Kapitel 4

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Der Freitag kommt viel zu schnell und damit mein erster Tag in Anna's Diner. Lauren hatte recht als sie sagte, dass der Laden in der Nähe der Schule liegt. Tatsächlich ist das Diner fast direkt um die Ecke der Ashton High, was den Andrang an Schülern erklärt, die mir auf meinem Weg hierher begegnet sind. Von unserem Haus brauche ich nur fünfzehn Minuten bis zum Diner, was Lauren die perfekte Ausrede lieferte, um mir den Führerschein zu verweigern. Ich weiß ja, dass sie sich schwer damit tut, mir zu vertrauen, aber wir sind in Amerika und wenn Amerika sagt, dass ich mit sechzehn meinen Führerschein machen darf, dann will ich dieses Recht auch nutzen dürfen.

Lauren konnte mit meiner logischen Schlussfolgerung wenig anfangen und bestand darauf, ihr zuerst mein Verantwortungsbewusstsein unter Beweis zu stellen, indem ich diesen Job und keinen Ärger mache. Das sollte doch zu schaffen sein.

Der Laden ist nicht besonders groß, wirkt mit seiner bodenständigen Einrichtung aber sehr gemütlich. Neben zwölf Tischgruppen mit Bezügen im klassischen Diner-Rot, gibt es noch einen langen Tresen mit acht Hockern und eine erhöhte Sitzgruppe weiter hinten im Raum. Mir gefallen die Vintage Schilder, die überall an den Wänden hängen und Werbung für Speisen und Getränke aus den sechziger Jahren machen. Der Laden ist sauber und gemütlich, ein klassisches Familienrestaurant.

»Du bist bestimmt Amara.« Eine zierliche Frau mit langen dunkelbraunen Haaren und sonnengebräunter Haut kommt auf mich zu. Sie wird von einem blumigen Duft begleitet und hat einen leicht spanischen Akzent. »Ich freue mich so, dich kennenzulernen.«

»Sind Sie Mrs. Gormez?«, frage ich vorsichtig und reiche ihr die Hand.

»Bitte nenn mich Anna, Liebes. Ich bin so froh, dass du da bist. Hast du gut hergefunden?«

»Ja, danke.«

Sie ist hübsch und hat umwerfende grüne Augen mit dunkelbraunen Sprenkeln. Ich fühle mich sofort gehemmt in ihrer Gegenwart und bin unsicher, wie ich mich verhalten soll. Diese Frau hat mich einfach eingestellt, ohne mich vorher nach meiner Qualifikation zu fragen. Wenn sie merkt, dass ich total unfähig bin, wird sie mich feuern und ich muss Lauren schon wieder enttäuschen.

«Hast du schon einmal in einem Restaurant gearbeitet?«, fragt Anna schließlich doch noch.

Ich schlucke. »Nein.«

»Spätestens heute Abend kannst du das nicht mehr sagen«, meint sie zwinkernd und führt mich zum Tresen, wo ich meine Umhängetasche auf einem Hocker ablege, während Anna mir erklärt, was meine Aufgaben sind. Mit jedem Wort von ihr steigt meine Panik mehr und mehr an, bis ich mich in eine Art Hysterie hineingesteigert habe.

»Mrs. Gormez ... «, unterbreche ich sie, als sie mir die Kasse erklärt.

»Anna.«

»Anna ... « Ich hole kurz Luft und will ehrlich zu ihr sein. »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich bin nicht besonders geschickt und habe noch nie mehr als einen Teller getragen.« Abgesehen von dem einen Mal in der Bäckerei und wir wissen, wie das ausgegangen ist. »Ich will keinen Schaden anrichten.«

»Das wirst du nicht«, versucht sie mich zu beruhigen. Auf meinen zweifelnden Gesichtsausdruck hin, lacht sie und sagt: »Meine Tochter hat letzte Woche die Kühltruhe mit einem Kugelschreiber zerstört und wurde auch nicht gefeuert. Du befindest dich also in guter Gesellschaft. Solange du dich bemühst und diesen Job haben willst, Amara, gehört er dir.«

Obwohl ich Anna noch einmal vor mir und meiner Ungeschicklichkeit warnen sollte, halte ich den Mund. Ich habe Angst, dass sie mich dann vielleicht wirklich nicht mehr hier haben will. Lauren sagen zu müssen, dass ich bereits am ersten Tag gefeuert wurde, kommt für mich nicht in Frage. Also schweige ich und lasse mir von Anna den Rest des Diners zeigen.

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