Zwei

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Viktoria

Acht Wochen sind vergangen seit ich dem Antrag von Niall zugestimmt habe und obwohl ich zurück in Berlin bin und geglaubt habe hier könnte wieder alles seinen gewohnten Gang gehen -dass ich die Geschehnisse auf Teneriffa vergessen könnte -, ist dem nicht so.

Immer wieder sind es die grünen Augen und der Unglaube darin, als ich mein Versprechen an Niall gegeben habe, die mich in den ungünstigsten Momenten heimsuchen. So auch jetzt, in dieser geräumigen Garderobe. Ich bin umringt von unzähligen teuren Kleidern. Einige davon kosten sicherlich so viel wie ein guter Gebrauchtwagen.

Ich betrachte mich im Spiegel. Meine Haut ist blass, mein Blick ist starr. Verzweifelt schlage ich die Hand vor den Mund und frage mich, wie ich es nur soweit kommen lassen konnte. Ein ersticktes Schluchzen bahnt sich seinen Weg meine Kehle hoch und wird nur von dem plötzlichen Erscheinen der Angestellten des Brautmodenladens übertönt.

„Dann wollen wir mal beginnen."

Euphorisch klatscht sie in die Hände, so als könne sie sich keinen besseren Job vorstellen, als der, bei welchem sie Frauen in die aufwendigsten Tüll- und Seidenkleider hilft.

Ihr Blick kreuzt meinen im Spiegel und ihre Euphorie bekommt Risse, als sie mich ansieht.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?", erkundigt sie sich besorgt bei mir, woraufhin ich nur nicke und mich an einem zaghaften Lächeln probiere.

Prüfend sieht sie mich einige Sekunden länger an, bis sie sich endlich dazu entscheidet mir zu glauben. Erneut in ihrem Element wendet sie sich der Kleiderstange zu, auf welcher eine Auswahl an den Kleidern hängt, die mir laut aller Anwesenden so unglaublich gut stehen sollen.

„Haben Sie einen Favoriten? Mit welchem Kleid wollen Sie beginnen?", versucht sie mich mit ihrer Begeisterung anzustecken.

Bevor ich allerdings nur teilnahmslos und desinteressiert mit den Schultern zucken kann, meldet sich meine Mutter bestimmt zu Wort. Gemeinsam mit meiner zukünftigen Schwiegermutter, sowie Mel (die einzige Person in meinem Leben, die einer Freundin nahekommt und somit die Rolle meiner Trauzeugin eingenommen hat) sitzt sie vor der Kabine und wartet darauf, dass ich mich ihnen endlich präsentiere.

„Nehmen Sie das Elfenbeinfarbene aus der neuen Kollektion zuerst, das mit den aufwendigen Stickereien am Rücken."

Die Verkäuferin greift nach dem geforderten Kleid und fragt mich stumm, um meine Zustimmung, ob ich damit beginnen möchte. Ich nicke einfach nur. Wozu soll ich mich auch gegen den Willen meiner Mutter stellen. Sie wird ohnehin keine Ruhe geben, bis sie dieses Kleid an mir gesehen hat, schließlich hat sie es ausgesucht.

Bereits als sie es im Schaufenster gesehen hat, konnte sie ihre Begeisterung nicht zurückhalten. Genauso wenig wie ihre Vorstellung von den Hochzeitsfotos und wie elegant und glamourös Niall und ich am Ende auf diesen aussehen würden. Perfekt für die Zeitung.

Ich lasse mir in das Kleid helfen und meide den Blick in den Spiegel, während die Verkäuferin geduldig die kleinen Knöpfe am Rücken verschließt.

Eigentlich sollte das hier doch einer der großen Momente im Leben einer Frau sein. Welches weibliche Wesen sehnt nicht den Tag herbei an dem es endlich eines dieser tollen Roben anprobieren kann für ihren großen Tag?

Doch bei mir will sich nicht einmal jetzt diese Aufregung einstellen. In mir herrscht seit dem Ja-Wort eine Leere. Alles geschieht und passiert um mich herum, ohne dass ich wirklich daran teilnehme. Ich bin nur eine Statistin, obwohl ich doch die Hauptrolle einnehmen sollte.

Meine Mutter hat die Organisation an sich gerissen. Unterstützt wird sie von einem Weddingplaner, der auf den Namen Antonio hört und meiner Schwiegermutter, die hin und wieder auch eine Idee einwirft, welche dann akribisch von Antonio und meiner Mutter auseinandergenommen wird. Am Ende bleibt meist von Mauras ursprünglichem Gedanken nicht viel übrig, aber trotzdem ist sie noch immer mit vollem Enthusiasmus dabei, einfach weil sie sich wirklich darüber freut, dass Niall und ich endlich heiraten. Ganze ohne Hintergedanken und das tut mir weh. Ich will nicht daran schuld sein, dass Maura traurig ist, genauso wenig wie Niall.

Seit wir wieder in Berlin sind hat er sich zusehends entspannt. Jetzt, wo nicht mehr die Gefahr besteht, dass Harry plötzlich als Konkurrent auftaucht, behandelt er mich mit der gleichen Vorsicht und demselben Respekt wie auch früher. Und dennoch es fällt es mir sichtlich schwer, all das zu vergessen, was auf Teneriffa zwischen uns vorgefallen ist. Er hat eine Seite an sich gezeigt, die mich abgeschreckt hat. Nialls Handeln ist vielleicht der Tatsache zuzuschreiben, dass er Angst hat mich zu verlieren und er es aus diesem Grunde alles nicht so gemeint hat, dennoch konnte ich einen Blick auf eine dunkle Facette seiner Persönlichkeit erhaschen und diese Tatsache kann ich nicht so leicht verdrängen.

Diese dunkle Seite ist auch daran schuld, dass ich mich nicht traue Niall die Wahrheit zu sagen. Ihm zu sagen, dass mir das alles hier viel zu schnell geht. In wenigen Wochen ist bereits der Termin und mit jedem Tag, an dem dieser näher rückt, wird mir nur bewusster, dass ich nicht bereit bin. Doch ich kann nicht ehrlich sein, weil ich Angst habe, dass dann erneut die schlechte Seite seines Charakters zum Vorschein kommt. Mich dagegen zu wehren, dafür bin ich zu schwach, dass ich hier nun in einem Brautkleid stehe, ist Beweis genug dafür.

„Fertig", reißt mich die Verkäuferin aus meinen Gedanken.

Noch immer ist mein Blick gesenkt und ich wage es nicht, diesen zu heben und mich im Spiegel zu betrachten.

„Was dauert denn da so lange? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit. In zwei Stunden müssen wir in der Konditorei sein, um die Torte zu besprechen. Antonio hat mir gerade eine Nachricht geschickt, wie wichtig dieser Termin ist", meldet sich erneut meine Mutter zur Wort.

„Sie scheint voll in ihrem Element zu sein", bemerkt sie Verkäuferin spitz und ihr Blick lässt ahnen, dass sie in diesem Moment Mitleid mit mir hat.

„Meine Mutter will nur, dass alles perfekt wird", flüstere ich, sodass meine Worte ausserhalb der Kabine nicht zu verstehen sind.

Für wen es perfekt sein soll, lasse ich unausgesprochen im Raum stehen. Aber ein weiterer Wimpernschlag Richtung Verkäuferin zeigt mir, dass sie, obwohl sie mich nicht kennt, zu verstehen scheint.

Und unweigerlich drängt sich mir die Frage auf, ob sie in ihrer beruflichen Laufbahn vielleicht schon öfter solch ein Szenario erlebt hat.

Hallo, es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat und noch immer kann ich keine Versprechungen machen, dass es schneller weiter gehen wird. Ich freue mich über jeden der noch immer dabei ist und ich wünsche euch, wenn auch etwas spät ein Frohes neues Jahr.

Anni

Opposing Lives || Band II   *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt