Sommer unter Segeln 10

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"12:17 Uhr; Segel gesetzt; Motor aus; 3,2 Knoten"
Nicole klappt das Logbuch zu und wendet sich wieder ihrem neuen Roman zu. Diesmal ein Krimi.
"Brauchst du Sonnencreme?", fragt Anna. Nicole schüttelt den Kopf.
"Brauchst du sonst was? Ein Kissen vielleicht?"
Wieder schüttelt Nicole den Kopf.
"Du bist sooo langweilig! Mach doch mal was anderes als lesen."
Genervt von ihrer kleinen Schwester dreht Nicole sich ohne Reaktion auf die andere Seite.
"Was läuft zwischen dir und Fabi?"
Nici verdreht die Augen und grummelt undeutlich: "Nichts!"
"Das sieht mir aber anders aus..."
"Anna, jetzt nerv nicht!"
Beleidigt steht Anna auf und geht unter Deck.
Nicole ruft ihr nach: "Kannst du mir meine Sonnenbrille mitbringen? Ist in meiner gelben Tasche."
Von ihrer Schwester kommt keine Antwort und Nicole steckt ihre Nase wieder in das Buch. Die Sonne blendet in den grellen, weißen Seiten und Nici steht auf um sich selbst die Brille zu holen. Unter Deck kommt Anna gerade aus Nicoles Koje.
" Danke, Anna. " Nicole streckt die Hand nach ihrer Brille aus, aber ihre Schwester murmelt, sie habe sie nicht gefunden und verschwindet so schnell wie möglich in ihrer eigenen Koje. Verwundert öffnet Nicole die Tür und sieht auf den ersten Blick ihre blau verspiegelte Sonnenbrille mitten auf dem Bett liegen. Wie blind ist Anna denn bitteschön? Ihre gelbe Tasche liegt halb ausgeleert daneben und Nicole ärgert sich noch mehr. Wenn Anna schon ihre Sachen durchwühlen muss, weil sie blind ist, könnte sie doch wenigstens wieder aufräumen. Nicole geht die Dinge durch. Zum Glück hat Anna ihr nicht ihre Kaugummis geklaut, wie sie es manchmal macht. Genervt geht sie mit Brille wieder an Deck und vertieft sich in ihr Buch.

Fabian, nur einige 100 Meter weiter liegt auch vor einem Buch. Nicht freiwillig. Seine Mutter findet, er solle lesen und er hat eh nicht viel besseres zu tun, also liest er. Wirklich konzentrieren kann er sich aber nicht. Seine Gedanken schweifen zu dem Brief. Heute morgen hat er ihn, nach dem gemeinsamen Schwimmen im Hafen, heimlich in Nicoles gelbe Tasche gelegt. Lange hat er überlegt, ob er ihn ihr persönlich geben sollte, hat es aber dann nicht über sich gebracht. Er fragt sich, ob sie den Brief schon gefunden, schon gelesen hat und was sie darüber denkt. Am liebsten möchte er kein größeres Gespräch. Ein "Ja" oder ein "Nein", dass würde ihm reichen aber er weiß nicht, wie Mädchen bei so was sind, also macht er sich auf Alles gefasst.

Nichts davon ahnend rückt Nicole die Sonnenbrille zurecht, die ihr immer wieder auf die Nasenspitze rutscht. Zwei Minuten später steckt sie ihr improvisiertes Lesezeichen, einen Zettel, den sie irgendwo abgerissen hatte, in ihr Buch und legt es unter die Bank im Cockpit. Inzwischen hatten sie in einer kleinen Bucht geankert und Nicole zieht sich ihren Badeanzug an. Die Taskers sind schon weiter gefahren oder haben in einer anderen Bucht gehalten. Sie stellt sich an die Reling, und als sie springt, stellt sie sich vor, Fabi hätte sie geschubst, wie er es bei ihrem Ausflug so viele Male getan hat. Ein kleines Glücksgefühl breitet sich in ihr aus, bis sie Anna statt Fabian neben sich eintauchen sieht.
Trotzdem kann sie das kühle Wasser nach der knallend heißen Sonne genießen. Anna wirft ihr den Wasserball zu und die beiden spielen ein bisschen hin und her, finden aber nicht den Spaß, den sie gestern zu viert hatten und nach einigen Durchgängen schwimmen beide zum Schiff zurück. Dort werden sie schon von ihren Eltern mit Baguette, Wurst, Käse, geschnittenen Äpfeln und natürlich Feigen erwartet. Nicole merkt, wie hungrig sie ist und die vier fangen an zu essen.
Am liebsten würden die beiden Schwestern noch einmal ins Wasser springen, aber ihre Eltern möchten aufbrechen, also werden die Handtücher befestigt, der Anker eingeholt und los geht's. Nicole setzt sich zu ihrem Vater, welcher das Schiff navigiert, und schaut ihm einige Zeit zu. Er erklärt ihr einiges und Nici ist zwar ein bisschen interessiert, versteht aber wenig von den Fachbegriffen und wendet sich nach einiger Zeit wieder ihrem Krimi zu.

Piskera ist wunderschön. Nici hätte nie erwartet, dass sie einen kleinen Hafen so toll finden würde. Ihr Schiff liegt an einem der fünf Stege an und von dort führt ein Weg zu den Toiletten, Duschen, einem Restaurant und einem kleinen Laden. Weiter geht Nicole in diese Richtung nicht, sie wird mehr von der anderen Seite angezogen. Ein steiniger Trampelpfad leitet sie zu einer schönen Badestelle. Als sie noch weiter geht, muss sie über spitze, vom Meer bearbeitete Felsen klettern. Es lohnt sich! Vorne angekommen steht sie auf einer Klippe, drei Meter über dem Meer. Wie schön wäre es, von hier zu springen. Sie schaut sich ein wenig um, aber nirgends entdeckt sie einen geeigneten Platz, um wieder herausklettern zu können, ohne sich aufzuschlitzen. Also lässt sie es bleiben, schließt die Augen und genießt die schräg einfallende Sonne.
"Nici!"
Sofort erkennt sie seine Stimme und dreht sich zu Fabian um, der ihr entgegen klettert.
"Anna hat mir gesagt, dass du hier bist. Ist doch okay, dass ich komm, oder?"
"Na klar. " Nici dreht sich wieder der Sonne zu und wartet, bis er neben ihr steht.
Nur nichts vermasseln, denkt Fabian ängstlich. Vorsichtig stellt er die Frage, die ihm schon die ganze Zeit durch den Kopf geht.
"Also das ist sicher okay für dich? Ich mein, ich würd verstehen wenn du nicht willst, dass..."
"Nein, alles gut. Wirklich. Ich bin froh, dass du hier bist.", fällt Nicole ihm ins Wort. Sie wundert sich ein bisschen über seine ungewohnte  Schüchternheit. Erleichterung durchströmt Fabian und würde Nicole seinen Gesichtsausdruck sehen, würde sie noch einmal nachhaken aber sie hat die Augen wieder geschlossen.
"Ein Sonnenuntergang am Meer... Gibt es etwas noch romantischeres?", murmelt sie und dreht sich zu Fabian. Er ist ihr plötzlich sehr nah, seine Augen strahlen und Nicole hört sein Herz klopfen. Oder ist es ihr eigenes? Seine Lippen sehen gut aus, soweit Lippen gut aussehen können. Zumindest weiß Nicole, dass sie diese Lippen küssen will. Fast erschrickt sie, als Fabi ihre Hand nimmt, was ihn zum Lächeln bringt. Nicole weiß nicht, ob sie sich zu ihm lehnt, oder er zu ihr, aber ihm nächsten Moment berühren sich ihre Nasen. Sie hält den Atem an und küsst ihn.

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