Kapitel 7

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Er sieht noch genauso aus wie ich ihn in Erinnerung habe. Kinnlange dunkelbraune Haare, gebräunte Haut und ein finsterer Gesichtsausdruck, der ihn eigentlich weniger attraktiv machen sollte. Doch die hohen Wangenknochen und das ausdrucksstarke Kinn verleihen ihm beinahe einen aristokratischen Zug. Die fast schwarzen Augen tun ihr übriges und man könnte ihn glatt für einen gefallenen Engel halten.

Jedenfalls bis er den Mund aufmacht.

»Wie blöd muss man eigentlich sein, um sich zweimal in dieselbe beschissene Situation zu bringen? Ist das typisch für euch New Yorker oder hast du einfach Todessehnsucht?«

Er ist auch noch so charmant, wie ich ihn in Erinnerung habe.

Wenn mein Magen nicht damit drohen würde, jeden Moment seinen gesamten Inhalt springbrunnenartig über den Innenhof zu verteilen, würde ich ihm die Meinung geigen. So aber begnüge ich mich damit, ihm stattdessen einen verachtenden Blick zuzuwerfen und ihm den Mittelfinger zu zeigen.

Der Junge, der vor drei Monaten mein Leben durcheinandergebracht hat, erwidert meine trotzige Reaktion lediglich mit einem unbeeindruckten Schnauben.

»Ich kann nicht behaupten, besonders überrascht darüber zu sein, dass du mir erneut das Leben schwer machst, aber nach der Sache in Manhattan dachte ich, du wärst schlau genug, dich nicht wieder mit einem Hollow anzulegen. Anscheinend habe ich dich überschätzt.«

Arschloch.

Ich setze zu einer scharfen Erwiderung an, doch alles, was aus meinem Hals kommt, ist das nächste trockene Würgen, das meinen gesamten Körper durchrüttelt.

Ich glaube, ich sterbe gleich.

Die Panik über diesen Gedanken muss mir deutlich anzusehen sein, denn der hämische Ausdruck verschwindet aus dem Gesicht des Jungen. Er kniet sich vor mir nieder und streckt seine Hände nach mir aus. Bevor er mich berühren kann, packe ich sein Handgelenk. Seine Haut ist warm und glatt. »Fass mich nicht an«, presse ich heraus.

Er sieht mir in die Augen und für einen kurzen Moment bewegt sich keiner von uns. Wieder fällt mir auf, wie attraktiv er trotz seiner finsteren Ausstrahlung ist. Den Gedanken schüttle ich jedoch schnell wieder ab, da ich gerade andere Prioritäten haben sollte, als einen hübschen Kerl. Zum Beispiel genug Luft in meine Lungen zu bekommen, um ihn zur Hölle zu wünschen, weil er mich vor drei Monaten im Schnee zurückgelassen hat.

Der Junge zieht seine Hand aus meinem Griff und bringt etwas Abstand zwischen uns. »Ich will dir nur helfen.«

Das Schnauben, das daraufhin aus meinem Mund kommt, klingt mehr nach einem Röcheln, erfüllt jedoch den gewünschten Zweck. »Du ... willst mir helfen? Vor den ... nächsten Bus, oder was?«

Der Sarkasmus käme besser an, wenn ich nicht gegen die Übelkeit ankämpfen müsste, die jeden Moment droht, aus mir herauszubrechen.

»Du bist ganz schön dramatisch«, meint der Junge und zieht die Augenbrauen hoch.

»Und du ... bist ein Arschloch.«

Ich wünschte, ich hätte mehr Luft zur Verfügung, um ihm die Worte ins Gesicht zu brüllen. Was glaubt er eigentlich, wer er ist?

Ein tiefes Lachen schallt über den Hof, als Kale völlig zerzaust auf uns zukommt. »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können.« Als ich mich in seine Richtung drehe, rumort es gefährlich in meinem Magen. »Wo zur Hölle bist du gewesen?«, fragt er den dunkeläugigen Jungen über mir.

»War beschäftigt«, ist dessen emotionslose Antwort.

Kale blinzelt perplex. »Beschäftigt?« Die unterdrückte Wut in seiner Stimme ist deutlich zu hören. »Wir wären hier beinahe draufgegangen!«

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