Kapitel 8

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Den restlichen Abend über stürze ich mich in die Arbeit. Ich serviere Getränke, wische die Theke, sortiere die Gewürze, dekoriere die Tafel mit den Tagesempfehlungen und nehme Bestellungen auf. All das, um mich davon abzulenken, was im Innenhof passiert ist. Ich bin so damit beschäftigt, alle Gedanken über Hollows, schicksalhafte Aufgaben und meine Rolle dabei zu verdrängen, dass ich es irgendwie schaffe, eine passable Kellnerin zu sein. Bis zum Ende meiner Schicht gibt es keine peinlichen Ausrutscher oder vergessene Bestellungen mehr. Wenn ich nicht völlig fertig wäre, würde ich mich darüber freuen.

Als der letzte Gast das Diner verlässt und Sadie das Schild an der Tür auf 'Geschlossen' dreht, entfährt mir ein erleichtertes Seufzen. Nicht mehr lange und ich kann mich auf der Couch zusammenrollen und diesen Tag vergessen.

»Das war doch gar nicht so schlecht für den Anfang.« Sadies braun-blonder Haarschopf wippt bei jedem Schritt, den sie in meine Richtung macht. Sie setzt sich zu mir an den Tresen, wo ich gerade die letzten Gewürz-Streuer an ihren Platz zurückstelle.

Ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch. »Wirklich?«

Sie nickt enthusiastisch. »Aber ja.«

»Ich finde auch, dass du das sehr gut gemacht hast«, lobt mich Anna, als sie aus der Küche kommt. Sie kontrolliert die abgeschlossene Tür, was sie laut Sadie jeden Abend mehrfach wiederholt, und wirft einen Blick auf die Tische, die ihre Tochter fein säuberlich desinfiziert hat. Der gesamte Raum riecht steril nach Zitrone.

Obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Kellnern niemals zu meinen Stärken zählen wird, bin ich erleichtert, dass mein erster Arbeitstag keine totale Katastrophe war.

Nach der Begegnung mit dem Hollow war ich mir nicht mehr sicher, ob sich der Abend noch einmal zum Guten wenden lässt. Besonders, da ich Sienna, Kale und Aiden quasi zwingen musste, mich gehen zu lassen. Ich konnte sie gerade so davon überzeugen, mich nicht in Aidens Wagen zu verfrachten. Zu meinem Glück war Aiden ebenfalls nicht begeistert von der Vorstellung, mit mir auf so engem Raum zu sitzen und ließ mich gehen. Ich musste ihnen aber versprechen, mit niemandem über das Geschehene zu sprechen.

Als ob mir irgendjemand glauben würde.

Mit wem soll ich auch darüber reden? Als ich Lauren von den Stimmen erzählte, saß ich zwei Tage später in Dr. Cohens Praxis. Wenn ich ihr erzähle, dass ich ein Monster gesehen - es sogar getötet - habe, dann schickt sie mich vielleicht zurück nach St. Johns.

Nie im Leben lasse ich das zu.

Und Sam? Ihm könnte ich es erzählen. Er würde mir vielleicht sogar glauben. Dafür müsste er aber aufhören zu schmollen und endlich mit mir reden, ohne seinen passiv-aggressiven Frust an mir auszulassen. Er ist immer noch wütend auf mich, weil ich Lauren erlaubt habe, mit mir umzuziehen. Er versteht es einfach nicht und ignoriert die meisten meiner Anrufe.

Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann.

Diese Erkenntnis macht mich traurig und wütend zugleich.

»Ich bin wirklich froh, dass du meine neue Leidensgenossin bist«, sagt Sadie verschwörerisch flüsternd, jedoch so laut, dass Anna sie hören kann.

Ihre Mutter verdreht die Augen. »Du sagst das, als wäre es eine Qual, hier zu arbeiten.«

»Es ist ja auch kein Spaß, seinen Klassenkameraden das Essen nachzutragen.«

»Sadie Lucia Gorméz«, kommt es in einem warnenden Ton von Anna. »Sprich nicht abfällig über die Arbeit, die deine Familie seit Generationen ernährt.«

Sadie hebt verteidigend ihre Hände. »Das tue ich nicht. Ich wollte damit nur sagen, dass es schön ist, jemanden in meinem Alter hier zu haben. Nichts gegen dich oder Luca, aber ich bin jung und habe populärkulturelle Bedürfnisse, die ihr niemals erfüllen könntet. Womit ich nicht andeuten will, dass du alt bist«, wirft sie schnell ein, als Anna wieder den Mund öffnet. »Ich halte jetzt einfach den Mund, bevor ich Hausarrest bekomme.«

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