Fünf

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Als ich endlich an dem Strand ankomme, welchen ich seit knapp einem Jahr mein zu Hause nenne, kann ich bereits von der Klippe aus erkennen, dass das tägliche Lagerfeuer, welches in der Dämmerung immer entfacht wird, nur noch aus den glühenden Überresten besteht und die meisten Strandbewohner bereits schlafen gegangen sind. Der hell leuchtende Mond am Himmel macht es mir einfacher den Weg nach unten zum Strand unbeschadet zu überstehen.

Mein Bedarf an Gesellschaft für heute Abend ist bereits gedeckt, weshalb ich mich schnell in einer der Felsspalte zurückziehe, in welcher ich mein Lager aufgeschlagen habe. Ich schiebe die Zeltplane beiseite, die den Regen und auch Wind etwas abfangen soll, bevor ich mich erschöpft auf meine Matratze mit den dazugehörigen Decken und Kopfkissen fallen lasse. Um etwas sehen zu können, schalte ich eine batteriebetriebene Lichterkette an, welche sogleich für ein schummriges Licht sorgt.

Betrüb starre ich auf die Steinmauer nur wenige Zentimeter über mir. Ich sehe mich in dem kleinen Unterschlupf um. Was hätte ich denn Viktoria schon zu bieten? Sie ist eine Frau, die offensichtlich andere Lebensverhältnisse gewohnt ist, als ich sie bevorzuge. Diese fixe Idee von einem möglichen Leben mit ihr, die mich heimgesucht hat, als ich sie davon abhalten wollte den Antrag anzunehmen, ist nichts weiter gewesen, als genau dies - eine fixe Idee. Eine Frau wie Viktoria würde sich nie für solch einen schlichten Lebensstil entscheiden.

Bis auf eine Reisetasche mit meiner Kleidung, welche direkt neben meiner dunkelroten Akustikgitarre steht, besitze ich im Grunde nichts weiter. Nur ist es nicht so, dass mir mein Hab und Gut gestohlen wurde, sondern vielmehr, dass ich mich ganz bewusst für dieses spartanische Leben entschieden habe.

Bis ich Louis kennengelernt habe und er mir von dieser Art zu leben erzählt hat, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass man auch ohne Internet, fließend Wasser und Strom zufrieden und glücklich sein kann. Wobei ich zu der Zeit, als ich Louis kennengelernt habe schon eine ganze Weile nicht mehr zufrieden, oder gar glücklich war und ich es daher auch ohne ihn besser hätte wissen müssen.

Im ersten Augenblick, als mir Louis von dem Strand und dass er dort leben würde, erzählt hat, habe ich geglaubt, dass er mir einen Bären aufbinden möchte. Ich habe mit meiner Meinung nicht hinter dem Berg gehalten und ihm direkt ins Gesicht gesagt, dass er ein verrückter Neuzeithippie sei, wenn er freiwillig so leben würde. Mein mittlerweile bester Freund zeigte sich wenig beeindruckt davon, dass ich mich über ihn lustig machte. Stattdessen meinte er nur, ich sollte nicht über etwas urteilen, das ich nicht selbst ausprobiert hätte. Dennoch lehnte ich zuerst ab, als er mich spontan einlud, ihn mit zu dem Strand zu begleiten. Ich war überheblich und hielt ihn einfach nur für bescheuert. Seine quirlige und offene Art widerstrebe mir damals zutiefst. Heute ist mir bewusst, dass es nicht Louis ausgelassenes Wesen war, das mich gestört hat, sondern dass ich vor allem mit mir selbst unzufrieden war.

Als ich mich schlussendlich doch dazu durchringen konnte Louis nach einer gemeinsamen Schicht im Hotel hierher zu begleiten, fühlte ich mich das erste Mal, seit ich auf dieser Insel gelandet war, angekommen. Die Mitglieder der Gemeinschaft behandelten mich, als würde wir uns schon jahrelang kennen und so befreit von all dem Frust, der sich bei mir angesammelt hatte, war ich bis dato noch nie gewesen.

Zwei Tage später kündigte ich meine Wohnung, überließ, für umsonst, die Möbel und auch Elektronikgeräte dem Nachmieter und packte ein paar Kleidungsstücke zusammen. Alle persönlichen Gegenstände, bis auf ein Foto, auf dem ich gemeinsam mit meiner Schwester abgebildet bin, entsorgte ich. Sie riefen ohnehin nur schlechte Erinnerungen hervor und genau davon wollte ich damals endlich loskommen.

Ich wollte mich nicht mehr fragen, was mit mir falsch war. Warum man mich wie Dreck behandelt hatte. Ich wollte nicht mehr dem Druck der Gesellschaft ausgeliefert sein, in welcher es im Grunde nur darum ging, etwas zu präsentieren und dies zog sich durch fast alle Gehaltsschichten. An diesem Punkt in meinem Leben wollte ich mich endlich auf mich selbst konzentrieren. Wollte lernen mich zu akzeptieren und auch mit den Konsequenzen meiner Entscheidungen, auch wenn ich falsche getroffen hatte, zurecht zu kommen.

Ich fing im Grunde bei null an. Okay noch immer besaß ich ein Konto, auf dem sich eine nicht unerhebliche Summe Geld befand, doch auch schon vor meiner Entscheidung mich der Kommune anzuschließen, hatte ich dieses, wie ich fand, schmutzige Geld nicht angerührt. Es war eine Bezahlung gewesen, die ich nicht wollte, für etwas das ich freiwillig gegeben hatte. Man wollte mit diesem Geld erreichen, dass ich schwieg, oder noch besser einfach verschwand. Ich hielt zwar meine Klappe, aber nicht um denen einen Gefallen zu tun, sondern weil ich mich für meine eigene naive Dummheit schämte. Doch von dieser Insel zu verschwinden war nie eine Option, weil ich nicht wusste, wo ich hätte sonst hingegen sollen.

Mit meiner Reisetasche, meiner Gitarre und dem Foto stand ich also an diesem Strand. Louis lies mich die ersten Nächte bei sich schlafen, danach verbrachte ich ein paar Monate in einem Zelt, bevor ein ehemaliges Mitglied unserer Gemeinschaft sich entschied weiterzuziehen. Er vermachte mir seinen Unterschlupf, welchen ich natürlich gerne übernahm. In den Felswänden zu schlafen war etwas komfortabler, als in einem Zelt, vor allem wenn das Wetter im Herbst und Winter hin und wieder etwas ungemütlicher wird.

Von draußen höre ich die Wellen rauschen und rieche die salzige Luft. Wieder wandern meinen Augen durch die Dunkelheit und wieder driften meine Gedanken zu Vicky.

Noch immer kann ich nicht begreifen, warum sie wirklich „Ja" zu diesem Kerl gesagt hat. Dass, sie keine glückliche Beziehung geführt haben, dessen bin ich mir absolut sicher. Warum auch sonst hat sie sich auf den Flirt mit mir eingelassen? Sie wirkt nicht wie eines dieser Mädchen, die mit jedem dahergelaufenen Typen in die Federn springt. Auf der anderen Seite hatte sie am selben Abend sowohl Sex mit mir, als auch mit diesem Arschloch gehabt.

Vielleicht habe ich mich doch in dieser Frau getäuscht und sie wollte nur einmal etwas wagen. Ein kleiner Flirt, ein unverfänglicher One-Night-Stand, einmal die verdorbene Seite, welche in ihr schlummert, ausleben, wo sie doch sonst immer das artige Mädchen zu sein scheint. Verdammt und ich hatte das nicht bemerkt. Im Grunde habe ich mich wieder einmal verarschen lassen, weil ich mich nicht an meine oberste Regel gehalten habe. Gefühle zulassen tut immer weh.

Wut auf mich selbst, aber ebenso auf Viktoria kriecht in meine Eingeweide. Nervös kralle ich meine Finger in die Matratze. Ich bemerke, wie mich eine Unruhe ergreift, ich mich abreagieren muss. Mein Blick wandert zu der Gitarre, etwas darauf zu spielen hat mir oft geholfen seit ich an diesem Strand lebe, aber jetzt gerade weiß ich, dass es nicht reichen wird, um mich zu beruhigen.

Entschloßen etwas zu tun, dem ich eigentlich abgeschworen hatte, nicht zuletzt, weil es mir schaden kann, stehe ich auf und mache mich erneut auf den Weg, die Klippen hinauf.


Hallo, hattet ihr ein schönes Wochenden?

Wir ja, wir waren im Wildpark (so richtig klisheemäßig ^^)

Ja, habt ihr vielleicht eine Vermutungen, was Harry in der Vergangheit passiert sein könnte?

Bitte das Sternchen nicht vergessen, wenn ihr das Kapitel mochtet und ich wünsche euch noch einen schönen Sonntag.

Anni


Opposing Lives || Band II   *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt