"Unsinn"

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„Argh, Harumi, was soll das? Willst du mich ärgern?“
Harumi kicherte vergnügt. „Nein, ich will dich nur richtig auf Trab bringen“, antwortete sie, während sie den Federball mit einem kräftigen Schlag wieder auf die andere Seite beförderte. „Nur Rumstehen und Faulenzen gibt’s bei mir nicht. Du willst doch was lernen, oder?“
Es waren zwei Tage vergangen und wie jeden Mittwoch widmete Harumi sich an diesem Nachmittag dem Badminton. Das war nur eine von zahlreichen Sportarten, die sie ausübte oder zumindest beherrschte und sie trainierte gerne mit den Anfängern.
Ihre Partnerin unterdessen seufzte schwer. „Ich kann kaum den Schläger halten und du gehst gleich aufs Ganze“, beschwerte das Mädchen sich von der anderen Seite des Netzes.
„Natürlich, ich setze auf deinen Ehrgeiz“, erwiderte Harumi. „Und jetzt spiel’ an.“
Das Mädchen stöhnte theatralisch und vollführte einen recht ungeschickten Aufschlag.
Harumi fing den Ball mit einer Hand auf. „Nochmal“, verlangte sie unerbittlich und spielte den Ball locker aus dem Handgelenk zurück.
Es dauerte eine Weile, bis Harumi mit ihrer neuen Kameradin zufrieden war, doch dann spielten sie ein recht gutes Match, und das obwohl Harumi sich nicht zurückhielt. Dementsprechend gewann sie das Spiel zwar auch, aber davon ließ sich ihre Partnerin nun nicht mehr runterziehen – immerhin hatte sie Harumis unerbittlichem Training standgehalten.
„So, meine Zeit ist um“, meinte die Blonde schließlich und ging auf das Netz zu, gab Harumi einen Highfive. „Hat Spaß gemacht. Ich hoffe, ich hab’ mich nicht zu doof angestellt.“
„Ach was“, winkte Harumi freundlich ab. „Du warst wirklich sehr gut. In nur einer Stunde bist du vom Anfänger zum angehenden Profi gekommen.“ Sie zwinkerte verschmitzt.
„Danke“, erwiderte das andere Mädchen lächelnd. „Gut, dann bis nächste Woche.“
„Ja, bis dann.“ Harumi winkte ihr hinterher, während sie den Sportplatz verließ.
Und dann erstarrte Harumi, als sie bemerkte, dass eine große Gestalt auf der anderen Seite des hohen Stahlzauns stand und sie beobachtete. Sie schluckte schwer, doch um den Blick abzuwenden war es  natürlich zu spät. Sicherlich hatte er bemerkt, dass sie ihn bemerkt hatte … Na gut, ich bin ja nicht alleine hier, sagte sie sich schließlich mit einem kurzen Blick zu den anderen Teams, die in ihre Matches vertieft waren. Sie atmete tief durch und ging dann entschlossen zum Zaun hinüber.
„Was machst du denn hier?“, wollte sie von Yuma wissen, ihre Stimme war ein einziges drohendes Zischen, wie das Fauchen einer sich bedroht fühlenden Katze. Hatte sie ihm denn nicht ausdrücklich genug klargemacht, dass er sich ihr von nun an nicht mehr nähern sollte? Der will es einfach nicht begreifen.
„Du hast da noch etwas vergessen“, antwortete der Riese ihr ganz unverwandt und hielt das Paar Strümpfe hoch, das Harumi am Freitag getragen hatte.
Harumi hätte ihre Gedanken in diesem Augenblick nicht in Worte fassen können, dafür war sie einfach zu konsterniert. Für einen Moment fehlten ihr einfach die Worte und sie starrte ihn nur dümmlich an, doch dann öffnete sie eilig das mannshohe Tor im Zaun und trat vor Yuma, versuchte seine überragende Größe zu ignorieren und verschränkte stattdessen in einer abwehrenden Haltung die Arme vor der Brust.
Sie musterte ihn eingehend und versuchte einige Augenblicke lang, sein Verhalten zu durchschauen oder sein Auftauchen in irgendeiner Weise nachzuvollziehen. Außerdem war ihr die ganze Sache irgendwie peinlich, wobei das eigentlich doch ihr kleinstes Problem sein sollte. Es gibt wirklich peinlichere Dinge, die ich hätte vergessen können … Doch gleich darauf schüttelte sie sich selbst gegenüber den Kopf. Das ist doch jetzt nicht wirklich mein größtes Problem!
Yuma bekam von ihrem inneren Konflikt natürlich nichts mit, er erwiderte ihren forschenden Blick einfach, seine Mundwinkel deuteten ein verhaltenes, womöglich schadenfrohes Grinsen an, doch viel mehr konnte Harumi aus seiner Mimik nicht herauslesen.
Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass er sie schlicht und ergreifend ärgern wollte – sicherlich hatte er wegen eines Paars Socken kein dermaßen schlechtes Gewissen gehabt. Genau genommen beschlich sie das Gefühl, dass er am Montag absichtlich „vergessen“ hatte, ihr ihre Kleidung zusammen mit ihren Schulsachen wiederzugeben.
Unter anderen Umständen hätte Harumi ihm diesen „Spaß“ nicht weiter krummgenommen, es war ja nicht so, dass sie keinen Sinn für Humor hatte. Aber nun war es doch wirklich unangebracht, das Recht, mit ihr Späße treiben zu dürfen, hatte er eindeutig verspielt.
Schließlich streckte sie genervt die Hand aus. „Danke“, knurrte sie mit unüberhörbar bissigem Unterton, als er ihr mit einem wölfischen Grinsen ihre Kleidung ausgehändigt hatte und im Gegenzug funkelte sie ihn weiterhin ärgerlich an.
Eigentlich wusste sie selbst nicht so genau, ob Wut wirklich die Emotion war, mit der sie Yuma Mukami begegnen wollte, aber ihr fiel ehrlich gesagt nichts Besseres ein. Sein Verhalten verwirrte sie und da sie vor Yuma keine Schwäche zeigen wollte, auch wenn sie sich in Wahrheit mehr vor ihm fürchtete, als ihr lieb war … war sie eben wütend. Das war einfach und zugleich nicht wirklich ungerechtfertigt.
„Okay, ich frage nochmal. Was machst du hier?“, wiederholte Harumi ihre Frage und stemmte die Hände in die Hüften. „Und woher weißt du überhaupt, dass ich hier bin?“, setzte sie gleich darauf hinterher und verstummte im nächsten Moment, als ihr klarwurde, dass Yuma eigentlich nicht wissen konnte, wo sie sich aufhielt. „Stalkst du mich etwa?“, wollte sie ungläubig wissen und musste zugleich schlucken.
„Kann sein“, erwiderte er einsilbig und grinste.
Harumi schloss für einen Moment die Augen und hoffte, dass das alles nur ein Albtraum war. Aber leider schloss sie diese Möglichkeit gleich darauf aus. Sie musste wirklich mit diesem Verrückten klarkommen, der eben mehr oder weniger zugegeben hatte, dass er ihr gefolgt war. Glaubt er, das wäre cool oder so?, fragte sie sich im Stillen. Das kam selbst ihr zu dumm vor, um wahr zu sein, aber Fakt war doch – er stand hier, direkt vor ihr.
„Kurze Zwischenfrage“, meinte Harumi nun gefährlich ruhig. „Aus was für einer Anstalt bist du eigentlich ausgebrochen?“, wollte sie nun am Rande ihrer Beherrschung wissen.
Da verfinsterte Yumas Blick sich plötzlich. „Hah?“
Harumi seufzte schwer und sah auf den Boden. Sie konnte seinem einschüchternden Blick nicht ewig standhalten. „Na, immerhin fasst du das nicht als Kompliment auf“, meinte sie dennoch sarkastisch. Was mache ich hier eigentlich?, fragte sie sich innerlich und erschauderte unwillkürlich. Dann entschied sie, dieses eigenartige Gespräch jetzt ein für allemal zu beenden, und das möglichst deutlich. „Okay, ein drittes Mal, und dieses Mal formuliere ich es anders. Was willst du noch von mir? Eine einstweilige Verfügung? Kannst du haben!“ Am liebsten hätte sie ihm vor die Füße gespuckt. Sie wusste einfach nicht, was sie noch tun sollte … Ich sollte wirklich zur Polizei gehen … Doch zugleich widerstrebte ihr das. Sie wusste doch, wie wenig Frauen wie ihr in solchen Fällen geholfen wurde.
Nun zog Yuma beinahe wie angewidert die Oberlippe hoch, dann schnalzte er missbilligend mit der Zunge. „Tch, du bist also wirklich sauer, was?“, fragte er.
„Ach was, ehrlich? Und das fällt dir jetzt erst auf?!“, wetterte Harumi. Natürlich war sie stinksauer, und vor allem fühlte sie sich so schrecklich hilflos. Wenn ich rankäme, würde ich den Kerl einfach erwürgen …
„Also gut, okay, ich hab’s verstanden, ja?!“
Harumi zuckte kaum merklich zurück, er hatte sie beinahe angeschrien, und sie fürchtete sich ohnehin schon vor ihm. Als er jedoch nichts weiter sagte, runzelte sie irritiert die Stirn. „Interessanter Sinneswandel“, bemerkte sie schnippisch. „Okay.“ Sie atmete tief durch. „Können wir vielleicht einfach wie zwei ganz normale Menschen miteinander reden?“
Er nickte, die Hände hatte er nun in die Seite gestemmt. „Sicher.“
„Okay.“ Noch einmal holte Harumi tief Luft. „Dann hab’ ich eigentlich nur noch eine Frage, da du ja offensichtlich nicht gewillt bist, mir meine anderen ehrlich zu beantworten – woher kommen eigentlich die beiden roten Flecken an meinem Hals?“
„Was?“, hakte Yuma verwundert nach.
„Ähm, okay“, meinte Harumi und hob rasch die Hände. „Bevor du antwortest – will ich die Antwort überhaupt wissen?“
„Woher soll ich das wissen?“, fragte Yuma zurück.
„Also warst du das?“, wollte Harumi forschend wissen.
Erneut schnalzte Yuma genervt mit der Zunge und wandte den Blick ab. „Kann schon sein.“
„Hör’ auf mit diesem ,kann schon sein‘!“, fuhr Harumi ihn ungehalten an. „Was hast du sonst noch so mit mir gemacht?“, wollte sie ärgerlich wissen, doch sie mäßigte sich.
„Tch“, machte Yuma, wenig begeistert über ihren feindseligen Unterton. „Menschenfrauen sind wirklich nicht einfach, was?“ Es klang, als spräche er mit sich selbst.
Nichtsdestotrotz hatte Harumi ihn verstanden. „Menschenfrauen?“, echote sie ungläubig. Gott, der Typ hat offensichtlich noch weniger Tassen im Schrank, als ich bisher für möglich gehalten hätte …
„Hah?“, machte Yuma, da er ihre Betonung offenbar nicht zuordnen konnte.
„Menschenfrauen?“, fragte Harumi darum noch einmal. „Ich … bin mir zwar nicht sicher, ob ich dieses Gespräch wirklich weiterführen will, aber möchtest du mir vielleicht trotzdem kurz erläutern, zu welcher Spezies du dich zählst, wenn du so abfällig über Menschenfrauen sprichst?“
Für ein paar Augenblicke schien es ihm tatsächlich die Sprache verschlagen zu haben, doch dann grinste er. „Das würdest du mir ohnehin nicht glauben.“
„Nein, wahrscheinlich nicht, aber ich hör’s mir meinetwegen trotzdem erstmal an“, erwiderte Harumi trocken. Gedanklich fragte sie sich, mit welcher Art Droge er wohl in Berührung gekommen sein mochte. Ich meine – das ist doch nicht normal.
Nun grinste Yuma. „Ich bin ein Vampir. Verstehst du?“
„Ähm …“ Nein. Normal ist anders. „Okay“, sagte sie jedoch ihrer Worte zum Trotz. Vielleicht spiel’ ich erstmal einfach mit … „Also hast du mich … gebissen?“, hakte sie vorsichtig nach.
„Woher sollten sonst die Wunden an deinem Hals kommen?“
Harumi seufzte. Das klingt sogar irgendwie plausibel. Leider „Hey“, sagte sie nun mit fröhlicher Stimme. „Wenn du ein Vampir bist, wie alt bist du dann?“ Ihr Grinsen wurde sogar echt, die ganze Sache war so verdreht … und aus irgendeinem Grund wirkte ihre Unterhaltung fast schon locker. Lockerer jedenfalls als zuvor.
„Älter als du“, antwortete Yuma ihr nur grinsend.
Harumi blies die Wangen auf. „Das kann ja alles sein zwischen achtzehn und tausend“, meinte sie gespielt eingeschnappt, und es wunderte sie fast, dass er ihr nicht einfach eine Zahl genannt hatte, um dieses Spiel weiterzuspielen. Durch die nicht besonders eindeutige Antwort gewann er schon beinahe wieder an so etwas wie … Glaubwürdigkeit.
Im nächsten Augenblick wollte sie sich am liebsten ohrfeigen. Was mach’ ich denn hier? Ich sollte nicht so einfach mit ihm plaudern, als ob nie etwas passiert wäre, schimpfte sie sich im Stillen, doch zugleich kamen ihr da auch Zweifel. Aber auf der anderen Seite … ist er jetzt netter als letzte Woche … aber … sollte ich mich darauf verlassen? Sie biss sich unterbewusst auf die Lippe. Vielleicht hat er einfach nur einen schlechten Tag gehabt und tendiert dazu, das an anderen auszulassen … vielleicht bereut er es sogar … oder er ist wirklich einfach nur ein gestörter Psychopath, dem ich besser nicht zu nahe kommen sollte. Die Zweifel in ihr wuchsen immer weiter, und mit ihnen kehrte plötzlich die Furcht zurück.
„Hey“, riss er sie da aus ihren Gedanken. „Was ist los?“
Harumi sah auf. „Nichts“, erwiderte sie hastig. „Gut … danke, dass du vorbeigekommen bist …“ Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wie er mich hier gefunden hat, rief sie sich ins Gedächtnis und bekam eine Gänsehaut vor Grauen. Schnell wandte sie sich um. Sie musste weg von hier … weg von Yuma.
„H-halt, jetzt bleib’ doch hier!“, rief er plötzlich und seine Hand schloss sich um ihren Arm.
Sie schrak zu heftig zusammen, als hätte er ihr einen Elektroschock verpasst, dann wand sie sich reflexartig, getrieben von Panik, aus seinem Griff. „Lass’ mich los!“, rief sie aus und zu ihrer Erleichterung gehorchte er ihr sofort. Ein Zittern lief durch ihren Körper, und dennoch blieb sie stehen. Sie spürte, dass Tränen in ihr aufstiegen, genau genommen war sie ein nervliches Wrack, sie hatte es nur kaschiert in den letzten Tagen.
„Was ist denn jetzt auf einmal los?“, wollte Yuma wissen, er wirkte wirklich verwirrt.
Harumi schluckte. „F-fass mich bitte … nie wieder an“, wisperte sie mit dünner Stimme.
Es sah aus, als könne Yuma ihren Worten nicht so recht folgen. „Okay“, sagte er dann jedoch und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf, musterte sie aufmerksam.
Harumi nickte nur knapp und wischte sich eilig die Tränen aus dem Augenwinkel. „Sag’ mal“, sprach sie ihn dann leise an. „Warum bist du jetzt so anders?“ Er wirkt nicht so, als wollte er mir jetzt noch wehtun … aber … wie kann ich das schon sicher wissen? Sie rang weiterhin mit sich und wartete auf seine Antwort.
Zu dieser schien er sich regelrecht durchringen zu müssen. „Ich glaube …“ Er unterbrach sich kurz selbst und sah zur Seite, ehe er sich offenbar einen Ruck gab. „Tch. Na schön. Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht. Wird nicht wieder vorkommen.“
Schwach nickte Harumi. „Schön“, sagte sie leise und atmete nun tief durch. „Dann mach’s gut.“ Mit diesen Worten lief sie nun eilig zur Umkleidekabine, und dieses Mal hielt sie niemand zurück. Im Duschraum angekommen blieb sie vor einem der drei Spiegel stehen und betrachtete noch einmal die roten Male an ihrem Hals, die neben den blauen Flecken kaum auffielen. Noch einmal ließ sie sich Yumas Worte durch den Kopf gehen, alle, von seinen Späßen über seine verärgerten Worte, sie dachte daran, wie verwundert er sie teilweise angesehen hatte, als ob er sie ihr nicht folgen könnte. Und dann war da auch noch diese sehr ungelenke Entschuldigung … Oder was auch immer das sein sollte. Aber … was hatte es nun mit diesen Wunden auf sich? Yuma hatte gesagt, er sei ein Vampir … Harumi schüttelte entschieden den Kopf. Unsinn.

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Puh. Am Anfang war's zäh wie Honig, aber dann lief's und mittlerweile macht's richtig Spaß :D Zum Glück, ich hatte schon Angst, ich könnte kein drittes Mal diese Begeisterung aufbringen, das hätte mich sehr traurig gemacht ^^
Ich hoffe, es hat euch gefallen :)
Und ich will ehrlich gesagt mal ne ganz ehrliche Meinung hören - ist Yuma für euch jetzt (also nach diesem Kapitel) ooc oder nicht? ^^
Ich persönlich hab' meine eigenen Gedankengänge zu dem Thema gehabt und dementsprechend jetzt 'ne Erklärung, warum er mehr Einsicht zeigt/zeigen könnte als zum Beispiel Kou (geht besonders an alle, die Seductive Scent kennen, aber auch generell).

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