Kapitel 11

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Ich hole tief Luft und ignoriere den beißenden Geruch des automatischen Zitronenduftspenders, der wie ein schweres Parfum in der Luft liegt und mir unangenehm in der Nase brennt. Stattdessen konzentriere ich mich auf den riesigen Kerl, der sich an den Türrahmen der Mädchentoilette lehnt und den Ausgang blockiert. Er ist bestimmt zwei Köpfe größer als ich und breit wie ein Baum. Seine Hände sehen aus als könnten sie mich wie einen Käfer zerquetschen, was nicht einmal das Unheimlichste an ihm ist. Viel gruseliger ist die Schwärze, die seinen massigen Körper umhüllt und ihm aus jeder Pore zu dringen scheint. Sie ist so intensiv, dass ich das Gefühl habe in der Dunkelheit zu ersticken. Nicht einmal das Mädchen im Diner war von einer solchen Finsternis umgeben.

Unschlüssig wie ich mich jetzt verhalten soll, beiße ich mir auf die Unterlippe und unterdrücke ein frustriertes Stöhnen. Kann man in dieser blöden Stadt nicht einmal in Ruhe zur Toilette gehen?

»Was ... Was wollen sie?«, stottere ich unbeholfen und suche nach einem anderen Ausgang. Natürlich gibt es keinen, es sei denn, ich quetsche mich durch die schmalen Fenster, die ich erst einmal erreichen müsste.

Der Schattenmann lächelt träge und verschränkt die Arme vor der breiten Brust. »Du weißt, was ich will.«

Nicht schon wieder diese Leier.

Das Schattenmädchen im Diner sagte dasselbe zu mir, bevor sie auf mich losgegangen ist. Ich habe immer noch keine Ahnung was das bedeuten soll.

»Hören Sie«, versuche ich es ruhig. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, aber lassen Sie mich in Ruhe okay? Das hat alles nichts mit mir zu tun.«

Der Mann mustert mich mit schweren Lidern, ohne mir direkt in die Augen zu sehen. Seine blasse Haut spannt über dicken Muskeln und glänzt vor Schweiß. Obwohl er aussieht als wäre er gerannt, geht sein Atem gleichmäßig und wirkt alles andere als erschöpft. Mein Atem dagegen kommt stoßweise. Die Angst schnürt mir den Hals ab und ich habe das Gefühl, die gefliesten Wände des schmalen, länglichen Raumes rücken auf mich zu.

»Haben Sie gehört?«, frage ich, weil er keine Reaktion zeigt. »Ich habe nichts damit zu tun. Lassen Sie mich in Ruhe und verschwinden Sie. Sofort!«

Erst jetzt hebt der Schattenmann den Kopf und sieht mich an. Das Flüstern beginnt, kaum dass seine dunklen Augen in meine blicken. Leise, aber bestimmend. Wie ein lästiger Juckreiz kratzen die Stimmen in meinem Kopf und betteln um Aufmerksamkeit. Natürlich kann ich sie wieder nicht verstehen. Sie klingen unruhig und ängstlich, manche mahnend oder feixend, andere lüstern und verführerisch. Ich bekomme Kopfschmerzen und dränge sie gewaltsam in den Hintergrund. Sie verstummen nicht, verschwimmen jedoch zu einem erträglichen Rauschen.

Der Schattenmann lacht leise. »Schattenflüsterin.« Eine Erkenntnis, die ihn zu freuen scheint. »Ich habe nach dir gesucht.«

Als er einen bedrohlichen Schritt in den Raum hinein macht, zucke ich zusammen. Nicht nur sein Körper kommt mir plötzlich größer vor. Auch die Schatten, die um ihn herumziehen wie eine Gewitterwolke, breiten sich aus und verdunkeln den karg beleuchteten Raum. Mein panisch klopfendes Herz setzt einen Schlag aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit zu rasen. Der Schattenmann lächelt geheimnisvoll und ich habe das starke Gefühl, etwas Wichtiges nicht mitbekommen zu haben.

»Gib sie mir«, fordert der Mann unvermittelt und verschränkt die baumstammdicken Arme vor der Brust.

»Was?« Mein Herz klopft inzwischen so laut, dass ich mir nicht sicher bin, ihn richtig verstanden zu haben.

Mit einer Geschwindigkeit, die ich seinem massigen Körper gar nicht zugetraut hätte, überwindet der Schattenmann die Distanz zwischen uns. Ich kann nicht einmal nach Luft japsen, da packt er mich bereits am Hals und hebt mich hoch, sodass ich einige Zentimeter über dem Boden schwebe.

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