Harry
Gute-Laune-Musik mit einprägsamen, aber hirnlosen Texten und einer Melodie, die mich an meine Kindergartenzeit erinnert, dudelt aus den knarzenden Lautsprechern an der Decke. Die Luft riecht verbraucht, bunte Lichter zucken immer wieder auf, während junge Touristen ihre Körper aneinander reiben, immer auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer im Urlaub.
Die Musik ist so laut, dass ich im ersten Moment gar nicht mitbekomme, wie eine Dunkelhaarige mich von der Seite her anspricht. Erst als sie mit ihren viel zu langen und buntbemalten Kunstnägeln über meinen Oberarm streichelt und sich sogleich eine unangenehme Gänsehaut von dieser Stelle über meinen ganzen Körper erstreckt, erhält sie meine Aufmerksamkeit.
Ihre Lippen sind viel zu rot geschminkt, ihr dunkles Make-Up um die Augen herum lässt mir keine Chance die Farbe ihrer Iris zu erkennen.
„Willst du mich nicht auf einen Drink einladen?", brüllt sie mir in einem Versuch auf diesem Weg die Musik zu übertönen entgegen.
Ich gebe mir gar nicht erst die Mühe, mit Worten zu antworten, stattdessen schüttle ich nur energisch mit dem Kopf und wende mich von der aufdringlichen Touristin ab. Ohne mich noch einmal umzusehen, weiß ich, dass ich sie mit meiner Abfuhr verletzt habe und sie mir sicherlich gerade die Krätze an den Hals wünscht. Mir ist das jedoch egal, ich will hier keine Frauen aufreißen.
Missmutig schreite ich also auf die Bar zu. Auf der Suche nach einem neuen Kellnerjob bin ich an diesem lauen Sommerabend in der Diskothek gelandet. Draußen hing ein Aushang auf dem verkündet wurde, dass man noch Personal für die Hauptsaison suchen würde.
Meine Hoffnung, hier fündig zu werden und so endlich durch die Arbeit Ablenkung von meinen trüben Gedanken zu finden, haben sich direkt in Luft aufgelöst, als ich mich die ersten Zentimeter durch eine lautjohlende Männermeute gekämpft habe, die sich wie eine Horde Gorillas auf Weibchenjagd aufführt.
Augenblicklich ist mein Interesse an dem Job auf ein Minimum reduziert worden und der letzte Rest verschwindet, als ich meinen Blick über den Barbereich schweifen lasse. Verstaubte Flaschen als Dekoration in der Wand, Gläser übersät mit schmierigen Fingerabdrücken, welche den Gästen dennoch als sauber angeboten werden und billiger Fusel, von welchem man am nächsten Tag einen hundertprozentigen Kater hat, wenn man sich auch nur ein Glas davon gönnt. Ich würde im Moment einiges tun, um meine trüben Gedanken zerstreuen zu können, aber in so einer Spelunke zu arbeiten geht dann doch zu weit. Zum Glück bin ich nicht auf das Geld, was ich hier verdienen würde angewiesen.
Entschlossen, dass ich hier nicht nach einem passenden Zeitvertreib fündig werde, mache ich mich schnellstmöglich daran, diesen Schuppen wieder zu verlassen.
Mittlerweile sind bereits fünf Jahre auf dieser Insel vergangen, nachdem ich meine Heimat England mit naiven Ambitionen im Herzen verlassen habe und trotzdem hat es mich in diese Straße, welche ausschließlich für das abendliche Vergnügen der Urlauber gedacht ist, bisher nur zwei Mal verschlagen. Das erste Mal kurze Zeit nach meiner Ankunft, wo ich mich selbst noch wie ein vergnügungssüchtiger Tourist auf Weibchenjagd aufgeführt habe und das zweite Mal heute Abend. Während ich mich auf den Weg zurück zu der Ecke mache, wo ich Thunder, meinen Roller, geparkt habe, beschließe ich für mich, dass mein heutiger Ausflug in diese Ecke der Insel der Letzte in meinen Leben war.
Als mir der laue Fahrtwind ins Gesicht weht, indes ich auf der leeren Straße entlangfahre kommen die Erinnerungen an die Rothaarige zurück. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und lasse dies zu.
Ich weiß noch genau, wie wir zusammen auf diesem Moped gesessen haben, nachdem ich ihr gezeigt habe, wo man auf der Insel den besten Blick auf die Sterne hat. Die Idee, ihr diesen Ort zu zeigen, ist spontan entstanden. Ich habe sie zwar um das Treffen mit Louis Hilfe gebeten und auf sie gewartet, aber einen wirklich Grund hatte ich nicht. Rückblickend hätte das wohl das erste Warnsignal für mich sein sollen, dass ich wieder einmal auf mein Herz statt auf meinen Verstand zu hören schien.
Mit jeder Minute, die verstrich und ich alleine auf dem Hotelparkplatz gewartet habe, ist meine Hoffnung, dass sie noch auftauchen würde, gesunken. Als die junge Frau meines da bereits ehemaligen Chefs dann endlich in dem atemberaubenden grünen Kleid auf mich zugekommen ist, musste ich erst einmal schwer schlucken. Sie hat lediglich zu viel Make-up aufgetragen, welches ihre natürliche Schönheit im Grunde mehr versteckte als zu unterstreichen. Während ich so locker, wie es mir in dem Moment möglich war, von der kleine Mauer gehüpft bin, versuchte ich die Fassung über ihr Erscheinen wiederzuerlangen.
Sie hat an diesen Abend erneut niedergeschlagen und nachdenklich gewirkt, wobei wenn ich jetzt zurückdachte, tat sie das fast immer - bis auf ein paar wenige Ausnahme. Eine davon ist der Augenblick gewesen, als wir hinauf in die Sterne sahen und wir uns später küssten. Ich hatte es wirklich nicht darauf angelegt und trotzdem konnte ich innerlich nur jubilieren, als unsere Lippen sich das erste Mal getroffen haben.
Aber dennoch ist das nicht das Einzige, was mir in Erinnerung von dieser Nacht geblieben ist. Nein viel mehr kann ich nicht vergessen, dass Vicky am Anfang nicht einmal begriffen hat, warum ich soweit mit ihr gefahren bin. Ich ihr erst das für mich Offensichtliche zeigen musste, bevor sie schließlich voller Begeisterung in den Himmel geschaut hat.
Es hat in mir den Eindruck erweckt, als hätte Vicky zum ersten Mal wirklich etwas erkannt und ob das nur die Sterne waren, welche über uns funkelten, oder vielleicht doch mehr, das war es, was ich herausfinden wollte. Das ist es, was mich so sehr an ihr fasziniert.
Das Hupen eines entgegenkommenden Autos auf der anderen Fahrbahn, der ich mich immer weiter aufgrund meiner Leichtsinnigkeit genährt habe, holt mich unsanft aus meiner Erinnerung. Erschrocken reiße ich die Augen auf und den Lenker des Rollers in der selben Sekunde nach rechts. Zum Glück bin ich mit nur geringer Geschwindigkeit unterwegs, als ich ins Schleudern gerate und inklusive Gefährt auf den grauen Asphalt rutsche.
Ein lautes Quietschen, als das Blech der Mopedverkleidung über den Straßenbelag schlittert und ein Fluchen meinerseits erfüllt die Nacht. Mit dem Gesicht voran lande ich am staubigen Fahrbahnrand.
Ich schmecke trockenen Waldboden, als ich mich mühevoll aufraffe. Thunder liegt nur wenige Zentimeter von mir entfernt. Zum Glück trage ich einen Helm und bis auf ein paar Schrammen und Kratzer kann ich nichts entdecken, als ich mir den Dreck von meiner Jeans und meinem Shirt klopfe.
Das Moped hingegen ist nicht ganz so glimpflich davongekommen, tiefe Kratzer zieren die linke Seite.
„Scheiße, Louis wird mich umbringen, wenn er das sieht", ächze ich als ich unseren Roller vom Boden aufhebe.
Ich schicke ein Stoßgebet gegen den Himmel, während ich einen Versuch wage, das Moped erneut zu starten. Meine Hoffnung, dass es noch fahrtauglich ist und die dazugehörigen Gebete scheinen ins Nirwana zu verlaufen, denn Thunder gibt keinen Mucks mehr von sich.
„Ja klasse, jetzt darf ich auch noch die restlichen Kilometer laufen", sage ich zu mir selbst.
Ohne langes Zögern setze ich mich schließlich gefrustet, genervt und wütend auf mich selbst in Bewegung, wobei ich darauf achte, dass ich soweit wie möglich rechts am Straßenrand laufe, um nicht noch wegen meiner Unachtsamkeit und meiner sentimentalen Gefühlsduselei überfahren zu werden.
„Ich muss sie vergessen, sie bringt nur Unglück", schwöre ich laut zu mir selbst und verbiete mir ab sofort jeden weiteren Gedanken an die Rothaarige.
Ablenkung ist das, was ich dringend benötige.
Und zum Wochenende ein Update und das auch noch aus Harrys Sicht ...
Was glaubt ihr wird er nun tun? Wirklich "Ablenkung" suchen und finden? Oder vielleicht doch den Arsch hochbekommen und vielleicht Vicky retten? xD
Und danke, dass doch noch so viele geblieben sind, das freut mich ungemein und ich weiß es ehrlich zu schätzen, dass ihr so geduldig mit mir seid. Ich mag euch einfach!
Anni
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Opposing Lives || Band II *pausiert*
Fanfikce-Fortsetzung von Opposing Worlds- Viktoria hat sich entschieden, für Niall und ein Leben in Sicherheit, aber ohne echte Gefühle. Doch obwohl sie die Hochzeit mit ihrem langjährigen Partner plant, lässt der Gedanke an Harry sie nicht los. War ihre E...