Kapitel 09 ❀ secrets

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RAFAEL

Schon die Hälfte des Tages hatte ich nun starr im Gemach Aliénors - oder Ihrer Majestät, wie ich sie nun ansprechen sollte - neben der Tür verweilt, mit dem Blick nach vorn gerichtet, auch wenn ich diesen schwer von ihr lassen konnte.

Zwar hätte ich wohl nie erwartet, dass dies überhaupt möglich sei, doch war sie noch hübscher in der Zeit meiner Abwesenheit geworden. Ansonsten war sie genauso anmutig und liebreizend, wie ich sie kennengelernt hatte.
Sie war jedoch die Kaiserin. Abgesehen davon, dass sie mir das Herz in diesem eiskalten Winter gebrochen hatte, war es mir strikt untersagt, sie auch nur anzulächeln. Das würde dieses Mal wahrscheinlich zu meiner Exekution führen.

Wiederum konnte ich es nicht verhindern, sie ab und zu mal von hinten zu betrachten. Ich bewunderte sie dafür, dass sie so ruhig mit der Tatsache, dass ich nun rund um die Uhr in ihrer Nähe sein würde, umging. Ihre Zurückweisungen bereiteten mir jedoch keinen Herzschmerz mehr - nein, da war ich mir ganz sicher.

Aliénor studierte schon den ganzen Tag einige Dokumente und flüsterte ein paar fremdsprachige Sätze vor sich hin. Schließlich vergrub sie das Gesicht in den Händen und atmete einmal tief durch, bevor sie sich ihr blondes Haar zurückwarf.

„Stimmt etwas nicht, Majestät?", konnte ich es mir schließlich nicht verkneifen, und biss mich etwas verärgert auf die Unterlippe.
Langsam drehte sie ihren Kopf um 90 Grad, sodass ich ihr Gesicht von der Seite betrachten konnte. „Was sollte nicht stimmen? Was wollen Sie?"

Ich erlaubte mir, etwas vorzutreten.
„Majestät, wir kennen uns schon so lange", säuselte ich schließlich. „Ich weiß, wenn Euch etwas fehlt."

Natürlich war mir voll und ganz bewusst, dass mir so etwas eigentlich nicht zustand, doch meine Neugier war nicht zu bändigen. An sich würde dies eigentlich für mein immer noch existierendes Interesse an ihr sprechen. Jedoch verwarf ich diesen Gedanken ganz schnell wieder. Und selbst wenn ich an ihr interessiert war... es wäre nur auf körperlicher Ebene.
Aliénor erhob sich augenblicklich. „Was fällt Ihnen-"

„Majestät", unterbrach ich sie mit sanfter Stimme und trat noch näher an sie heran, sodass uns nur noch ein-zwei Schritte uns trennten. „Ihr braucht gar nicht erst versuchen, es zu verstecken. Seitdem ich Versailles verließ, hat sich Vieles verändert. Ihr seid nun Kaiserin von Frankreich, Königin von Navarra... Und wie ich sehe..."
Ich nickte hinüber zu ihrem Schreibtisch. „... ist Vieles schwieriger, als gedacht."

„Was Sie nicht sagen", erwiderte sie mit knirschenden Zähnen. „Ich muss äußerst viel lernen und mich ständig anpassen."

„Das muss für einen Freigeist, wie Ihr es seid, ja äußerst schlimm sein", bemerkte ich, woraufhin ihre hellblauen, klaren Augen zu mir aufzuschauen.

Sie entgegnete nichts auf meine Bemerkung. Am liebsten hätte ich mich selbst dafür geohrfeigt, dass ich ihre Schönheit nahezu vergessen hatte.
„Jedoch weiß ich eines, was sich keineswegs verändert hat", hauchte ich und beugte meinen Kopf vorsichtig hinunter.

Ihre Augen weiteten sich augenblicklich und ich spürte ihren Atem auf meinen Lippen. Jedoch spielte es keine Rolle, wie verlockend das Angebot war; ich küsste sie selbstverständlich nicht.
„Eure Schönheit ist unverändert", meinte ich mit einem leicht provozierenden Unterton und nahm meinen Kopf zurück.

„Ich dachte...", begann sie leise und blinzelte unwillkürlich, ehe ich sie schmunzelnd unterbrach. Sie schien verwirrt: „Dachtet Ihr ich würde Euch-?"

PRINCESS OF DAISIES  ᵗᵉⁱˡ ᵈʳᵉⁱWo Geschichten leben. Entdecke jetzt