Kapitel 3

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„Wo sind wir hier?" Ich konnte diese Frage einfach nicht mehr zurückhalten. Ich war zu perplex. Ich hatte eine Folterkammer erwartet. Mit isolierten Wänden, sodass keiner meine Schreie hören würde. Mit Instrumenten, die mir allein beim Anblick dieser schon das Blut in den Adern gefrieren ließ. Alles im Dunklen, damit der Durst nach der sizilianischen Sonne mich zusätzlich schwächen würde.
Doch stattdessen umgaben mich volle Bäume und Büsche mit bunten, blühenden Blumen. Die Sonne wärmte meinen müden Körper und alles duftete nach Frühling. Frühling auf unserem Anwesen in Amantea. Ich roch sogar die frische Meeresbrise, doch wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein. Was wollte Luca hiermit bezwecken?
„Das, meine Liebe, ist mein persönliches Paradies.", er grinste mich boshaft an: „und deine ganz persönliche Hölle."
Wir schritten langsam in den farbenfrohen Urwald aus Palmen und anderen exotischen Bäumen hinein. „Ich habe mir sehr viel Mühe bei dem Entwurf gegeben. Freut mich dass es dir gefällt. Tatsächlich befinden wir uns hier unter dem Meer. Die Sonne die du zu sehen und zu spüren denkst, ist lediglich eine sehr gute Projektion auf dem Glasdach. Das übrigens aus vier Schichten extra gehärteten Panzerglas besteht. Und abgesehen davon befinden wir uns unter dem Meer. Solltest du es tatsächlich schaffen, das Glas zum Brechen zu bringen erdrücken dich die Wassermassen schneller als du gucken kannst!"
Er war sich seiner Sache absolut sicher. Ich wusste, er war nicht doof, doch dass er alles so gut durchdacht hatte, wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Ich hatte das erste mal in meinem Leben das Gefühl meinen Vater enttäuscht zu haben. Eine seiner vielen Regeln war immer:
‚Unterschätze niemals deinen Feind! Gehe immer vom allerschlimmsten Übel aus, das er dir anrichten kann.'

„Es tut mir leid, Vater. Ich habe versagt, aber ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Ich werde bis zu meinem letzten Atemzug kämpfen." Ich hoffte inständig, dass mein Vater irgendwie dazu fähig war, meine Gedanken zu lesen. Ich hoffte, er würde mir meine Fehler vergeben können. Obwohl ich genau wusste, dass Nachsicht nicht gerade eine seiner Stärken war.

Luca hatte unterdessen seinen monk
„Soll mich das alles hier irgendwie beeindrucken?", brachte ich bissig aus meinen gequollenen Lippen hervor. Luca grinste und zog mich an der Fessel näher zu sich. „Ich knacke dich noch irgendwie."
Als wir an einem kleinen Haus ankamen, öffnete uns eine stämmige Frau die Tür und ließ uns eintreten. Sie gab Luca einen Kuss auf die Stirn und bedachte ihn mit einem zornigen Blick. „Das hat ziemlich lange gedauert, mein Sohn. Ihr werdet schon erwartet!"
Um durch die schmale Tür zu passen, drehte Luca mich zu ihm und legte seinen anderen Arm, den der nicht an meine Hand gefesselt war, um meine Hüfte. Er hatte einen festen Griff. Unter anderen, nicht so makaberen Umständen, fände ich diese Umarmung wahrscheinlich sehr schön. Doch hier, in dieser Simulation von tropischem Urwald, widerte es mich nur an. Es widerte mich an ihm so ausgeliefert zu sein. Es widerte mich an mich nicht wehren zu können. Aber es ging einfach nicht mehr. Meine Kraftreserven waren bis auf den letzten Tropfen erschöpft. Wollte ich erfolgreich sein, müsste ich wohl oder übel erst mal mitspielen. Das Beste draus machen, um mich zu schonen. Bis zumindest die halbe Kraft wieder vorhanden war. Dann würde ich zurückschlagen. Mich aus dieser Situation befreien. Ich hatte bisher alles geschafft. Also würde ich auch diese Situation schon irgendwie meistern.

In dem Moment als wir die Türschwelle überschritten hatten und Luca seinen Griff von meinen Hüften löste, spürte ich einen Stich in meinem Oberschenkel. Es fühlte sich an, wie eine Injektion. Mein Blick zu der schmerzenden Stelle verriet mir, dass tatsächlich eine Spritze in meinem Oberschenkel steckte. Ich versuchte sie herauszuziehen, doch Luca ergriff meine Hand und hielt mich davon ab: „Es wird bald alles besser sein, Baby!"

*

Ich wurde von dem Gezwitscher verschiedener Vögel geweckt. Meine Augen brannten vor Helligkeit und ich zog mir das weiche Laken über den Kopf. „Nur noch eine Minute. Ich brauche den Schlaf." Ich drehte mich verschlafen auf die andere Seite und roch den Duft frisch gewaschener Wäsche. Ich sog den Geruch so gut es ging ein. So gut, hatte es schon lange nicht mehr gerochen. Ehrlich gesagt noch nie. Hatte mein Carlo eine neue Wäscherei angeheuert? Egal, was es war, es war richtig.
Ich war kurz davor wieder in das Land der Träume zu versinken, als ich leise Stimmen vernahm.
„...ungewöhnlich lang..." - „...Narkosemittel..." - „...zu viele Verletzungen..."
Vater hatte ihnen doch verboten im Haus über Gefangene zu sprechen. Ich wollte aufstehen und sie belehren, doch ich konnte nicht. Meine Müdigkeit war einfach zu stark. Ich fühlte mich wie ans Bett gefesselt. So Kraftlos.
Dann würden sie dieses Mal damit durchkommen. Sobald ich noch ein bisschen geschlafen hätte, würde ich mich um sie kümmern. Und so gab ich mich dem süßen Verlangen nach tiefen, entspannenden Träumen hin.

*

Ich öffnete meine Augen und sah einen Arzt neben meinem Bett stehen. „Was ist mit mir? Bin ich krank?", ich schreckte im Bett hoch und schaute den grauhaarigen Mann mit der rundem Brille an.
„Bitte, Miss, sie müssen liegen bleiben. Sie müssen sich unbedingt schonen, sonst können die vielen Verletzungen nicht abheilen!"
Er drückte mich sanft wieder in das weiche Kissen zurück.
„Ich hole kurz den Signore, der wird Ihnen alles genau erklären." Mit den Worten verließ er das Zimmer.
Ich hob die Decke an und schaute mir meinen Körper an. Er war überseht mit blauen Flecken. Manche schon so dunkel, dass man den dunklen Violetton schWann hatte man mich so zugerichtet? Und vor allem wer?
Na, wenigstens würde mein Vater gleich hier sein. Dann könnte er mir alles genau erklären.
Schon an den Schritten, die zu hören waren, als die Tür aufging, erkannte ich, dass es nicht mein Vater sein konnte, der da zu mir kam.
„Was willst du denn hier?", schrie ich Luca an. Wo war ich nur gelandet?
„Baby, beruhige dich! Du bist immer noch in deinem neuen Zuhause. Deine Erinnerung wird in den nächsten Tagen zurückkehren. Und bevor du anfängst mich irgendwie bekämpfen zu wollen, sag ich dir lieber, dass du das lassen solltest!" Er hielt eine kleine schwarze Fernbedienung in die Höhe: „Dir wurden mehrere Elektroden in den Kopf implantiert. Direkt in dein Schmerzzentrum. Solltest du dich wehren, drücke ich hier auf diesen kleinen, süßen roten Knopf, spürst du die schlimmsten Schmerzen, die ein Mensch erleben kann, ohne dabei draufzugehen."
Ich schnaubte und drehte mich zum Fenster.
„Dein Anblick löst schon genug Schmerzen in mir aus!" Luca lachte und kam auf mich zu. Er setzte sich zu mir auf die Bettkante und drehte mein Gesicht zu sich indem er meinen Kiefer mit seiner Hand packte.
„Und trotzdem wirst du mich bis an dein Lebensende anschauen müssen, Kleines!", sagte er mit leiser, drohender Stimme.
Ich blickte in seine Augen und spuckte ihm geradewegs ins Gesicht. „Ich werde mich immer wehren!"
Er ließ mein Gesicht los, stand auf und ging zum Fenster. Er wischte sich sein Gesicht ab und wandte es wieder mir zu. Ganz ruhig stand er da und griff in die Tasche seiner dunklen Lederjacke.
Keine Sekunde später krümmte ich mich vor Schmerzen auf  dem Bett. Mein gesamter Körper verkrampfte sich und ich schrie. Zumindest versuchte ich es, doch kein Laut kam aus meiner Kehle. Ich wusste gar nicht, wo der Schmerz herkam. Ich spürte ihn überall. Dabei war ich das doch gewohnt. Aber all die Schmerzen, die ich jemals in meinem Leben spüren musste, konnten es noch nicht mal im geringsten mit dem aufnehmen, was ich gerade spürte. Die Tränen schossen mir in die Augen und rannen über mein Gesicht.
„Das war nur ein kleiner Vorgeschmack. Ich habe nur eine Sekunde auf meine Fernbedienung gedrückt. Stell dir vor ich kann noch viel länger festhalten."
Er kam wieder an mein Bett, beugte sich zu mir hinunter und gab mir einen sanften Kuss auf die Wange. Er blickte mir erneut in meine Augen und ich fühlte mich plötzlich so verletzlich. So klein.
Luca ging Richtung Ausgang. Er öffnete die Tür und drehte sich noch einmal zu mir um: „Alle, die für dich zuständig sind, haben auch so einen tollen Knopf. Ich, an deiner Stelle, würde es mir mit ihnen nicht verscherzen."
Luca senkte seinen Blick und verließ mich wieder.

Seine TochterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt