Kapitel 18: Dankbar

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3 Wochen waren vergangen und ich begann wieder zu „leben", zumindest körperlich. Ich aß regelmäßig, trank genug und sorgte mich eigenständig um meine Körperpflege, doch lebendig fühlte ich mich absolut nicht. Alles in mir fühlte sich taub an. Auch sprach ich immer noch kaum, was sollte ich auch sagen. Meistens äußerte ich mich durch kurzes Seufzen.

Das Einzige, dass sich wirklich verändert hatte, war mein Schlafplatz. Ich fühlte mich unwohl bei Collin zu leben, ihm eine Last zu sein und noch schlechter fühlte ich mich dabei, in seinem Bett zu schlafen, weswegen ich auf die Couch umgezogen war. Collin wollte das erst nicht und bemühte sich wirklich sehr darum, dass ich mich wirklich wohlfühlte, aber ich konnte mich kaum darauf einlassen. Je mehr er sich bemühte, umso unangenehmer wurde mir die gesamte Situation. Als ich aber die Couch einfach nicht verlassen wollte, gab er nach und ging in sein Bett. Auch war er oft von früh morgens bis abends weg und ich kümmerte mich, so gut es nur ging um den ganzen Haushalt, um mich irgendwie als nützlich zu erweisen. Ich putzte, ich kochte, ich wusch die Wäsche usw. Doch trotz der Haushaltshilfe, die ich darstelle, hatte ich das Gefühl mich bei ihm erkenntlich zeigen zu müssen, aber ich wusste nicht wie.

Auch die Polizei kam immer wieder vorbei und wollte eine Aussage von mir, aber ich bekam kein Wort heraus, obwohl ich am liebsten geschrien hätte. Irgendwie war da eine Blockade. Ich konnte es nicht erklären und wusste das es eigentlich totaler Schwachsinn war, aber ich hatte immer noch höllische Angst vor meinem Vater. Es war, als würde mein Charakter ausschließlich aus Angst bestehen, aus Angst vor ihm. Immer als die Polizei da war, wurde mir übel, ich bekam Schweißausbrüche und brach weinend zusammen. Wollten die Beamten mich dann beruhigen und kamen mir zu nahe, hyperventilierte ich auch noch. Allem in allem war alles immer noch so ätzend wie vorher auch. Die Beamten erklärten mir auch immer und immer wieder, dass er in Untersuchungshaft war und mir nichts antun konnte, auch wenn ich aussagen würde, aber es ging einfach nicht. Auch erklärten Sie mir, dass die Untersuchungshaft erst einmal nur 3 Monate andauert und noch immer nicht geklärt ist, ob der Arztbericht von Dr.Duken und Collins Zeugenaussage ausreichen würden, um ihn vor Gericht zu verklagen. Im Fall, dass es nicht genügen würde, darf er nach 3 Monaten auch wieder aus der Untersuchungshaft entlassen werden und ab dem Moment könnte die Polizei mich nicht mehr schützen, es sei denn, es würde noch einmal etwas passieren. All das zerfraß mich im inneren. In der zweiten Woche hatte ich dann noch mal einen endgültigen Zusammenbruch. Ich war an diesem Tag wirklich gestorben. Collin oder eher Dr.Duken fanden heraus, dass mein Vater schon nach 3 Tagen die Maschinen meine Mutter abstellen ließ und sogar eine Beerdigung organisiert hatte. Er hatte mir dies nur verschwiegen, damit ich vermutlich weiter alles machte, was er wollte. Collin brachte mich auf mein Betteln und Flehen zum Grab meiner Mutter. Ich stand da und wollte weinen, ich wollte trauern, mich verabschieden, aber ich konnte es nicht. Ich stand einfach nur da und starrte das Urnengrab an, und das jeden Tag. Sobald ich mit der Hausarbeit fertig war, ging ich zum Grab und stand einfach stundenlang da und starrte es an, bis ich wieder zu Collin ging, um zu kochen. Seit diesem Tag habe ich nicht mehr gelacht, geweint oder irgendeine Emotion gezeigt. Ich war wie ein Roboter. Wenn die Polizei heute kam, starrte ich sie schweigend an oder zuckte mit den Schultern.

Collin hatte sich auch verändert. Er wurde immer blasser und seine Augenringe immer größer und das Gefühl, das es meine Schuld war, wurde ebenfalls immer größer. Ich hatte mir schon ganz oft überlegt einfach zu gehen, damit er sein altes und normales leben einfach weiter leben konnte, aber wohin sollte ich gehen? Ich hatte niemanden, wo ich hin konnte und auf der Straße würde ich nicht lange überleben. Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob ich überhaupt noch leben wollte, hatte aber auch zu viel Angst auf der Straße zu leben, denn ich war mir auch nicht sicher, ob ich sterben wollte. Ich konnte mich auch nicht auf ein Bauchgefühl oder ähnliches berufen, denn da war nichts. Innerlich fühlte ich mich einfach Tod. Aus diesem Grund wollte ich versuchen, etwas zu ändern. Nur was wusste ich nicht ganz, auch wie die Veränderung aussehen sollte, konnte ich nicht sagen. Ich wusste nur, dass ich etwas ändern musste, ich musste mich erkenntlich zeigen und Collin irgendwie noch mehr Arbeit abnehmen. Ich musste dafür sorgen, dass wenigstens er glücklich war. Drei Tage versuchte ich schon wenigstens meine Aussage aufzuschreiben, drei Tage ohne Erfolg, zerrissener Blätter und zerbrochener Bleistifte. Mir fiel so langsam auch nichts mehr ein, womit ich mich erkenntlich zeigen konnte, aber ich wollte es unbedingt. Es gab eigentlich nur eine Sache, die ich konnte und nur eine Sache, die mir am wenigsten schwerfiel. Ich atmete circa 20 Minuten tief ein und aus, ehe ich ins Badezimmer ging und mich frisch machte. Ich ließ mir eine Badewanne ein und wusch mich so gründlich ich nur konnte. Dann trocknete ich mich ab und setzte mich nackt, mit den Knien zum Kinn gezogen, neben die Wohnungstür und wartete. Ich wusste nicht, wie lange ich wartete, ich wusste nur, das mir zunehmend kälter wurde, bis endlich die Tür aufgeschlossen wurde. Collin konnte mich nicht auf Anhieb sehen, da die Wohnungstür meine erbärmliche Gestalt verdeckte. Mir wurde schlagartig übel, ich bekam leichte Panik und hatte Angst, dass ich es verlernt hatte, mich „erkenntlich" zu zeigen. Zumindest so wie ich „erkenntlich zeigen" von meinem Stiefvater gelernt hatte. Ich hielt den Atem an und wartete darauf, dass Collin die Tür schloss und mich sah, auch wenn ich sehr große Angst vor seiner Reaktion hatte. Allerdings sah mich Collin nicht auf Anhieb, da er nur die Tür ins Schloss fallen und sich erschöpft auf die Couch fallen ließ. Er hatte den Kopf zur Zimmerdecke gelehnt und den Arm über den Augen, weshalb ich mich auch nicht traute, mich bemerkbar zu machen und saß einfach weiter mucksmäuschenstill da. Ich traute mich auch kaum zu atmen, aus Angst, er würde mich dann bemerken. Was eigentlich vollkommener Schwachsinn war, weil er mich früher oder später so oder so sehen würde. Nur wusste ich nicht, ob mir später nicht lieber als früher war. Für einen Moment dachte ich, er wäre eingeschlafen, doch dann nahm er den Arm von den Augen und sah mir direkt in die Augen. Ich war wie versteinert, als hätte ich vergessen, wie man spricht oder sich bewegt.

Dunkelheit und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt