Kapitel 9

25 2 0
                                    

Kurz bevor ich ihn erreiche, dreht er sich zu mir um und lächelt mich mit diesem unglaublich süßen Shane Lächeln an.
Sofort ist meine Müdigkeit vergessen und das Kribbeln in meiner Magengegend meldet sich wieder.
Er hält mir die Tür auf und wir laufen über den Parkplatz auf einen schwarzen BMW zu.
»Meine Cousine fährt«, erklärt er mir.
Schon sehe ich auch Larissa, die bereits im Wagen wartet und ungeduldig mit den Fingern aufs Lankrad trommelt.
Och nö.
Was kann heute eigentlich noch alles schieflaufen?
»Ihr werdet euch verstehen.«
Ja, wir verstehen uns super.
So gut, dass ich sie auf der Party erstmal attackiert habe.
Aber... vielleicht weiß er das gar nicht?
Er ist bereits an der hinteren Tür angekommen und hält sie mir auf.
Dann steigt er auf der gegenüberliegenden Seite ein.
Als Larissa in den Rückspiegel blickt, erstarrt ihr Gesicht für wenige Sekunden. Doch sie fängt sich schnell wieder und parkt dann aus.
Erst jetzt bemerke ich eine weitere Person auf dem Beifahrersitz, der ich allerdings keine Beachtung schenke, da ich Shanes Blicke auf mir spüre.
Ich versuche die Fahrt über nicht allzu angespannt rüberzukommen, aber Shane muss es einfach bemerken, denn ich traue mich fast nicht mal zu atmen.
Plötzlich bleiben wir stehen.
Wir sind nicht bei Shane daheim, sondern stehen vor dem Eingang der Fußgängerzone der Innenstadt.
Shane steigt aus, was ich ihm gleichtue.
Geschafft.
Aber was machen wir denn hier?
Er zwinkert mir verschwörerisch zu und läuft dann mit mir die Passage entlang.
Als mir der Geruch von Essen in die Nase steigt, fängt mein Magen an zu knurren. 
Er scheint entweder meinen Magen oder meinen sehnsüchtigen Blick bemerkt zu haben.
»Hast du Hunger?«
Ich nicke etwas schüchtern.
»Bisschen«, nuschle ich.
Ich mag es nicht vor fremden Leuten zu essen.
»Wollen wir zu Vapiano?«
Ich schüttele nur den Kopf.
Ich habe nur drei Euro oder so dabei.
»Lass uns doch einfach ein Brötchen holen«, schlage ich vor.
Er schaut mich zwar etwas schräg an, läuft dann aber mit mir zu der Bäckerei und wir holen uns jeweils ein belegtes Brötchen.
Ich versuche langsam zu Essen.
Erstens will ich nicht verfressen rüberkommen und zweitens auch nicht unbedingt die Soße an meinem Rock hängen haben.
Wir haben uns in den Stadtpark gesetzt und als ich fertig bin, bemerke ich, dass Shake mich beim Essen beobachtet hat.
Mir ist sowas mega peinlich, weil ich finde, dass ich beim Essen aussehe wie ein Kaninchen.
Ich drehe den Kopf etwas weg, sodass er die Röte, die langsam von meinem Hals zu meinem Gesicht hochkriecht, hoffentlich nicht bemerkt.
»Was wollen wir machen?«, fragt er mich.
Oh nein, wie süß.
Ich zucke mit den Schultern.
»Hm...«
»Komm mit«, meint er dann plötzlich euphorisch.
Wir laufen immer weiter aus der Innenstadt und kommen schließlich im Industriegebiet an.
Hier laufen nur noch wenige Passanten und auch der Verkehr ist um diese Zeit eher rahr.
Zweifel überkommen mich.
Ich laufe mit einem eigentlich fremden Menschen durch ne ziemlich verlassene Gegend.
Tess, reg dich ab und sei nicht so ängstlich - vardammt!
Wir kommen scheinbar an, denn Shane öffnet die Tür zu einem unscheinbaren Gebäude und führt mich die Treppenstufen nach oben. Ich höre viele Stimmen und plötzlich einen Knall.
Ich zucke leicht zusammen, doch oben angekommen, sehe ich, dass es sich um eine Bowlingbahn handelt und entspanne mich wieder.
Shane begrüßt einen jungen Mann, der etwa Anfang zwanzig sein muss, mit einem Handschlag.
Nach einem kurzen Wortwechsel zeigt der Mann auf eine Bahn am anderen Ende.
Shane nickt und zieht mich dann zu der Bahn.
Das letzte Mal Bowling gespielt habe ich mit zwölf auf einem Kindergeburstag.
Das kann ja was werden.

Nach vier - oder waren es fünf? - Runden beschließen wir schließlich uns noch schnell etwas zu trinken zuholen und uns dann auf den Rückweg zu machen.
Ich habe mich gar nicht so schlecht geschlagen. Und die letzte Runde habe ich sogar - dank eines Strikes - gewonnen, was ich mit einem kleinen Triumphschrei gefeiert habe.
Mit einer kühlen Limo in der Hand laufen wir zur U-Bahn Station und fahren wenig später zurück. Wir müssen noch zweimal mit dem Bus umsteigen und kommen schließlich bei Shane vor der Haustür an.
Ich schaue in den Himmel und bemerke, dass der Mond und einige Sterne schon zu sehen sind.
Ich blicke auf die Uhr.
22:09
Oh oh.
Mum ist zwar nicht da, aber Dad müsste schon daheim sein und auf mich warten. Ich habe ja auch niemandem Bescheid gegeben - mein Handy liegt ja daheim.
»Shane, ich muss heim...«
Er schaut mich kurz enttäuscht an und bringt mich dann heim.

»Danke«, lächle ich und umarme ihn noch kurz.
Ich drehe mich um und laufe zur Tür.
»Warte!«
Er hat es doch nicht vergessen...
Er kommt auf mich zu und gibt mir einen Kuss.
Er ist länger als der erste.
Vielleicht sogar schon etwas besitzergreifend.
Ein Adrinalinstoß durchfährt mich.
Was ist, wenn Dad das sieht?
Egal.
Wir lösen uns nach einer gefühlten Ewigkeit voneinander.
Er lächelt mich nochmal an und ich laufe die Treppe zur Tür hoch.
Ich gehe hinein und blicke mich noch einmal um.
Er schenkt mir noch einmal an diesem Tag ein Lächeln und verschwindet dann in der Dunkelheit.
Ich schließe die Tür hinter mir, lege meine Sachen ab und trete in die beleuchtete Küche.
»Dad?«
Keine Antwort.
Ein mulmiges Gefühl überkommt mich.
»Dad?«
Ich schleiche ins Wohnzimmer und sehe ihn auf dem Sofa schlafen.
Beruhig dich wieder!
Ich bin wohl einfach etwas überängstlich.
»Dad?«
Er blinzelt und richtet sich dann auf.
»Wo warst du?«, fragt er und reibt sich die Augen.
»Bei Cara«, lüge ich. »Hast du schon gegessen?«
»Ja, du nicht?«
»Doch, doch«, lüge ich wieder.
Er weiß genau, dass Caras Mutter mich nie mit leerem Magen heimlassen würde.
»Ich geh dann schonmal hoch.«
Ich gehe die Treppe hoch, packe schnell die Tasche für morgen und lasse mich auf mein Bett fallen.
Was für ein Tag.
Ich höre meinen Vater die Treppe hochkommen.
Die Schlafzimmertür öffnet sich und schließt sich wieder und es wird ruhig im Haus.
Jetzt wo diese Aufregung, die den ganzen Tag in mir war, langsam verfliegt, merke ich, dass ich unglaublich müde bin.
Ich überlege, ob ich wirklich schon schlafen gehen sollte.
Genau in diesem Moment fängt mein Magen plötzlich unangenehm zu stechen und ich fühle mich plötzlich ziemlich schlecht.
Ich habe heute, außer dem Brötchen, noch nichts gegessen.
Ich seufze.
Ich schleiche ins Bad, ziehe mir meinen Pyjama über und binde mir sie Haare zu einem Dutt.
Leise laufe ich die Treppe runter und trete in den Wohnraum.
Aufeinmal fährt mir etwas haariges um die Beine.
Ich beuge mich hinunter und fahre Lillyfee über das lange weiße Fell.
Ich schließe die Tür und mache dann das Licht an.
»Na? Hast du auch noch nichts gegessen?«
Sie miaut zur Bestätigung, aber als ich einen Blick in ihren Napf werfe, sehe ich, dass Dad ihr schon etwas gegeben hat.
»Du kleiner Schlingel!«
Ich öffne die Kühlschranktür.
Hmm...
Ich finde noch etwas Fisch, den ich in Lillys Napf lege und hole mir dann eine schon fast leere Dose Gemüse Ravioli heraus.
Ich will keinen Lärm machen und außerdem habe ich riesigen Hunger.
Also esse ich es einfach kalt direkt aus der Dose, habe danach aber immernoch ziemlich großen Hunger.
Ich werfe erneut einen Blick in den Kühlschrank.
Milch, Eier, Butter, Toast, Wurst und noch etwas Gulaschsuppe vom Vortag, die ich sowieso nicht esse.
Scheiß drauf.
Ich schnappe mir eine Packung Ben&Jerry's und einen Löffel.
Ich laufe wieder hoch und lasse mich damit auf mein Bett fallen. Gefolgt von Lilly, die sich auf meinem Schoß niederlässt.
Ich bemerke, dass das Eis ebenfalls fast leer ist und stöhne.
Morgen muss ich dringend einkaufen gehen. Mum schafft das in letzter Zeit nicht so oft - von Dad ganz zu schweigen. Also hab ich mich dazu bereit erklärt. Heute wäre ich dran gewesen. Wäre...
Während ich das Eis auslöffle und über das weiche Fell streiche, fällt mir wieder meine unglückliche Begegnung von heute Morgen ein.
Wie er wohl heißt?
Tess! Er ist ein Arsch. Es ist egal wie er heißt.
Ich versuche ihn aus meinem Kopf zu verbannen und stattdessen an den Tag mit Shane und den Kuss zu denken.
Aber er geht mir noch bis zum Einschlafen nicht aus dem Kopf.

Bitte, lass uns Freunde bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt