Kapitel 14

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Die Sonne geht unter und beendet damit meinen kreativen Flow. Das Licht verschwindet hinter den hohen Baumkronen, die Schatten werden länger und der Wind pfeift durch die Äste. Die Geräusche des Waldes werden lauter: Das Plätschern der kleinen Quelle, die ich im Süden vermute, bisher aber nicht finden konnte, die Grillen, die zu ihrem Abendkonzert anstimmen und der Specht, der wohl das größte Durchhaltevermögen aller Zeiten besitzt und seit Stunden auf einen Baum hämmert.

Ich lege den Kohlestift zur Seite und betrachte die fast fertige Zeichnung. Obwohl die Schattierung alles andere als perfekt ist, bin ich ziemlich zufrieden damit.

Es war ein Zufall, dass ich diese kleine Höhle auf meinen Streifzügen durch den Hallimasch Forrest gefunden habe.

Sie liegt verborgen zwischen den Bäumen, wie ein Fuchsbau, aber um einiges größer. Der Eingang wird von wild wachsenden Sträuchern und dicken Ästen blockiert, doch ich könnte schwören, dass ein Leuchten aus dem Inneren der Höhle kommt. Wahrscheinlich nur etwas, das ein Tier in den Bau geschleppt und dann vergessen hat, aber die Vorstellung von etwas Geheimnisvollen fasziniert mich.

Seit einigen Tagen komme ich hierher und versuche die Höhle zu zeichnen, doch bisher gefiel mir keiner meiner Entwürfe. Sie waren zu perfekt. Wie Fotos, die zwar schön anzusehen sind, aber keinerlei Gefühl vermitteln. Ich wollte aber Gefühl.

Ich will, dass jeder sieht, was ich sehe und fühlt, was ich fühle, wenn ich vor der Höhle sitze: Neugier, Nervosität, Faszination und ein bisschen Wagemut.

Meine Zeichnung soll nicht perfekt sein, sondern roh und unvollkommen. Mit Ecken und Kanten, die zu Kritik anregen und Diskussionen anstacheln.

Perfekte Unperfektheit, das ist mein Ziel.

Vielleicht will ich auch nur meine Gedanken zum Verstummen bringen, indem ich mich auf eine fast unmögliche Aufgabe stürze. Seit Tagen misslingt es mir und der Frust darüber steigt weiter an.

Pandoras Geschichte und der Krieg der Nachfahren haben das totale Chaos in meinem Kopf hinterlassen. Ich gebe Aiden die Schuld daran. Wenn er nicht gewesen wäre, säße ich jetzt nicht in dieser Kopfschmerz verursachenden Lage.

Wenn er nicht gewesen wäre, wäre ich in Manhattan gestorben.

Keine Ahnung, ob das wirklich stimmt, aber meine innere Stimme stellt sich neuerdings ständig auf Aidens Seite. Mein Kopf hat ihr deshalb den Krieg erklärt, aber das scheint der blöden Ziege nicht viel auszumachen. Sie bastelt weiter an ihren Team-Aiden Fanshirts, während sie mich drängt, mich dem Kampf der Nachfahren anzuschließen.

Es fällt mir schwer, zu akzeptieren, dass ich in einem mystischen Krieg kämpfen soll, der seit mehreren tausend Jahren ausgefochten wird. Nicht nur, weil ich den Sinn dahinter nicht verstehe - tausend Jahre und es gibt immer noch keinen Gewinner - sondern auch weil ich nicht begreifen kann, wie eine Handvoll Teenager das Ganze zum Guten wenden soll. Nicht einmal Pandora konnte verhindern, dass die Hollows über die Welt herfallen und die war - Aiden zufolge - eine knallharte Kriegerin.

So viel zum Mythos des naiven neugierigen Mädchens.

Der Großteil am Pandora Mythos ist wohl wirklich nur das: Ein Mythos. Pandora wurde nicht erschaffen, um die Menschheit mithilfe der Büchse zu zerstören. Sie war kein Racheakt, keine Strafe. Pandora war die erste menschliche Kriegerin.

Die Hollows gab es schon vor der Büchse. Das dunkle Zeitalter, das angeblich erst durch das Öffnen der Büchse ausbrach, war in Wirklichkeit der Urzustand der Welt. Alles war dunkel und die Hollows - damals noch formlose Schatten - bevölkerten die Erde. Als dann die ersten Menschen kamen wurden sie zu Sklaven der Hollows. Viele dienten als Fleischhüllen, um den Schatten endlich eine Form zu geben.

Pandora's Box Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt