Sommer unter Segeln 8

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Heute strengt Nicole sich an. Sie hat gestern gesehen, dass eine Familie nicht Dauerstreit haben muss und außerdem will sie keine schlechte Laune haben. So ganz funktioniert es noch nicht, aber heute hat sie beim Frühstück nur ein einziges Mal mit den Augen gerollt. Und das sogar zurecht! Ihre Eltern wollten sie unbedingt auf einen Markt mitschleppen. Waren sie nicht erst vor ein paar Tagen auf einem gewesen? Von der Idee abbringen, konnte sie ihre Eltern mit keinem Argument und nach einem zwanzig minütigen Fußmarsch, steht sie jetzt vor vielen kleinen Ständen. Zugegeben sieht es beeindruckend aus und Nicole kann gar nicht abwarten, sich alles anzusehen. Zuerst kommen sie an Händlern vorbei, die auf vielen verschiedenen Sprachen ihre Schmuckstücke anpreisen. Von Haarklammern bis Fußkettchen gibt es alles in jeder Farbe. Nicole bleibt bei einem Tisch mit silbernen Ketten stehen. Die eine, mit der kleinen Feder und dem schwarzen Band, fällt ihr sofort ins Auge und sie nimmt sie hoch. Direkt wird sie von dem Verkäufer freundlich angesprochen. Zwar versteht sie nichts, aber als sie im Kopf Kuna in Euro umrechnet, entscheidet sie sowieso, dass die Kette zu teuer ist, bedankt sich und geht. Ein paar Meter weiter steht Anna und bewundert zwei Frauen, die gerade zwei kleinen Mädchen kleine, enge Zöpfe mit bunten Bändern flechten. Zusammen gehen die beiden weiter. Alle Streitereien sind vergessen in diesem Paradies, wie beide es beschreiben würden. Ihre Eltern haben sie in den Mengen verloren, aber sie lassen sich nicht daran stören. Alles ist viel zu spannend und interessant. Sie verlassen den vorderen Teil des Marktes und dringen ins Innere vor. So viele Menschen, aber trotzdem geht es geordnet zu. Anna schnuppert und Nicole tut es ihr gleich, dann strahlen sich die beiden an. So stellt Nicole sich einen orientalischen Markt vor. Sie riechen Kräuter und Gewürze, aber auch Schokolade und gegrilltes Fleisch. Am nächsten Stand liegen so viele unterschiedliche Käsesorten aus, dass Nicole mit offenem Mund stehen bleibt. Der ältere Mann, der hinter den Käse-Bergen steht, hält ihr einen Teller mit Probierhappen hin. Obwohl sie eher der Wurst- und nicht der Käse-Typ ist, nimmt sie sich ein Stück und ist begeistert. Sie bedankt sich und versucht Anna auffindbar zu machen, die anscheinend nicht gerade angetan von so viel Käse war. Ein kleines Stück weiter entdeckt Nicole die braunen, etwas kürzeren Haare ihrer Schwester vor einer riesen Auswahl an Süßem. Normalerweise hätte sie die Augen über ihre kindische Schwester verdreht, aber hier im Paradies bahnt Nici sich auch einen Weg und staunt mit ihr zusammen. Gummibärchen in allen Farben und Formen, Kaugummis, Schokolade, Bonbons, Marzipan, Kekse und noch einiges, dass Nicole nicht einmal zuordnen kann. Wieder wird ihnen etwas angeboten und die beiden genießen einen Lavendel-Bonbon, während sie weiter gehen. Eine Obstverkäuferin versucht gerade einer deutschen Kundin ihre Feigen zu verkaufen. Anna und Nicole lauschen den nicht zusammenhängenden deutschen Wörtern, grinsen sich an und entdecken dann einen Stand mit Tüchern und Kleidern. Nicole kann es nicht unterlassen die Seidenstoffe vorsichtig anzufassen, erntet aber einen bösen Blick von einer kleinen Frau die Kleider zusammenlegt und in der Auslage sortiert.
Anna zieht sie von dem Stand weg und schließt die Augen.
"Nicole, das musst du auch machen. Blend alles aus und hör mal. Es ist Wahnsinn."
Also konzentriert Nici sich auf die Geräuschkulisse. Alles scheint im Einklang miteinander zu sein. Nichts ist fehl am Platz. Weder das entfernte Bellen einiger Hunde, noch das Weinen eines Jungen, der sich verirrt hat, stört die fremde Musik, die von allen Seiten kommt, die Rufe der Verkäufer und das allgemeine Getümmel der Menschenmasse. Beide Schwestern müssen nach der Dunkelheit blinzeln aber ihre Augen strahlen um die Wette. Als nächstes probieren sie Hüte an. Kleine, große, bunte, aufwändige, hübsche und dezent geschmacklose. Die beiden lachen herzhaft und schießen ein paar Selfies, bis sie weg geschickt werden. Kurz darauf entdecken sie ihre Eltern vor einem Stand mit Seife. Jetzt, wo sie an jedem Stück Seife riecht und es auch noch genießt, ist Nicole sich sicher. Sie ist im Paradies! Oder im Himmel.
Langsam bekommt die ganze Familie Hunger und als sie ein bisschen abseits ein kleines Geschäft entdecken, sind alle froh über Sandwiches und Orangensaft.
Keiner hat gemerkt wie schnell die Zeit verflogen ist, aber gehen wollen sie auch noch nicht.
Nicht mehr ganz so berauscht von Allem, schaut Nicole sich jetzt wirklich nach etwas um. Was genau weiß sie noch nicht, vielleicht ein Geschenk für Tamara oder etwas süßes für sie selbst. An einem Stand entdeckt sie zwei identische Ketten, die nicht zu teuer scheinen. Schöne schwarze Bänder mit einem goldenen Herz zwischen zwei weißen Perlen. Kurz überlegt sie und entscheidet dann beide zu nehmen. Eine für Tamara und eine für sich. Eigentlich steht sie nicht so auf Freundschaftsketten oder - Armbänder aber im Paradies scheint es perfekt zu passen und die Ketten sind wirklich bezaubernd. Ihr Vater kauft noch Feigen und Anna und Nicole lachen den ganzen Rückweg über den Versuch der Verkäuferin deutsch zu sprechen. An einer Bank am Wegrand machen sie kurz Pause und probieren die Feigen. So begeistert wie sie ist, wünscht sich Nicole direkt ein Gericht, das aus Scampi und Feigen besteht. Ihr Vater bittet einen Passanten ein Foto zu machen und Nicole legt den Arm um Anna und lacht in die Kamera.
Zurück im Hafen fällt Nicole auf, dass sie im Paradies kein einziges Mal an Fabian gedacht hat. Dafür jetzt umso mehr und als die Seilers an der "Maranta" vorbei laufen, sieht sie Fabi im Cockpit sitzen.
"Ich komm gleich nach, ok?", fragt sie und ist schon auf der "Maranta". Anna pfeift ihr nach und Nicole verdreht die Augen. Dass Anna ihr nachpfeift, ärgert sie nicht, nur die Tatsache, dass sie es kann und Nicole nicht. Zumindest nicht auf den Fingern. Sie setzt sich neben Fabi. Was hat sie sich nur dabei gedacht?
"Hi...", bringt sie vorsichtig raus.
"Hey Nici."
"Später zusammen schwimmen?"
"Diesmal vermutlich mit Badesachen oder?" Die beiden lachen und verabreden sich für halb sechs. Dann macht sich Nicole auf zur "Pharos" und wirft im Gehen noch einen Blick über die Schulter. Fabian schaut ihr nach und winkt ihr jetzt frech zu, als hätte er gewusst, dass sie sich noch mal umdrehen würde. Ertappt grinst sie und zwinkert ihm ein letztes Mal zu.

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