Kapitel 9

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»Sam, komm schon ... Nimm ab«, murmle ich rastlos in mein Telefon. Das beständige Tuten geht mir auf die Nerven. »Nimm endlich ab.«

Das ist mein dritter Versuch, meinen besten Freund zu erreichen und ich bin kurz davor durchzudrehen. Ich mache mir Sorgen, weil er mich ignoriert. Dann werde ich wütend, weil er mich ignoriert und schließlich verwandelt sich die Wut in eine tiefsitzende Niedergeschlagenheit.

Weil er mich ignoriert.

»Hey, hier ist Sam. Ihr wisst ja, was zu tun ist ...«

Das standardisierte Piep ertönt und ich fummle an meinem Cardigan herum, während ich ihm eine weitere Nachricht hinterlasse. »Hi, Sam. Ich bin's. Schon wieder ...« Ich verdrehe die Augen über den wehleidigen Klang meiner Stimme. »Ich weiß nicht, ob du meine letzten Nachrichten abgehört oder gleich gelöscht hast ... Ist auch egal. Ich wollte dir nur sagen, dass ich an dich denke und dich bald besuchen komme. Ruf mich zurück. Oder auch nicht. Bis bald.«

Bevor ich noch anfange zu heulen, lege ich auf. Er ruft ja doch nicht zurück.

Ich pfeffere das Telefon mit mehr Gewalt als nötig in meinen Rucksack und ziehe den Reißverschluss wieder zu. So nahe an der neuen Schule will ich nicht die Kontrolle über meine Gefühle verlieren, deshalb hole ich tief Luft und konzentriere mich auf die anderen Schüler, die rings um mich herum den gepflasterten Weg zum Hauptgebäude entlanggehen.

Die Ashton High ist größer als meine letzte Schule, was sicher daran liegt, dass auch die Grundschule einen Teil des Gebäudes für sich beansprucht. Ansonsten sieht sie aus wie jede andere Highschool, die ich besucht habe. Ein großes Backsteingebäude, mit breiten Fenstern und einer ebenmäßigen Fassade. Volle Parkplätze, auf denen sich die Schüler mit ihren Autos gegenseitig zu beeindrucken versuchen und viel zu grüne Grasflächen, die ein perfektes Ordnungssystem unterstreichen sollen, von dem aber alle wissen, dass es nur Show ist.

Ich sehe dieselben Cliquen. Die beliebten Kids, die Nerds, die Außenseiter und die, die glauben, dass sie nirgendwo dazugehören. Ob ich mich denen gleich vorstellen soll oder darauf warten, dass sie zu mir kommen?

Bevor ich mir einen passenden Plan zurechtlegen kann, schallt mein Name als Singsang über das Gelände. Ich drehe mich in die Richtung, aus der der Lärm kommt und sehe Sadie, die winkend und hüpfend auf mich zukommt. Ihre Haare trägt sie heute offen, sodass die braunen und blonden Strähnen als wildes Durcheinander um ihren Kopf herumfliegen. Keine Ahnung, wie sie dabei überhaupt etwas sehen kann, aber sie kommt zielstrebig näher, ohne jemanden über den Haufen zu rennen.

»Hi, neue Freundin«, begrüßt sie mich überschwänglich mit einer herzlichen Umarmung, als hätten wir uns nicht erst gestern bei der Arbeit gesehen.

Mein zweiter Arbeitstag verlief ereignislos im Vergleich zum ersten. Mir fiel ein Teller mit Tacos auf den Küchenboden, aber da Luca mir dieses Mal keine spanischen Flüche nachbrüllte, fing ich an, Anna und Sadie zu glauben, dass ich keine totale Versagerin bin. Meinen Erfolg feierten Lauren und ich mit einem Game of Thrones Marathon und Chocolate Chip Eiscreme. Die Freude wurde nur von dem Gedanken an Sam getrübt, der zwar meinen Anruf entgegennahm, aber wieder nur einsilbige Antworten von sich gab. Wenn das so weitergeht, befürchte ich, dass unsere Freundschaft das nicht übersteht.

Sadie holt mich aus meinen Gedanken. »Bist du nervös?«

»Ein bisschen«, gebe ich zu. »Ich hasse es, die Neue zu sein.«

»Es wird bestimmt nicht so schlimm. Hast du schon deinen Stundenplan?« Ich nicke und zeige ihn ihr. Sie stürzt sich sofort darauf und grinst: »Wir haben die meisten Kurse zusammen.«

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