte kurz. „Moment mal, woher weißt du das alles?" Luca verdrehte die Augen. „Das ist doch vollkommen unwichtig, Aurora!" - „Nein, ist es nicht! Verdammt, ich finde mich hier im Haus zurecht, als würde ich alles kennen. Wie kann das sein?"
Ich sah Verwunderung in Lucas Blick und er setzte sich wieder zu mir auf das Bett. „Was sagst du? Wie du findest dich hier zurecht?" - „Heute Nacht, nach dem Alptraum. Ich hatte Durst und bin zur Küche gegangen. Ich wusste, wo die Gläser stehen, wo der Saft gelagert wird und dann bin ich auf die Terasse gefahren, um etwas frische Luft zu schnappen. Und ich wusste genau, welches Fenster als Ausgang diente. Das kann doch kein Zufall sein!"
Seine finstere Miene erhellte sich ein wenig und in seinen Augen sah ich etwas aufblitzen, dass wie Hoffnung aussah. „Na, endlich!", sagte er erleichtert. „Es dauert nicht mehr lange und du wirst.." - „Ich werde was?", unterbrach ich ihn laut, fast schon schreiend. „Luca ich kann nicht mehr. Ich bin total verwirrt und kann mir nicht erklären warum. Dieses Foto.." Ich zeigte auf das Bild auf dem Nachtschrank. „..jedes Mal wenn ich es anschaue, verkrampft sich alles in mir. Warum ist das, das einzige Bild hier im Haus?" - „Aurora, ich kann es dir nicht erklären! Ich darf nicht.." Seine Ausflüchte brachten mein Blut zum Kochen: „Du darfst nicht? Das ich nicht lache. Du bist der Nachfolger vom Boss und es gibt jemanden, der dir etwas verbieten kann?" Luca stand wieder vom Bett auf. Sichtlich nervös strich er sich durch die schulterlangen Haare. „Aurora, ich kann dir nur so viel sagen: ich darf es dir nicht sagen." - „Du willst nicht, meinst du..", unterbrach ich ihn erneut. „Meinst du ehrlich es ist leicht für mich? Das alles hier?" Luca schrie mich an und ich zuckte zusammen. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, aber es musste irgendwas zwischen Trauer und Wut sein. Er räusperte sich und fuhr dann in einem ruhigeren Ton fort: „Verdammt, mir wäre es auch lieber, wenn ich dir die Wahrheit einfach sagen könnte, aber das geht nicht...Noch nicht! Glaub mir, Aurora, in der Sekunde in der ich dir alles erklären kann, werde ich es tun." Er kam zu mir, kniete sich vor das Bett und nahm meine Hand. Er legte sie sanft an sein Gesicht. „Versprochen!"
Ich zog meine Hand zurück. Sein gequälter Gesichtsausdrauck, schien nicht gespielt zu sein. Irgendwas in mir wollte ihm vertrauen und ich gab dem Verlangen nach und glaubte ihm. Ich wand meinen Blick von ihm ab, doch er drehte meinen Kopf sofort wieder sanft in seine Richtung. „Tu' das nicht, Baby. Bestrafe mich nicht indem du dich von mir abwendest.
Versuch mir einfach zu glauben und zu vertrauen. Die Wahrheit ist so nah." Ich blickte in tief in die Augen und die Wärme, die in diesem Moment aus ihnen strahlte, brachte mich zum Lächeln. Obwohl ich mein Bestes gab, es nicht zu tun.
„Na, so siehst du wieder umwerfend aus. Und jetzt raus aus den Federn. Ich will dich schnell wieder auf den Beinen haben und hab da 'was für dich organisiert!" Er schlug die Decke zur Seite und half mir in den Rollstuhl.
Während er mich aus dem Zimmer fuhr, fühlte ich mich etwas beruhigt und verdrängte für einen kleinen Augenblick die 1000 Fragen in meinem Kopf und ließ mich auf meinen Gegner ein.
Bitte, Vater, verzeih mir, doch ich kann ihm nicht mehr widerstehen. Ich kann es nicht mehr leugnen. Wenn ich wollte, dass es mir bald wieder besser ginge, dann musste ich mich ihm wohl oder übel, überlassen und ihn machen lassen.
Das Einzige, was mir blieb, war die Hoffnung. Die Hoffnung, dass mein Instinkt, Lucas Worten zu glauben, mich nicht täuschte.

Seine TochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt