Kapitel 30- Dia de los Muertos

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Ich betrachte mich ein letztes Mal im Spiegel und seit langer Zeit ist es das erste Mal, dass ich mich wirklich wohl in meiner Haut fühle und zufrieden bin mit meinem Aussehen. Dieses Kleid hatte mich schon in der ersten Sekunde überzeugt und es ist mir eine Ehre, es heute zu tragen. Genau in diesem Moment höre ich die Klingel und ich kann meine Vorfreude kaum noch zurückhalten. Aufgeregt laufe ich zur Tür. Mattis zu sehen macht mich sofort noch glücklicher, denn er trägt einen feinen, schwarzen Anzug mit zwei aufgedruckten Rosen. Wie schön das aussieht. Eine Totenkopfmaske ergänzt seinen Anzug. "Folgen sie mir bitte, die Dame", sagt er mit einem unter der Maske erkennbaren Lächeln auf dem Gesicht und hält mir seinen Arm hin. Ich hake schmunzelnd ein. Behutsam begleitet er mich die Stufen der Treppe runter. Die Abenddämmerung beginnt langsam. "Es wird dir gefallen", entgegnet Mattis, nachdem wir ein Stück schweigend nebeneinander gelaufen sind. "Da bin ich mir sicher. Ich bin jetzt schon fasziniert von dieser ganzen Farbenfreude.", versichere ich ihm und bin ihm unendlich dankbar dafür, dass ich für einen Tag einfach alles vergessen und vollkommen glücklich sein kann.

Nach ungefähr zehn Minuten, in denen wir uns unterhalten haben, kommen wir in eine Gegend, in der die Straßen mit Blumen, Skeletten und vielen Schädeln geschmückt sind. "Die Skelette nennt man Calaveras. Sie bestehen aus Pappmaché , Gips oder Zucker. Kurz vor Allerheiligen werden hier die Totenschädel aus Schokolade, Marzipan und Zucker hergestellt, die die Namen der Toten auf der Stirnseite tragen. Außerdem wirst du heute das Pan de Muerto, also das Totenbrot, probieren.", erklärt er mir. Die Wohnungen und Friedhöfe sind prachtvoll mit Blumen, Kerzen und bunten Todessymbolen dekoriert. An den Eingangspforten der Häuser sind Laternen aufgehängt. Ich möchte das Geschehen am liebsten noch länger begutachten, doch etwas später kommen wir bei Mattis an. Mein Blick fällt sofort auf die Tische, die mir schon fast weihnachtlich vorkommen. "Das nennt man Ofrendas, das sind die traditionellen Totenaltäre oder Gabentische. Die Toten sollen sich nach ihrer langen Reise aus dem Totenreich stärken und die Gaben wieder mitnehmen. Die Fotos, die Kerzen und der Weihrauch sollen an die gemeinsame Zeit erinnern.", erklärt Damon mir weiter. Ich komme ins Staunen, so fasziniert bin ich von dem bunten Treiben. "In der heutigen Nacht, der Nacht des zweiten Novembers, gehen wir zum Friedhof der Verstorbenen. Dort wird dann gegessen, musiziert und getrunken, bis die Seelen um Mitternacht wieder ins Jenseits zurückkehren.", erklärt Mattis weiter und ich bewundere ihre Kultur nur noch mehr.

Nachdem wir noch eine Viertelstunde auf weitere Verwandte und eingeladene Gäste gewartet haben, ziehen wir zusammen los. Wir verfolgen einen Weg aus Blumen, der vom Haus bis zum Friedhof geht. Von Mattis weiß ich nun auch, dass die Blumen als Empfangsteppich und als Wegweiser für die Verstorbenen vom Haus bis zum Friedhof ausgelegt sind. Alle sollen dem Weg folgen und zum Familienfest gelangen. Man glaubt, dass die Toten die Farben Rot und Orange am Besten erkennen können. Als wir am Friedhof ankommen, sind alle schon versammelt. Die Musik höre ich schon von Weitem. Der gesamte Friedhof ist festlich geschmückt mit Blumen, Kerzen und Skeletten. Die vielen Menschen und die Musik erfüllen die bevorstehende Nacht. Überall stehen Bilder von verstorbenen Personen und zugehörigen Familienmitgliedern. Wir laufen noch ungefähr fünf Minuten, bis wir bei seiner Familie ankommen und begrüßt werden. Ich gebe seinen Eltern die Hand und stelle mich allen anderen Familienmitgliedern vor. Alle sind sehr herzlich und lächeln mich an.

Doch als ich sehe, dass Mattis ein bestimmtes Foto ganz genau mustert, fällt meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Tränen schimmern in seinen Augen, sodass ich meine Hand auf seine Schultern lege und ihm den Beistand leiste, den er nun braucht. "Das ist ein Bild von meinem Opa. Es ist noch nicht lange her, dass er gestorben ist. Deswegen trifft mich das so hart. Er war so ein offener und herzlicher Mensch. Immer, wenn es mir nicht so gut ging, hat er mir etwas vorgesungen.", lässt Damon mich wissen und nun bin ich auch den Tränen nahe. "Dann spiel ein Lied von ihm. Hol ihn zurück in die Gegenwart", ermutige ich ihn und bin mir sicher, dass ihm das helfen kann seinen Opa in guter Erinnerung zu behalten. Leicht zögerlich greift er nach der Gitarre, setzt sich hin und beginnt zu spielen. Es ist der perfekte Abschluss für den Abend.

The Glimmer Of Hope | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt