Bitte, lass uns Freunde bleiben

Kapitel 15

Ich fahre hoch, wäre dabei wahrscheinlich aus dem Bett gefallen, hätte ich nicht auf einer Matratze geschlafen, und stöhne als ich bemerke, dass es sich bei diesem furchtbaren Geräusch um meinen Handywecker handelt, den ich wohl vergessen habe auszuschalten. Gratulation.
Super auch, das jenes zum Laden an die Steckdose angeschlossen ist und diese sich natürlich am anderen Ende des Raumes befindet. Shari beginnt schon sich zu rekeln und ich beeile mich zu meinen Handy zukommen, dass nicht auch noch Cara wach wird.
Ich stolpere zweimal über meinen Schlafsack und schaffe es dann schließlich - nicht ohne dabei fast auf Cara zufallen - mein Handy zum Schweigen zu bringen.
6:30
Ich blicke mich nach Cara um, die weiter tief und fest schläft und bemerke erleichtert, dass auch Shari anscheinend wieder weggedöst ist.
Ich stöpsele mein vollgeladenes Handy ab und tapse vorsichtig zurück zu meinem Schlafplatz, überlege es mir dann aber doch anders und husche leise zur Zimmertür hinaus. Wenn ich einmal wach bin, kann ich sowieso nicht wieder einschlafen. Noch etwas müde laufe ich ins Bad und mache mich fertig, ziehe eine bequeme Jogginghose und ein weißes Shirt sowie darüber meinen Lieblingspullover - verdammt, warum ist es so scheiße kalt hier drin!? - an.
Ich laufe runter und werde direkt von dem Chaos begrüßt, das noch von gestern Abend stammt. Wir waren so müde gewesen, dass wir einfach das ganze Geschirr und die Verpackungen auf liegen gelassen haben bevor wir schlafen gingen.
Früher oder später muss es ja jemand machen...
Ich sammle zunächst die Styropor- und Plastikverpackungen zusammen und stopfe sie in die Tüten. Dann sortiere ich das ganze Geschirr in die Spülmaschine, wische den Tisch ab und kümmere mich dann um die auf dem Sofa liegenden, zusammengeknautschten Kissen und Decken.
Schon besser.
Ich schaue erneut auf die Uhr.
Was mach ich jetzt noch solange die zwei schlafen?
Mein Blick fällt auf das Bücherregal links neben dem Ferseher.
Der Nordsee Krimi... Die Leiche am See ...ne, danke... Der Hobbit... Die Abenteuer des Huckleberry Finn... beide schon gelesen... Die Bibel... was hat die denn dazwischen zu suchen?!...
Ich glaube ich geb's auf... oder obwohl... Steven King - Mind Control... warum eigentlich nicht.

Und schon zum zweiten Mal an diesem Tag werde ich unsanft geweckt.
Okay... was heißt unsanft...
Ich höre ein leises Knistern und Rascheln nahe an meinem Ohr und öffne meine Augen.
HALLELUjaaaa...
»Müsst ihr mich so erschrecken?!«, fahre ich sie genervt an.
Shari hält mir eine Papptüte direkt vor die Nase und grinst mich breit an.
»Es gibt Frühstück...«, nun kommt auch Cara in das Zimmer.
»Ja, hab ich bermerkt«, murmle ich schon weniger sauer.
Ich reibe mir die letzten Spuren des Schlafs aus den Augen und folge den beiden in die Küche.
Cara stellt drei rote Teller sowie jeweils eine geblümte Tasse dazu auf den Tisch, auf dem eine frische weiße Tischdecke ausgebreitet ist. Weiterhin stehen dort schon Marmalade und Nutella, Honig, Erdnussbutter und Rama. Als auf die Frage, ob ich noch was helfen kann, verneint wird, kuschele ich mich schließlich auf meinen Lieblingsplatz auf der Eckbank. Shari lässt sich auf den Stuhl mir gegenüber nieder und Cara stellt noch eine Flasche Milch und eine Kanne mit Tee neben den Korb mit Brötchen, Laugenstangen, Crossoits und ... - OMG! - Rosinenbrötchen, bevor sie sich dann auf der anderen Seite der Bank hinsetzt.
Ich schnappe mir ein noch warmes Rosinenbrötchen, was von Cara grinsendend mit »was auch sonst« kommentiert.
Nachdem der Korb nicht mal ansatzweise halb geleert ist und die Küche einem Schlachtfeld ähnelt, machen wir uns daran alles ordentlich wegzuräumen.
»Was machen wir eigentlich heute?«, erkundigt sich Shari.
Ich blicke sie fassungslos an.
»Lern...«
»NEIN!«, fällt mir Cara ins Wort, »heute lernen wir nicht!«
»Aber...«
»Wir haben schon gestern und vorgestern Stunden hinter diesen scheiß Büchern verbracht! Heute ist Lernpause«, verkündet Cara bestimmt und Shari lächelt erleichtert.
»Nicht mal ganz kurz?«, frage ich vorsichtig.
Ich will, dass diese Arbeit gut wird. Und das ist echt nicht wenig Lernstoff... andererseits könnte es ganz gut sein, auch mal zwischendurch an was anderes zu denken...
Na ja, ich habe so oder so keine Wahl, wenn ich sehe, wie die zwei mich anschauen.
Ich muss lachen.
»Okay! Ist ja schon gut! Also, was machen wir?«
»Hmm...«
»Wir könnten mit dem Zug in die Stadt, da ist verkaufsoffener Sonntag...«
»Oh ja!«
Ich könnte auch ein paar neue Pullover gebrauchen und habe nichts dagegen.
Gegen Mittag kommen wir also an der Einkaufsmeile an und Shari stürzt als erstes in den nächsten Levi's Shop. Cara und ich verdrehen die Augen. War ja klar...

Wir schlendern durch die Straßen und werfen den ein oder anderen Blick in einen der Läden. Es tut so gut mal nicht zu lernen!
Dabei vergessen wir komplett die Zeit und bermerken erst wie spät es schon ist, als die Sonne hinter den Hochhäusern komplett verschwunden ist.
17:45 zeigt mein Handybildschirm an, so wie eine SMS vom meinem Vater, dass ich bitte bald heimkommen soll.
»Lasst uns den nächsten Zug nach Hause nehmen.«
»Ja, ist gut«, stimmt Cara mir zu.
»Können wir vielleicht noch kurz da drüben rein?«
Shari deutet auf ein nahegelegenes Geschäft und wir stimmen zu.
»Aber nur kurz...«
Beim Betreten sehe ich sofort eine Jeans, die ich unbedingt anprobieren möchte.
Cara hält zwei Pullover in den Händen und Shari ist ebenfalls mit einem Pullover und einer Jacke bewaffnet.
Wir beeilen uns zu den Umkleiden zu kommen und finden zum Glück direkt einige freie.
Ich tausche meine Jogginghose gegen die Jeans, die perfekt passt und will sie gerade meinen Freundinnen präsentieren, als ich eine Stimme höre, die mir irgendwie bekannt vorkommt.
Nein.
Das kann gar nicht sein.
Das ist er bestimmt nicht.
Das wäre ja...
Ach, Schwachsinn.
Das ist unmöglich.
Never.
Aber bei meinem Glück...
Ich versuche mir einzureden, dass es jemand anderes, mit einer sehr ähnlichen Stimme sein muss, weil das echt ein bescheuerter Zufall wäre.
Solche Zufälle kanns nicht geben.
So viel Pech, kann nicht mal ich haben!
Doch als ich die Stimme erneut vernehme, werden alle meine Zweifel weggeblasen.
Doch, Tess.
Anscheindend doch.