Kapitel 12: Bittere Wahrheit

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Endlich da war der Ausgang. Ich rannte sofort raus Richtung Bahnhof, ohne auf die Straße zu schauen. Lautes hupen und grelle Lichter kamen viel zu schnell auf mich zu und ich erstarrte. 20 Meter, 15 Meter, 10 Meter. Das Auto würde mich voll erwischen, es würde es nicht schaffen, rechtzeitig stehen zu bleiben. Plötzlich fiel ich nach hinten. Collin riss mich zurück.

„Du kannst doch nicht einfach auf die Straße rennen und stehen bleiben bist du bekloppt ?!", schrie er mich an. Ich war immer noch wie gelähmt. Es hörte sich an, als würde er jemand hinter mir anschreien, aber nicht mich. Er zog mich auf die Beine und rüttelte mich an den Schultern. „Bist du noch ganz sauber? Du könntest Tod sein."; wütete Collin weiter.

„Ich... eh.. Es tut mir leid. Ich muss gehen... Ich muss hier sofort weg. Ich.. Kein Arzt, alles nur kein Arzt:", stammelte ich panisch und verwirrt, unter dicken Tränen vor mir her.

„Hey. Ehm. Nicht, nicht weinen. Ein Arzt, also sich untersuchen lassen ist doch nichts Schlimmes.",versuchte er mich zu beruhigen, während er mich ansah, als käme ich vom Mond.

„Du hast doch keine Ahnung.", schrie ich ihn an. Ich kramte in meiner Hosentasche nach dem Foto und warf es ihm vor die Füße:„ Ich hab dich nicht verfolgt. Ich wollte dir das nur wieder geben und mich bedanken. Danke. Danke fürs Helfen und jetzt fürs Leben zerstören. Du hast doch keine Ahnung, was du da anrichtest." Panik und Wut vermischten sich in mir drin zu einem einzigen Gefühl. Ich konnte es nicht beschreiben, aber es schnürte mir die Kehle zu.

Zudem wollten dir Tränen einfach nicht versiegen. Nach einigen Minuten der Stille und Schockstarre rannte ich mal wieder einfach los, diesmal aber über den Zebrastreifen und lies einen total verstörten Collin zurück, ohne mich noch einmal umzudrehen. Ich weiß, ich war unfair. Aber ich durfte mich auf keinen Fall untersuchen lassen, das wäre mein Sicherer tot. Das konnte ich nicht zu lassen. Wer würde sich um meine Mutter kümmern. Wer die Schläge für sie abfangen ? Wer dafür sorgen das er die Finger von ihr lies, das sie überhaupt versuchen konnte gesund zu werden?

Total außer Atem blieb ich bei der Unterführung stehen. Ich kramte nach meinen Zigaretten, die brauchte ich jetzt definitiv. Meine Gedanken rasten wie Rennautos durch meinen Schädel. Tief durchatmen Dylan, ein und aus. Doch die Panik wollte nicht nachlassen, alleine die Uhrzeit, zu der ich jetzt nach Hause kam, war mein Sicherer tot. Es war schon 19 Uhr. Normal müsste ich schon seid anderthalb Stunden zu Hause sein. Er wird ausrasten, er wird so was von ausrasten. Was sag ich ihm bloß? Eigentlich ist es egal. was ich ihm erzählen würde, er würde so oder so ausrasten. Seufzend nahm ich den letzten Zug meiner Zigarette und begab mich diesmal sehr langsam Richtung Hölle. Leise und vorsichtig drehte ich den Schlüssel im Loch herum und hoffte einfach nur er würde schlafen. Ich horchte. Stille. Doch nicht die Stille, die ich so sehr mochte, nein diese Stille drängte mir den kalten Angstschweiß auf die Stirn. Irgendwas stimmte nicht, das spürte ich einfach. Ich ging rein, streifte mir die Schuhe ab und sah in der Küche nach, ob jemand da war. Ich bekam den Schock meines Lebens. Mein „Vater" in Anzug, rasiert, gewaschen, gekämmt. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Seid 4 Jahren hab ich diesen Mann noch nie so ordentlich gesehen. Ich kannte ihn nur stinkend, besoffen, schmierig und eklig.

„Wo warst du so lange?", fragte er ruhig und mit ernster Stimme.

„Ich war einen Freund im Krankenhaus besuchen.", verwundert sah ich ihn an und achtet nicht darauf, was ich antwortete. Ich hatte das Gefühl, jemand würde mir die Luft abklemmen. Reflexartig kniff ich die Augen zusammen und rechnete jede Sekunde mit einem Schlag, einem Tritt oder schlimmeren, aber es passierte nichts. Er wartete bis ich ihn wieder ansah, ehe er verkündete:„ Mach dich fertig. Zieh dich ordentlich an, wir beide haben um 20 Uhr einen Termin." Seine Stimme wirkte so unnatürlich. So förmlich und ruhig. Mir war unendlich schlecht, ich konnte die Situation weder realisieren, noch verarbeiten oder irgendwie einordnen. Es war einfach so abnormal für diese Familie, wenn man uns Familie nennen kann. Ich kam noch nie nach Hause, ohne nicht zumindest angeschrien zu werden, es sein denn mein Vater war schon am Schlafen. Ich konnte nicht mehr als ein Flüstern hervor bringen, als ich fragte:„Was ist los? Was für einen Termin denn?" Ich hatte das Gefühl meine größte Angst, meine größte Sorge und Panik würden sich genau in diesem Moment bestätigen. Und so war es auch. Er sagt seinen nächsten Satz eigentlich frei von wirklichen Informationen, aber dennoch so bestimmt, das ich es einfach wusste.

„Einen Termin bei deiner Mutter und jetzt guck, dass du dich umgezogen bekommst!", herrschte er mich ungeduldig an.

Ich stand da wie versteinert, mein Hirn nimmt nur langsam das Gesagte auf, das mir so einfach an den Kopf geworfen wurde. Die Luft fühlte sich schwer an und die Welt schien für einen Moment angehalten zu haben. Mir wurde sekündlich schlechter und meine Beine wollten sich trotz der Aufforderung von meinem Hirn einfach nicht bewegen.

„Jetzt mach schon!", schrie er mich ein letztes mal an und machte Anzeichen aufzustehen und dafür zu sorgen, dass ich mich umzog.

Schwer stieß ich meinen Atem aus, von dem ich nicht mal gemerkt hatte, das ich ihn angehalten hatte. Nur widerwillig bewegten sich meine Beine, um mich in mein Zimmer zu tragen. Wie ferngesteuert suchte ich ein schwarzes Hemd sowie schwarze Jeans aus meinem Schrank, eine frische Boxershort und begab mich ins Bad. Ich hatte das Gefühl das sich die Zeit ohne mich weiter bewegt, als würde ich einem völlig Fremden bei seinem emotionalen Untergang zusehen. Jeder Herzschlag schmerzte in meiner Brust und mit jedem Atemzug hatte ich mehr das Gefühl, immer weniger Luft aufnehmen zu können.

Ich bemühte mich, mich schneller anzuziehen, in der Hoffnung es würde mich für wenige Sekunden ablenken. Doch als ich dann angezogen war, wollte ich das Bad nicht verlassen. Ich hatte zu viel Angst, vor dem was mich erwarten würde und starrte einfach die Tür an. Minuten fühlten sich wie Stunden an und erst ein lauter Knall riss mich aus meiner Trance. Geistesabwesend schaute ich dem Blut zu, wie es meine Hand hinab lief und realisierte gar nicht das ich gegen die Wand geboxt hatte, an der gerade die Tapete abbröckelte. Ich hörte meinen Vater nur an der Tür rütteln, konnte aber kaum verstehen, dass es die Tür vom Badezimmer war. Vorsichtig öffnete ich die Tür und rechnete fest damit, das mich direkt eine Faust erwartete, aber auch diesmal passierte nicht. Mein Vater sah sich im Bad um, bis er den Auslöser des leichten Krachs sah.

Skeptisch sah er erst zur Wand und dann zu mir:„ Das klären wir später und jetzt komm."

Stumm folgte ich meinem Vater zu einem Taxi. Wir fuhren ins Krankenhaus und mit der Fahrt stieg auch meine Angst. Angst, die mehr als berechtigt war.

Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt