VII

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Sorry für die ewige Pause, bin momentan schwer beschäftigt und schaffe deshalb leider nur sehr wenige und unregelmäßige Uploads. Ich hoffe, ihr könnt das verstehen. :)

"Ist es das?", fragte Aiya Théoden und deutete auf einige grüne Hügel etwa einen Kilometer vor ihnen. Ein stummes Nicken war die Antwort, dann kletterte Théoden weiter den Bergpass hinab. Er wusste, wie gefährlich es war, sich so nah an Edoras, der ehemaligen Hauptstadt Rohans, von den schützenden Bergen in das offene Flachland zu wagen und dennoch hatte er darum gebeten. Er musste sie einfach besuchen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Aiya den anderen zunickte, ihnen sagte, dass sie mitkommen konnten, dann setzte er seinen Weg fort, das Ziel immer im Blick. Auch wenn die Erinnerungen, die dieser Weg ihm brachte, schmerzhaft waren, erinnerten sie ihn doch auch an andere, vergangene Zeiten, Zeiten vor dem Krieg, in der ganz Mittelerde in Frieden zusammenlebte. Er musste einfach dort hinunter, er musste einfach mit Sidná sprechen. Die letzten Meter rannte er fast, dann blieb er vor dem ersten Hügel stehen. Aiya war nur knapp hinter ihm und als sie ihn erreichte, wich sie kurz zurück.
"Ich dachte, du wolltest mit jemandem sprechen." Ihre Stimme klang ungläubig und etwas verwirrt.
"Ja", sagte Théoden bloß, auch wenn er wusste, dass sie nicht verstand, mit wem er hier, an diesem Ort, reden wollte.
"Aber... das ist ein Grab!", antwortete Aiya nun völlig verwirrt und mit leicht zitternder Stimme.
Théoden hörte nicht, was sie sagte. Er nahm nichts mehr wahr, nur noch die grünen Hügel vor sich, die Trauerstätte seines Volkes. Hier hatten Kinder ihre Väter und Großväter beweint und diese ihre Kinder. Geschwister hatten wir voller Schmerz gestanden und getrauert und viele Könige hatten den Verlust ihrer Frau mit ihren bitteren Tränen beklagt. Théoden konnte sie fast hören, ihre Klageschreie, ihre schmerzvollen Schluchzer, sogar ihren stummen Schmerz konnte er in diesem Augenblick fühlen. Er hatte gewusst, was hier auf ihn warten würde, doch er hatte nicht widerstehen können. Vorsichtig tastete er sich Schritt für Schritt an den Hügeln entlang und jedes Mal, wenn er einen Fuß vor den anderen setzte und sich ihrem Grab weiter näherte, schienen seine Beine etwas schwerer zu werden. Der Duft der blassblauen Blümchen schien ihn fast zu überwältigen. Immer wenn er den feinen Geruch der zarten Simbelmyne-Pflänzchen roch, stiegen Théoden die schmerzhaften Erinnerungen wieder zu Kopf, Erinnerungen an die Zeit vor dreizehn Jahren.
Die Krankheit war leise und schleichend gekommen. Die ersten Hustenanfälle waren der schlechten Luft in Edoras zugerechnet worden. Man brachte Sidnà in ein größeres Gehöft in der Ostfold, begleitet von Dienern und Wachen. Nur drei Wochen später wurde Théoden ebenfalls dorthin gerufen. Auch der Umzug hatte nicht geholfen, zum schweren Husten war krankhaftes Fieber gekommen. Sie aß kaum noch und wurde mit jedem Tag schwächer. Nur fünf Wochen nach Ausbruch der Krankheit hatte Théoden sie an ihrem Sterbebett besuchen müssen. Der Husten hatte ihr die Fähigkeit zu sprechen beinahe gänzlich genommen, ihre Haut war vom Fieberschweiß nass und heiß und doch lag auf ihren Lippen trotz der Krankheit, die so sehr an ihr gesagt hatte, immer noch ein sanftes Lächeln. Sie hatte ihm nichts mehr gesagt, sondern nur seine Hand umfasst und ihm einen leichten Kuss auf die Wange gedrückt. Nie wieder hatte Théoden eine solche Liebe zu einem Menschen gefühlt wie zu Sidnà, ganz besonders in diesen letzten zwei Minuten, in denen sie sich schweigend angesehen hatten. Nie wieder hatte er dieses Gefühl erfahren dürfen, bis Aiya in sein Leben getreten war. Sie sah Sidnà so ähnlich, hatte die gleichen grauen Augen, die jedoch niemals hart und kalt, sondern stets voller Liebe und Wärme waren. Ihr Gesicht war weich, oft durchzogen von einem sanften, fast zärtlichen Lächeln. All das schoss Théoden durch den Kopf, als er den Weg durch die Grabhügel ging. Er kannte diesen Weg, war ihn schon oft gegangen und so wachte er erst aus seinen Gedanken auf, als er ihren Hügel erreicht hatte.
Das Gras, das über die kleine Kuppel gewachsen war, war etwas gelblich, verwelkt, wie so viele der Pflanzen, die sie hier und unterwegs gesehen hatten. Einzig die Blüten der Simbelmyne standen prächtig und unversehrt wie immer da. An kaum einem anderen Ort fand man so viele dieser Blumen wie hier, auf den Gräbern der Könige Rohans. Wie immer, wenn er hier stand, musste Théoden dem Verlangen, diese unschuldigen und friedlichen Pflänzchen einfach auszureißen, widerstehen. Nichts an diesem Ort war für ihn friedlich, dieser Ort war beladen mit der schrecklichen Last des Todes.
Eine warme Hand legte sich zärtlich auf seine Schulter. Er spürte, dass Aiya zu ihm getreten war, dennoch konnte er seinen Blick nicht von dem Grab abwenden.
"Es ist ihr Grab, oder?", hörte Théoden ihre sanfte Stimme nahe seines rechten Ohres. Théoden war nicht imstande, ihre Frage zu beantworten. Er wusste, dass sie die Antwort auf diese Frage bereits kannte. Wieso trat sie nicht erschrocken zurück? Wieso blieb sie hier bei ihm, wenn sie merkte, dass er immer noch seiner Frau nachtrauerte, dass auch diese dreizehn Jahre seinen Schmerz nicht hatten heilen können? Stattdessen stand die hier bei ihm, die Hand auf seiner Schulter. Er konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Stumm rannen die einzelnen Tropfen über seine Wangen und durch seinen Bart. Eine sanfte Hand wischte sie weg, dann trat eine Gestalt vor ihn hin. Für einen kurzen Moment glaubte er Sidnà dort stehen zu sehen, mit ihren grauen Augen und ihrem warmen Lächeln. Dann erkannte er Aiyas Gesicht, kurz bevor sie ihre Arme um ihn schloss. Théoden hatte weder Willen noch Kraft, sich aus der zarten Umarmung zu befreien. Vollkommen regungslos stand er da, die Augen feucht und im Arm einer über fünfzehn Jahre jüngeren Frau. Er wusste nicht, was er tun sollte, er wusste nicht, wie lange er sich hier nun schon aufhielt, doch offenbar war es zu lang.
Von hinten war ein Räuspern zu hören.
"Es tut mir leid, Théoden, doch wir müssen weiter", sagte Celeborn mit leicht geringschätzigem Ton. "Im Osten wandert wohl eine Orkpatrouille umher, wenn wir nicht schnell ins Gebirge zurückkehren, werden sie und entdecken."
Théoden atmete einmal tief durch, dann nickte er. Aiya hatte sich inzwischen von ihm gelöst und sah ihm in die Augen. Ihr Blick war voller Wärme und Güte, doch auch voller Zuneigung. Auch ihr nickte Théoden kurz zu und formte mit seinen Lippen ein stummes Danke. Dann drehte er sich um und ging an Celeborn und Durin vorbei in Richtung des Gebirgspasses, den sie vor wenigen Minuten verlassen hatten. Mit jedem Schritt, den er sich von ihrem Grab entfernte, fiel die Trauer etwas von ihm ab und als er dann am Fuß des Berges bei Alassen, Tingilya und Thranduil angekommen war, fühlte er sich fast befreit, erlöst von der Last auf seinen Schultern.
"Wir sollten aufbrechen", sagte er mit leicht zitternder Stimme und sah Alassen dabei fest in die Augen. Dieser nickte ihm nur verständnisvoll zu und winkte ihm, ihm zu folgen. Leichtfüßig erklommen die sieben Gefährten den schmalen Pfad, der zum Gebirgspass hinaufführte, dann setzten sie ihren Weg gen Norden, in die Ungewissheit und Gefährlichkeit des Nebelgebirges fort.

Der letzte Silmaril II: Botschaft des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt