Kapitel 5

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Es fängt leise an, fast lautlos, als ob die Stimmen erst einmal herausfinden müssen, ob ich sie tatsächlich hören kann. Doch binnen weniger Sekunden steigert sich das Flüstern zu einem Durcheinander aus verschiedenen Lauten. Hohe, tiefe, weit entfernte und viel zu nahe. Alle gleichzeitig, bis ich die einzelnen Stimmen nicht mehr auseinanderhalten kann und alles in einem hohen Kreischen verschwimmt, das meine Ohren klingeln lässt.

Automatisch versuche ich, Abstand zwischen mich und die Ursache für den Lärm in meinem Kopf zu bringen. Der Blick des Mädchens folgt mir, als ich unter zusammengebissenen Zähnen bis zum Tresen zurückweiche. Das harte Holz in meinem Rücken gibt mir ein Gefühl von Sicherheit, das jedoch gleich wieder verfliegt, als das Mädchen einen Schritt in meine Richtung macht. Die Schatten um ihren zierlichen Körper folgen ihr. Nur am Rande nehme ich wahr, wie Sadie und Kale miteinander sprechen. Ich nutze ihre Unachtsamkeit und dränge mich am Tresen vorbei zur Hintertür. Das Flüstern verstummt, sobald die Stahltür hinter mir ins Schloss fällt.

Ich lehne mich seufzend dagegen und konzentriere mich auf die plötzliche Stille um mich herum. Meine Ohren klingeln und ich habe das Gefühl, etwas summt in meinem Gehirn, aber von den drängenden Stimmen ist kein Ton mehr zu hören. Erleichterung breitet sich in mir aus.

Die kalte Luft kühlt meine erhitzten Wangen und lässt mich fröstelnd erschauern. Die Sonne ist untergegangen und der Hof wird nur noch von Lampions und einer Lichterkette beleuchtet. Die französisch angehauchten Gartenmöbel, zusammen mit der dezenten Beleuchtung, schaffen eine romantische Atmosphäre, die ich zeichnen würde, wenn meine Finger nicht so zittern würden.

»Ist alles in Ordnung?«

Die leise Stimme ist in der Dämmerung fast nicht zu hören und doch erschreckt sie mich so sehr, dass ich zusammenzucke und mir dabei den Ellenbogen an der Stahltür stoße. Ein Mädchen sitzt an einem der Bistrotische, vor ihr ein aufgeschlagenes Buch und eine dampfende Tasse Kaffee. Sie ist in meinem Alter, hat lange braune Haare und wirkt selbst in ihrem dicken Parker so zierlich, dass ich ihr glatt zutrauen würde, vom Wind davongetragen zu werden.

»Du siehst verstört aus«, sagt sie vorsichtig und klappt ihr Buch zu. Sie ist hübsch. Ihre Haare sind glatt und glänzend, ganz anders als meine zottelige Matte, und sie strahlt eine beruhigende Freundlichkeit aus. Sie sieht genauso aus, wie ich mir nette Kleinstadtmädchen vorgestellt habe.

Sie betrachtet mich immer noch vorsichtig und mir wird klar, dass ich etwas sagen sollte, bevor sie mich für verrückt hält.

Ich räuspere mich und mache ein paar Schritte von der Tür weg. »Es geht mir gut, danke. War ein langer Tag.«

Das ist nicht einmal gelogen. Meine Füße bringen mich um und ich kann es kaum erwarten, endlich nach Hause zu kommen, wo ich mir ein heißes Bad einlassen und anschließend mit einem Stück Kuchen auf der Couch diesen Tag vergessen kann.

»Bist du sicher?«, fragt das Mädchen skeptisch. Sogar dabei klingt sie freundlich. »Du sahst eben so aus als wärst du auf der Flucht. Hat dich jemand belästigt?«

Nein, mich hat nur ein Mädchen, eingehüllt in Schatten, die niemand außer mir sehen kann, fast zu Tode erschreckt.

Da ich ihr das nicht sagen kann, ohne wie eine Verrückte zu klingen, kleistere ich mir ein falsches Lächeln ins Gesicht und antworte: »Heute ist mein erster Tag hier und ich habe es geschafft, mir Luca zum Todfeind zu machen. Ich dachte, ich gebe ihm ein paar Minuten, damit er nicht auf die Idee kommt, mir später in mein Essen zu spucken.«

Davor habe ich ehrlich gesagt tatsächlich Angst.

Das Mädchen kichert und entschuldigt sich gleich darauf bei mir dafür. Sie trinkt einen Schluck von ihrem Kaffee und stellt sich dann als Sienna vor. Sie geht auch auf die Ashton High und ist eine Klasse über mir. Anscheinend kennt sie Sadie schon ihr Leben lang - keine Überraschung in einer Kleinstadt - und liebt den Kaffee in Annas Diner.

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