Vampir

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Wir treffen uns dann morgen um sechszehn Uhr bei dir zu Hause, richtig?“, fragte Chiyo, als die vier Freundinnen gerade den Physiksaal verließen. 
Mayumi nickte. „Meine Eltern sind wieder nicht da und wir haben sturmfreie Bude.“ 
„Das ist gut“, meinte Harumi und grinste. „Asuka, vergiss den Film nicht.“ 
„Ich werd’s versuchen“, erwiderte die Blonde lachend. 
Da tippte jemand auf Harumis Schulter und das Mädchen wandte sich zu einem schmalen, hochgewachsenen Blonden um. „Hey Kazuya“, meinte sie lächelnd. 
„Hey“, antwortete ihr Klassenkamerad. „Sag’ mal, hast du zufällig schon den Mathetest von neulich dabei?“, wollte er freundlich wissen und erwiderte Harumis Lächeln. 
„Oh, klar“, meinte Harumi. „Gut, dass du mich daran erinnerst. Das hatte ich total vergessen.“ Sie lächelte, stellte ihre Tasche auf dem nächsten Fensterbrett ab und händigte Kazuya dann einen einfachen Schnellhefter aus. 
„Danke“, meinte der Junge und nickte knapp. 
In diesem Augenblick stieß ein weiterer junger Mann zu ihnen. „Hey, ich hab’ gehört, bei Mayu steigt morgen eine große Party?“, wollte er fröhlich wissen. 
„Nur was Kleines“, schmunzelte Asuka. „Und nur für Mädchen.“ 
„Für uns vier, um genau zu sein“, ergänzte Mayumi. „Sorry, Jungs.“ 
„Hm“, machte Kazuya bedauernd. „Schade.“
„Wird Zeit, dass wir mal wieder ’ne große Party für alle schmeißen“, meinte der andere. 
Asuka nickte. „Ich bin sofort dabei.“
„Das dachten wir uns“, scherzte Kazuya. „Gut, dann … danke für den Hefter, Haru. Macht euch ein schönes Wochenende. Wir sehen uns.“ Mit diesen Worten ging er. 
Auch die anderen aus ihrer Klasse zerstreuten sich. 
Harumi sah zu Chiyo, die sich die ganze Zeit über schüchtern im Hintergrund gehalten hatte. „Na, soll ich vielleicht ein wenig für dich kuppeln?“, fragte sie ihre Freundin neckend. 
Chiyo schnappte entsetzt nach Luft. „Nein, bitte nicht“, wehrte sie dann mit leiser Stimme ab. „Ich könnte niemals vernünftig mit Kazuya sprechen …“ 
„Schade, dabei ist er so ein netter Kerl“, meinte Asuka trocken. 
„Ja, ich weiß … aber er ist auch so unheimlich beliebt“, murmelte Chiyo. 
„Und du bist ein unfassbar niedliches Mädchen“, meinte Mayumi. „Wenn du noch länger wartest, haben wir unseren Abschluss in der Tasche und du hast deine Chance vertan.“ 
„Hm“, machte Chiyo unglücklich. 
„Ich denke, wir warten einfach auf die nächste große Party und sorgen dann für genügend Alkohol“, meinte Asuka fröhlich und schulterte ihre Tasche. 
„Nein, bitte ohne Alkohol“, widersprach Harumi ihrer Freundin und verzog das Gesicht. „Es kommt nicht gut, wenn man seinem Schwarm auf die Schuhe kotzt.“ 
Mayumi lachte. „Wo sie Recht hat, hat sie Recht.“ 
„Ihr macht es nicht besser!“, beschwerte Chiyo sich. 
Nun lachten sie alle, dann schüttelte Harumi den Kopf. „Irgendwann bekommst du sicherlich eine Gelegenheit, dich mal vernünftig mit ihm zu unterhalten. Ganz ungezwungen, und so, dass sich keiner von euch dumm vorkommen muss. Dann braucht ihr auch nichts trinken.“ Sie legte Chiyo kurz eine Hand auf die Schulter, dann umarmte sie ihre Freundin. „Gut, ich geh’ dann jetzt. Bis morgen also.“ Auch Asuka und Mayumi nahm sie kurz in den Arm. 
„Tschüs, bis morgen“, antworteten ihr die anderen. 
Harumi machte kehrt und gliederte sich in den Schülerstrom ein, der gemächlich den Ausgang des Gebäudes anstrebte. Auf dem Schulhof angekommen zerstreuten sich die Schüler und Schülerinnen rasch und noch ehe Harumi das Schultor erreicht hatte, holte sie eine Zigarette hervor und zündete sie an, dann blieb sie am Zaun stehen, dort, wo die Straßenlaternen noch ein wenig Licht verbreiteten, sodass sie nicht völlig im Dunkeln stand. 
Die Englischarbeit hatte ihr heute bereits alles abverlangt, und der darauffolgende Physikunterricht war einfach nur anstrengend gewesen. Dieser Abend war einer von denen, an denen sie einfach eine Kippe brauchte, um nach einer harten Woche wieder runterzukommen und anschließend ruhig schlafen zu können. 
Sie sah auf, als sich ihr jemand näherte, sie bemerkte die Schritte auf dem Kies, die schwarze Silhouette im Augenwinkel. Sie war schreckhafter geworden in der letzten Woche, das war ihr aufgefallen. Und es beunruhigte sie in gewisser Weise. 
Nun stellte sie allerdings fest, dass ihre Alarmbereitschaft vielleicht nicht ganz ungerechtfertigt war. Yuma war neben ihr aufgetaucht. 
Sie seufzte. Es hilft ja alles nichts. „Hey“, sagte sie leise. 
„Hey“, antwortete er ihr und musterte sie dann eingehend. „Rauchst du öfter?“
„Ab und zu“, erwiderte sie und sah auf. „Warum fragst du?“
„Lass’ das. Du verdirbst damit dein Blut.“ 
Müde schmunzelte Harumi. Er will also echt weiter auf dieser Schiene fahren. „Schon klar.“ Sie zog noch einmal an ihrer Zigarette, dann warf sie den Stummel auf den Boden und trat die Glut aus. „Du willst also mein Blut trinken, was?“, hakte sie dann amüsiert nach und steckte die Hände in die Taschen ihrer Jacke. 
„Kann schon sein“, antwortete er ihr und sie konnte sein Grinsen regelrecht hören. 
Harumi seufzte stumm. Im Augenblick kam er ihr nicht besonders bedrohlich vor, aber Himmel, der Schein konnte so sehr trügen … Und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie ganz allein war mit ihm in der Dunkelheit. 
„Du glaubst mir nicht“, sagte Yuma da plötzlich. 
„Huh?“, machte Harumi verwundert. „Was glaube ich dir nicht?“
„Dass ich ein Vampir bin“, antwortete er. 
Harumi seufzte erneut. „Natürlich nicht“, sagte sie. „Vampire gibt es nicht.“ Doch dann hob sie den Kopf und sah ihn offen an. „Oder hast du etwa Vampirzähne, mit denen du mich beißen könntest?“, wollte sie herausfordernd wissen. 
Da grinste Yuma. „Willst du sie ausprobieren?“
„Was bedeutet ,ausprobieren‘?“, wollte Harumi zögerlich wissen. 
„Du kannst sie anfassen“, schlug Yuma vor. 
Oh Mann, dachte Harumi im Stillen, doch dann nickte sie. „Okay.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu und überwand dann ihre Angst.
Heute bin ich nicht betrunken, ich würde nicht zulassen, dass er mich dahin verschleppt, wo ich ihm ausgeliefert bin, sagte sie sich. Sie hatte auch Erfahrung in einigen Selbstverteidigungstechniken, und solange ihr Verstand ungetrübt war, war sie nicht hilflos, auch nicht gegenüber einem Mann wie Yuma. 
Als sie vor ihm stand, ging er vor ihr in die Hocke und Harumi musste unwillkürlich grinsen. „So klein bin ich nun auch wieder nicht“, beschwerte sie sich und kam sich vor wie ein Kind. Doch zugleich wirkte er auch weniger einschüchternd, und das half ihr. 
Mann, ist das bescheuert, dachte Harumi, als Yuma den Mund öffnete und sie nach seinen Eckzähnen tastete. Zugleich war sie jedoch auch überrascht, dass sie tatsächlich ungewöhnlich lang waren. Aber gut, heutzutage ist das auch kein Ding der Unmöglichkeit mehr … „Geschliffen oder prothetisch verlängert?“, wollte Harumi nun wissen, doch im nächsten Augenblick zuckte sie erschrocken zurück, als sie einen stechenden Schmerz spürte. Sie hatte sich tatsächlich an seinen Eckzähnen geschnitten?! Was zum … Entsetzt sah sie ihn an. 
„Weder noch“, antwortete er ihr nun und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf, dann hielt er einen Augenblick inne. „Dein Blut schmeckt bitter“, teilte er ihr schließlich mit. „Es war besser, als du Alkohol getrunken hattest.“
Harumi fehlten noch immer die Worte. 
Yuma stieß daraufhin ein amüsiertes Lachen aus. „Du müsstest dein Gesicht sehen.“ 
Ungläubig starrte Harumi auf den hauchfeinen Schnitt an der Kuppe ihres Zeigefingers. Hat er am Ende vielleicht doch die Wahrheit gesagt? Sie schüttelte entschieden den Kopf. Das ist völlig unmöglich!
„Sag’ mal“, begann Yuma da, während Harumi noch immer mit sich rang. „Gehst du zufällig mit Shu oder Reiji Sakamaki in eine Klasse?“
Diese Frage kam so unerwartet, dass Harumi irritiert aufsah. Dann jedoch schüttelte sie den Kopf. „Nein, wieso fragst du?“, wollte sie verwirrt wissen. 
„Sie sind auch Vampire. Wir hatten in der Vergangenheit einige Probleme mit ihnen und ich wollte dich warnen, für den Fall, dass du Kontakt zu ihnen hast.“ 
„O-okay“, stotterte Harumi und nickte, dann atmete sie tief durch. „Du meinst das wirklich ernst, oder?“, fragte sie dann mit dünner Stimme. 
„Seh’ ich vielleicht aus, als würde ich Witze machen?“, wollte Yuma knapp wissen. 
„Schwer zu sagen“, antwortete Harumi wahrheitsgemäß. „Oh Mann …“ Noch einmal atmete sie tief durch. „Okay … Darf ich dir dazu eine Frage stellen?“
„Meinetwegen“, brummte er und verschränkte die Arme vor der Brust. 
„Ähm … kommt es oft vor … dass du … von irgendwelchen nichtsahnenden Menschen Blut abzapfst?“, wollte sie vorsichtig wissen. Merkwürdigerweise hatte sie nun jedoch trotz allem nicht mehr das dringende Bedürfnis, Abstand von ihm zu nehmen. 
„Nein“, erwiderte Yuma kurz angebunden. „Das letzte Mal ist drei Monate her.“ Er seufzte, als er Harumis zweifelndes Gesicht sah. „Die genaueren Umstände würden dein Vertrauen in mich auch nicht unbedingt wiederherstellen, schätze ich“, murmelte er dann. 
Harumi zog nur die Augenbrauen nach oben, eine stumme Aufforderung. 
„Tch“, machte Yuma genervt. „Na gut. Es war die Freundin meines Bruders …“ 
Er wurde unterbrochen, als Harumi plötzlich ein erheitertes Prusten von sich gab. „Ging es dabei auch um etwas anderes als Blut?“, fragte sie dann belustigt. 
Yuma verschränkte mit finsterem Blick die Arme vor der Brust. „Nein.“
„Okay“, sagte Harumi daraufhin gehorsam. Warum zum Teufel finde ich es jetzt weniger schlimm, in seiner Nähe zu sein?, fragte sie sich zugleich verwundert. Es ist beinahe, als wäre es zu interessant, um sich abzuwenden … und außerdem … hatte er vielleicht einfach nur … Hunger? … Gott, jetzt geht es bergab mit mir … Sie seufzte schwer und sah nun auf den Boden. 
„Ich kann dein Blut noch immer riechen“, sagte Yuma da plötzlich. 
„Und was soll ich deiner Meinung nach tun?“, fragte Harumi trocken zurück. 
„Gib es mir“, forderte Yuma und grinste wölfisch. 
„Du hast gesagt, es ist bitter“, erinnerte Harumi ihn unbeeindruckt. 
„Ich habe aber nicht gesagt, dass mich das stört“, entgegnete Yuma und trat nun auf Harumi zu, und ehe sie zurückweichen konnte, hatte er nach ihrer Hand gegriffen und fuhr mit seiner Zunge über den frischen Schnitt in ihrer empfindlichen Haut. 
„Hey!“, rief Harumi empört aus, doch sie bewegte sich nicht. Interessanterweise betäubte sein Speichel den pochenden Schmerz … Diese Feststellung war jedoch nur aus dem Blickwinkel der Biologie betrachtet bemerkenswert, aus Harumis Perspektive war es schlicht und ergreifend … merkwürdig? Eventuell das. Und ein wenig ekelerregend. „Entschuldige mal, hab’ ich etwa ja gesagt?“, wollte sie wissen und funkelte Yuma herausfordernd an. 
Yuma jedoch grinste nur und dann biss er plötzlich vollkommen unerwartet zu, und Harumi gab einen unterdrückten Schmerzenslaut von sich, während die Schmerzrezeptoren in ihrer Hand ihr unnötigerweise mitteilten, dass etwas nicht in Ordnung war. 
„Au! Spinnst du?!“, fuhr Harumi ihn an und wollte sich ihm nun doch entziehen, aber er hielt sie noch immer am Handgelenk fest und ihre Kraft war, verglichen mit seiner, nichtig. 
„Du bist vielleicht eine kleine Nervensäge“, meinte Yuma mit rauer Stimme und leckte die beiden Blutstropfen auf, die aus ihrem Zeigefinger gequollen waren. 
„Ich fordere nur das Recht ein, selbst über meinen Körper bestimmen zu dürfen!“, wetterte Harumi und musste sich aber selbst eingestehen, dass sie gegen ihn machtlos war. Und vermutlich wäre es besser, ihn nicht wütend zu machen …
Als Yuma ihre Worte vernahm, lachte er nur amüsiert, dann ließ er sie los. 
Zähneknirschend stand Harumi vor ihm und besah sich die beiden Bisswunden, die sie davongetragen hatte. Es hätte schlimmer kommen können, schätze ich, dachte sie und schluckte, als ihr klarwurde, welche Richtung ihre Gedanken einschlugen. Soll ich mich wirklich so einfach geschlagen geben?
„Was ist?“, fragte Yuma da und sah grinsend auf Harumi herab. 
Sie hob den Blick und begegnete dem seinen. „Nichts“, knurrte sie dann. „Ich hoffe, dass alles zu deiner Zufriedenheit gewesen ist“, fügte sie sarkastisch hinzu. 
Yuma stieß ein leises Lachen aus und es hatte einen merkwürdig finsteren Klang. „Ich kann mich nicht beschweren. Das war ein guter Anfang, Kleine.“ 
„Anfang?“, wiederholte Harumi ungläubig. Ich hätte es wissen müssen, dachte sie und fühlte sich wie betäubt. Verrückterweise entsetzten Yumas Worte sie jedoch in Wirklichkeit gar nicht so sehr, wie sie nach außen hin vorgab. Sie hatte es gewusst. Immerhin hat er mich schon die ganze Zeit über nicht mehr in Frieden gelassen … 
Yuma grinste zur Antwort nur sein typisches Wolfsgrinsen. Dann wandte er sich um. „Also dann, Kleine“, sagte er und hob kurz die Hand. „Wir sehen uns.“ 
Drei Worte, die wie eine Drohung klangen. 
Harumi blieb allein zurück und atmete dann tief durch. Sie fühlte sich wie paralysiert, doch vor allem ließ ihr eine Sache keine Ruhe – warum zum Kehricht hatte sie sich gerade einfach so zur Blutkonserve degradieren lassen?
Ärgerlich schnaubte sie. Warte nur, Yuma Mukami … ich bin vielleicht klein, aber alles lasse ich nicht mit mir machen.

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Hey ^.^ Das Kapitel ist leider immer noch nicht wirklich lang gewesen, aber ich bin sicher, irgendwann schaff ich wieder die 3000 bis 5000 Wörter. 

Fervent LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt