XXXIV

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Celeborn stockte kurz der Atem, als er das hörte, dann jedoch begannen sich in seinem zerrütteten Kopf langsam die Teile zusammenzufügen. Er hatte die unglaubliche Macht dieses Wesens gespürt und gesehen, wie sie das Licht um sich in Dunkelheit verwandelt hatte. Sie trug zwei glänzende Steine in ihrer Krone, zwischen denen noch Platz für einen dritten der ihren war. Sie waren von einer solchen Schönheit und Kraft, dass sie sogar die Dunkelheit dieser Gestalt ein wenig erhellten. Dies mussten die Silmaril sein, das größte Meisterwerk der Elben in allen Zeitaltern. Schon immer standen diese Steine mit Morgoth in Verbindung, der sie einst stahl und damit die Fürsten der Elben gegeneinander aufhetzte. Kaum jemand, der sie gesehen hatte, war ihrem Fluch, der ewiges Verlangen nach der Schönheit der Silmaril weckte, entgangen. Nun waren sie für Celeborn zum Greifen nah in der Krone dieser Gestalt und spätestens jetzt war ihm klar, dass sie die Wahrheit sprach. Vor seinen Augen erhob sich Melkor selbst, der gefallene Valar und Fürst der Dunkelheit. Celeborn musste schlucken, eine solche Wendung hatte er nicht erwartet.
“Was wollt ihr von mir?“, fragte der Elb, doch seine Stimme war schwach.
“Nun, Celeborn, ich benötige eure Hilfe.“
“Warum sollte ich euch helfen?“
“Weil diese Entscheidung auch in eurem eigenen Interesse ist.“
Celeborn musste erneut schlucken. Was versuchte Morgoth damit zu bezwecken? “Was wollt ihr von mir?“
“Diese Frage habt ihr bereits einmal gestellt“, antwortete Morgoth mit dumpfer Stimme. “Schließt euch mir an, Celeborn, und ich werde das verfolgen, was auch euer Interesse hat.“
Eine kurze Stille trat ein. Celeborn wusste nicht, was er darauf erwidern sollte. “Was ist mit Théoden passiert?“
“Ihr fragt nach dem Menschen?“ Morgoths Stimme hatte einen überraschten Ton angenommen. “Er ist nun Teil meiner Armee.“
Geschockt sah Celeborn sein gewaltiges Gegenüber an.
“Der Geist der Menschen ist meist leicht zu brechen, sie sind schwach und äußerst nachgiebig“, erklärte Morgoth hämisch lächelnd. “Ich besitze die vollständige Kontrolle über seinen Geist und er dient mir ohne Ausnahme.“
“Wieso tut ihr das nicht auch bei mir?“
“Das Volk der Elben ist seit jeher das mächtigste und stärkste in Mittelerde“, sagte Morgoth. “Nur selten gelang es mir, den Willen eines Elben, dessen Natur sich gegen das Böse richtet, zu brechen und mir untertan zu machen. Die Elben sind stark und ich habe sie seit jeher für ihre Stärke bewundert.“
“Man sagt, sie seien euer größter Feind“, sagte Celeborn. Er spürte, wie Morgoths Worte seine Feindseligkeit gegen den Herrn der Dunkelheit langsam sinken ließ.
“Es ist wahr, Celeborn, kein Volk bekämpft mich schon so lange und verbissen wie das Eure“, erwiderte Morgoth. “In all den Jahren, die ich Arda versklavte, haben sie sich gewehrt und mir getrotzt. Dafür haben sie meinen Hass, aber auch meine Bewunderung erhalten.“
“Was wollt ihr mir damit sagen?“ Celeborns Kehle fühlte sich trocken an, er schluckte abermals.
“Wenn ihr euch mir anschließt, Celeborn, werde ich das Volk der Elben nicht ausrotten“, antwortete der gefallene Valar majestätisch. “Einzig die Minderwertigkeit der Sterblichen, die sich in ihrer Schwäche und Hilflosigkeit durch die Geschichte mogeln, werde ich von diesen Gestaden tilgen. Ich kenne eure Abneigung gegen sie und weiß von eurem Wunsch, die Herrschaft über Arda wieder in die Hände der Erstgeborenen zu geben. Ich werde euch helfen, dieses Ziel zu erreichen. Euer Volk wird nicht ausgelöscht werden und die, die sich mir wie ihr selbst auch anschließen, werden zu meinen Beamten ernannt. Ich werde Mittelerde unter ihnen aufteilen und sie werden es regieren, keinem unterstellt als mir, Melkor Morgoth selbst.“
Celeborn brauchte einen Moment um zu verarbeiten, was Morgoth ihm soeben erzählt hatte. Waren diese Zukunftsideen nicht jene, die er selbst seit Jahren pflegte? Die Elben würden zu alter Stärke zurückgeführt werden und schlussendlich wären sie in der Lage, Morgoth zu stürzen und die Sterblichen Mittelerdes zu unterwerfen. Das Einzige, was er dafür tun musste, war, dass er sich hier und jetzt Morgoth unterwarf. Eines Tages wäre der Zeitpunkt gekommen, an dem er auf diesem Thron sitzen würde und den gefallenen Valar abermals und endgültig fallen sehen würde. Die Elben würden wie in den Zeiten von Doriath und Gondolin über Mittelerde herrschen und die Unwürdigen, Zwerge und Menschen, wären endlich wieder an ihrem rechtmäßigen Platz angekommen. Celeborn erkannte, dass es seine Bestimmung war, das glorreiche Volk der Erstgeborenen wieder an die Spitze dieser Lande zurückzuführen.
Dennoch, auch wenn sein Kopf zu dieser Schlussfolgerung kam, spürte er tief in sich etwas, das ihn davon abhielt, auf Morgoths Angebot einzugehen. Er war ein Sohn des Elbenvolkes, seit jeher bekämpften sie Morgoth. Alle Elben, die sich seit Anbeginn der Zeiten dem gefallenen Valar unterworfen hatten, waren in Tod und Schande geendet und auch wenn Celeborn wusste, dass für ihn dieser Zusammenschluss nur eine Verbündung auf kurze Dauer war, nagten ihn ihm Zweifel.
Langsam schluckte er, dann sah er auf. Morgoth stand immer noch vor ihm und wartete mit einem leichten Grinsen auf seine Antwort.
“Gebt mir Zeit“, sagte Celeborn schließlich. “Ich muss über eure Worte und euer Angebot nachdenken.“
“Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, Celeborn“, antwortete Morgoth lächelnd. “Ich bin mir sicher, dass ihr die richtige Entscheidung treffen werdet.“
Celeborn nickte und drehte sich um, um den dunklen Thronsaal zu verlassen. Plötzlich kam ihm ein Gedanke und er wandte sich nochmal zu der riesigen Gestalt um.
“Was ist mit den Maiar geschehen?“
Morgoth legte erneut ein hämisches Grinsen auf. “Ihr Schicksal interessiert euch.“
“Hätte ich sonst gefragt?“ Celeborn war müde und erschöpft, langsam zehrte dieses Gespräch an seinen Nerven.
“Sie sind hier, Celeborn“, antwortete Morgoth, “zumindest zwei von ihnen. Ich habe sie herbringen lassen, um Informationen über eure Reise zu erhalten, doch diese kann ich nun auch durch euch und euren menschlichen Gefährten bekommen.“
“Wo sind sie und was ist mit dem Dritten?“
“Wenn ihr wollt, führe ich euch zu ihnen“, sagte Morgoth gelassen.
“Sie sind gleich dort hinten“, fuhr er fort und deutete auf einen kleinen Durchgang im hinteren Teil des Saales. “Und was den dritten der Istari angeht... sagen wir, er war nicht bereit, mir die Dinge zu geben, die ich haben wollte. Wer sich meinen Fragen verweigert, lebt nicht lange und die meine Macht ist größer als die aller Maiar. Seht es als Warnung an, Celeborn: Wenn ihr euch mir anschließt und mich verratet, wird euch das teuer zu stehen kommen.“

Der letzte Silmaril II: Botschaft des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt