Kapitel 10

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Mal nicht verschlafen!
Aber die Augenringe zeichnen sich noch um einiges dunkler als am Tag zuvor ab. Sein dämliches Gesicht will mir einfach nicht aus Kopf gehen! Und das geht schon die ganze Nacht so...
Schnell dusche ich mich und ziehe dann einen geblümten Rock und ein schlichtes Shirt an.
Ich versuche meine Müdigkeit noch mit etwas Make-up aus meinem Gesicht zu verbannen, was mir so halb gelingt.
Meine nassen Haare kämme ich durch und lasse sie einfach an der Luft trocknen.
Ich latsche in die Küche und der Duft von getoastetem Weißbrot steigt in meine Nase.
Eigentlich frühstücke ich morgens nichts, aber mein Magen beginnt so laut zu knurren, dass ich es mir doch anders überlege.
Ich schnappe mir eine der Scheiben, die mein Vater gerade mit Butter bestreichen wollte und bestreiche es stattdessen mit Frischkäse und Marmalade.
»He!«, beschwert er sich und zieht amüsiert die Augenbraue nach oben.
Ich beiße genüsslich hinein und werfe ihm einen Luftkuss zu.
Dabei stolpere ich aber fast über ein weißes Knäuel, das wartenden vor seiner Futterschüssel sitzt.
Hupsi.
Oh scheiße.
Ich höre schon das Geräusch des Busses, der sich der Haltestelle am Ende unserer Straße nähert.
Schon so spät?
7:30
Hä?
Ich spurte aus dem Haus und biege um die Ecke.
Ein LKW.
Nicht wirklich oder?!
Wütend bleibe ich stehen und verschnaufe erstmal kurz.
Gemächlich laufe ich zur Haltestelle und lehne mich an das Schild mit den Fahrplänen.
Ich greife in meine Hosentasche... ich Idiot hab ja einen Rock an!
Och nö, mein Handy ist schon wieder daheim.
Egal, der Bus kommt.
Ich steige ein und es sind natürlich wie immer alle Plätze belegt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit springe ich fast aus dem Bus und laufe über den Schulhof in Richtung Haupteingang.
Dort werde ich direkt von Cara und Shari begrüßt.
Zusammen laufen wir zu unserem ersten Kurs heute.
Ich habe überhaupt keine Lust!

Es klingelt zu ersehnten Pause und demotiviert schleppe ich mich hinter meinen Freundinnen her, die meine schlechte Laune zu spüren scheinen.
Bis jetzt haben sie mich in Ruhe gelassen und waren im Unterricht ziemlich still.
Wir laufen in die Mensa und Shari käuft zwei Schoko- und einen Blaubeermuffin.
Sie hat aber einen großen Hunger!
Wir setzen uns an einen Tisch, der etwas abseits direkt an der großen Fensterfront steht.
In Gedanken versunken lasse ich mich auf der anderen Seite des Tisches gegenüber von den beiden nieder und stütze meinen Kopf in meine Hand.
Shari schiebt Cara einen der Muffins hin und gibt auch schließlich mir einen.
Was? Warum das denn?
Fragend blicke ich sie an.
Sie lächelt nur nickend und macht sich daran das Papier von ihrem zu lösen.
Schließlich beiße ich auch hinein.
Mmmh.
»Also. Was ist los?«
Aha. Deshalb also...
Irgendwann musste es ja kommen.
Ich ignoriere sie und widme mich weiterhin meinem Muffin.
Ich will nicht darüber reden.
Dieser Junge macht mich so wütend und versaut mir meine ganze Stimmung. Warum muss ich auch immerzu an ihn denken? Warum kann ich nicht einfach an Shane denken!...
»Tess.«
Cara blickt mich forschend mit ihren grünblauen Augen an.
»Was ist denn heute mit dir los?«, fragt Shari erneut.
Sie werden sowieso nicht eher Ruhe geben bis sie es wissen.
Aber ich will einfach nicht zugeben, dass es wegen ihm ist!
»Ich hatte Streit mit jemandem und das geht mir einfach nicht aus dem Kopf.«
»Und weiter?«
»Mit wem denn?«
»Das kann doch nicht der einzige Grund sein!«
Sie kennen mich einfach zu gut.
Wenn ich Stress mit jemandem habe, dann mach ich mir da eigentlich nichts draus. Außer dieser Jemand bedeutet mir etwas.
»Ist was mit Shane?«, fragt nun Cara besorgt.
Ich wünschte es wäre so.
»Dieser Typ, den ich im Gang angerempelt habe...«
»Ja...?«
»Ich war gestern mit Shane unterwegs und es war schön. Wirklich schön. Aber als ich dann wieder daheim war, da konnte ich nur noch an dieses dämliche Lächeln und dieses hässliche Gesicht denken.«
So jetzt ist es raus.
»Ich sollte glücklich sein! Aber dieses Arschloch versaut alles...«
Dieses Arschloch mit diesen faszinierenden stechenden dunklen Augen...Nein! Sie sind nur dunkel...und gefühlslos.
Shari kräuselt leicht ihre Lippen bevor sie dann »aaha« antwortet.
Cara sieht mich mitfühlend an.
Was haben die denn jetzt?
»Was soll das denn jetzt heißen?«
»Tess. Du willst es vermutlich nicht hören... aber...«
»... hast du dir mal überlegt, warum das so ist?«
Zornig ziehe ich meine Augenbrauen zusammen.
Ja, hab ich. Keine Ahnung warum der mich so verfolgen muss und mir alles was ich mit Shane mache versaut!
Er lässt mich keine Sekunde in Ruhe!
»Tess...es hat einen Grund, dass du nicht an Shane, sondern an ihn denkst.«
»Welchen denn? Weil er es mir nicht gönnt?!«
»Er kann ja nichts dafür, dass er in deinen Gedanken ist.«
Oh, doch!
Wenn er mich nicht so aufgezogen hätte!...
Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der so dominant und arrogant und provozierend ist!
Ich war selten so wütend wie in diesem Moment.
Ich wünschte ich wäre ihm nie begegnet!
Dann würde er mich nicht in meinem Kopf jede einzelne Sekunde stalken.
Geh doch bitte einfach aus meinem Kopf!
»Tess... kann es sein, dass du... na ja... dass du für ihn vielleicht Gefüh...«
»Was?! Hast du nen Knall?! Hast du mir gerade zugehört?«
»Ich glaube, Shari könnte Recht...«
»Schluss jetzt! Hört auf so einen Scheiß zu erzählen! Ich hasse... HASSE ihn!«
Die zwei letzten Worte waren wohl etwas laut, da nun einige Schüler zu uns schauen und mich angaffen.
Sollen die mich doch heute alle in Ruhe lassen!
Und sowas brauch ich mir nicht länger anzuhören.
Ich stehe auf und steuere zielstrebig auf den Ausgang der Mensa zu.

Fast habe ich meinen Raum erreicht, als es auch schon wieder klingelt.
Aber bevor meine Hand die Klinke erreicht, drehe ich mich wieder um und laufe zurück zum Eingang.
Ich kann jetzt nicht in den Unterricht.
Ich hatte über den Schulhof und laufe den Waldweg entlang, auf dem ich im Sommer manchmal mit dem Fahrrad zur Schule fahre.
Ich laufe immer schneller und beginne schließlich zu joggen. Der Rock ist dazu zwar etwas unvorteilhaft, aber das interessiert mich nicht.
Mein Herzschlag beschleunigt und meine Atmung wird unregelmäßig.
Ich bekomme Seitenstechen, aber ich halt nicht an.
Ich will einfach nur weg. Heim.
Nach wenigen Minuten werden meine Schritte sowie meine Atmung gleichmäßig und das Stechen wird schwächer.
Ich erreiche die letzten Bäume und laufe nun über ein offenes Feld.
Ich bemerke die dunklen Wolken, die langsam aufziehen und meine ein weitentfentferntes Donnern zu vernehmen.
Schon bald sehe ich die ersten Häuser.
Es beginnt zu regnen.
Erst nur leicht, aber er wird immer stärker.
Mein Shirt klebt an meiner Haut und meine Haare in meinem Gesicht.
Ich laufe durch unsere Straße, durch unseren Garten und schließe die Haustür auf.
Die Hofeinfahrt ist leer, meine Eltern also bei der Arbeit.
Meine Atmung beruhigt sich schnell.
Ich bin eine trainierte Läuferin.
Ich werfe den Rucksack in mein Zimmer und ziehe schnell meine nassen Sachen aus. Ich tausche sie gegen eine graue Jogginghose und ein hellblaues Top. Meine Haare binde ich zu einem Messybun. Ich lasse mich auf mein Bett fallen und schließe die Augen.
Das Laufen hat mir gut getan und ihn etwas in meinen Hinterkopf zurückgedrängt. Aber jetzt schießen mir alle Gedanken auf einmal in den Kopf. Haben sie vielleicht Recht? Warum sollte ich sonst so daran festhalten... Was ist dann mit Shane? Hab ich keine Gefühle für ihn?
STOPP.
Wenn ich so hysterisch werde, komme ich nicht weiter. Ich muss in Ruhe nachdenken. Und das kann ich momentan nicht.
Ich laufe runter und sehe in eine unaufgeräumten Küche.
Ohne lange nachzudenken fange ich an die Teller vom Tisch zuräumen und in die Spülmaschine zu stellen, das bereits gespülte Besteck einzusortieren und die Arbeitsplatte aufzuräumen.
Ich gehe weiter ins Wohnzimmer.
Ich falte die Decke, ordne die Kissen und sortiere die alten Zeitschriften aus. Ich wische das Bad auf und sauge die Teppiche im Flur.
Als alles aufgeräumt ist, lasse ich mich auf die Couch fallen. Ich schließe nur kurz die Augen...

15:32
Was?!
Ich blicke auf den Bildschirm meines Handys, das mir zwölf verpasste Anrufe und fünfzehn Nachrichten von Shari und Cara anzeigt. Eine ist von Dad, der heute später kommen wird.
Ich rappele mich auf und tapse in die Küche.
Ich muss wach werden.
Ich mache mir einen großen Latte Macchiato mit ganz viel Caramelsirup - ich hasse Kaffee eigentlich - und hoffe, dass das Koffein bald zu wirken beginnt.
Währenddessen lese ich mein neues Buch von Stephen King weiter bis Lillyfee ihren Kopf durch die Katzenklappe steckt und miauend Futter fordert.
Ich gebe ihr etwas in die Schale und merke dann selbst wie lange ich schon nichts mehr Richtiges gegessen habe.
Aber mein Blick in den Kühlschrank errinert mich daran, dass ich unbedingt einkaufen müsste.
Seufzend und mit Regenjacke bewaffnet mache ich mich schließlich auf den Weg zum nächsten Supermarkt.
Doch kaum trete ich durch die elektrische Schiebetür, krampft sich alles in mir zusammen.

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