1. Kapitel

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Lucius

„Mr. Malfoy, ich muss Sie bitten, mitzukommen“, sagte jemand laut an der Tür. 

Erschrocken zuckte Lucius Malfoy zusammen. „Bei Salazar, haben Sie noch nie etwas von anklopfen gehört?“, herrschte er den ernst dreinblickenden glatzköpfigen Mann an. Dieser war sofort eingeschüchtert.

„Verzeihung, Mr. Malfoy“, murmelte er. „Ich habe Sie schon zweimal angesprochen, aber Sie haben mich nicht gehört.“

„Ja, weil ich zu arbeiten habe, ich muss mich konzentrieren!“, knurrte Lucius. „Wer sind Sie überhaupt und wer hat Sie reingelassen?“

„Einer Ihrer Hauselfen hat mich hineingebeten, ich bin John Blackstone, Mitarbeiter der Aurorenzentrale“, stellte sich Blackstone vor.

Herrje, ein Auror  war das letzte, was Lucius jetzt gebrauchen konnte. Die illegalen Geschäfte hatte er zwar nach dem Krieg und seinem Freispruch aufgegeben, allerdings hatte er im Keller noch einige Dinge, die das Ministerium nicht in die Hände bekommen sollte, einige seltene Giftarten, zum Beispiel.

„Keine Angst, wir wollen das Manor nicht durchsuchen“, fuhr der Auror fort. „Ich möchte Sie nur bitten, mit mir zu kommen. Es gibt da etwas, was wir Ihnen mitteilen müssen… oder eher, was Sie selbst sehen müssen.“

Seufzend erhob Lucius sich aus seinem thronartigen Schreibtischstuhl und nahm seinen Schlangenstab. „Schön, ich komme mit“, sagte er kalt. „Aber wenn ich in einer Stunde nicht wieder hier bin, bekommen Sie gewaltigen Ärger, das versichere ich Ihnen. Ich habe ein Unternehmen zu leiten.“

Darauf antwortete der Mann nicht, sondern begleitete ihn nur mit einem seltsamen Blick nach unten in die Eingangshalle, wo Narzissa auf ihn wartete. Sie sah ziemlich verwirrt aus, anscheinend hatte der Auror sie bereits angetroffen.

„Soll meine Frau auch mitkommen?“, fragte Lucius.

Blackstone nickte. „Ja, diese…Angelegenheit betrifft Sie beide. Ich habe einen Portschlüssel dabei, bei drei legen Sie bitte Ihre Hand darauf.“ Er holte eine verrostete Dose hervor und hielt sie Narcissa und ihm hin. 

„Eins… zwei… drei.“

Gleichzeitig berührten alle drei die Dose und wurden in den üblichen Farbstrudel gerissen. Lucius hasste dieses Transportmittel wie die Pest, es war zwar genauso unangenehm wie Apparieren, aber beim Apparieren landete er wenigstens auf beiden Beinen und nicht auf seinem Hintern.

Auch dieses Mal strauchelte er bei der Landung und fiel auf weichen Erdboden, der mit Moos, Blättern und Tannennadeln bedeckt war. Fluchend rappelte er sich auf und klopfte den Schmutz von seinem teuren pelzbesetzten Umhang. Warum in aller Welt waren sie in einem Wald? Von etwas weiter weg waren Stimmen zu hören und in genau diese Richtung führte der Auror Narzissa und ihn.

Obwohl es ein warmer Sommertag war, war es hier ziemlich kühl, da kaum Sonnenlicht durch die Bäume drang. Doch Lucius beschlich das Gefühl, dass das nicht der einzige Grund war, warum er auf einmal fröstelte. Irgendwas stimmte hier nicht. 

Und kurz darauf wusste er auch, warum. Eine große Gruppe an Zauberern stand in einem Halbkreis um einen Kastanienbaum herum und blickte nach oben. Lucius folgte ihrem Blick und keuchte im nächsten Moment laut auf. Ungefähr vier Meter vom Boden hing Dracos bleicher Körper, er hatte eine Schlinge um den Hals und seine Augen starrten ins Nichts.

Narzissa schrie auf und sank auf den Boden. Sofort kümmerten sich einige der versammelten Zauberer um sie, doch Lucius beachtete sie nicht. Er konnte seinen Blick nicht von seinem toten Sohn abwenden. Wieso hatte er das nicht kommen sehen? Wieso hatte er nichts getan? Sein einziges Kind war tot und er hatte nichts dagegen getan! 

Erst, als sich jemand räusperte, wandte Lucius seinen Blick ab. Kingsley Shacklebolt stand vor ihm und sah ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid an. Sie hatten sich noch nie gut leiden können, aber in dieser Situation ließ Shacklebolt das persönliche Verhältnis außer Acht. Der Zaubereiminister hielt ihm eine Rolle Pergament hin.

„Ihr Sohn hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.“

Mit zitternden Händen nahm Lucius das Pergament und rollte es auseinander.

Liebe Mum, Vater,

wenn ihr das hier lest, gibt es mich nicht mehr. Ich habe es schon eine ganze Weile geplant, denn meine Dämonen lassen mich einfach nicht in Ruhe. Ich dachte, dass es mit Ende des Krieges vorbei wäre, aber das war es nicht. Die Albträume gingen weiter, meine Gedanken haben mich immer mehr in die Dunkelheit gezogen. Ich bereue es jeden Tag, gezwungenermaßen auf der Seite der Todesser gestanden zu haben und Dinge getan zu haben, die einfach furchtbar sind.

Ich wollte nie so wie du werden, Vater. Tief in meinem Inneren habe ich Muggel oder Muggelstämmige nie gehasst, dennoch tat ich so, als ob, denn ich wollte dich stolz machen. Aber du hast mir nie richtige Anerkennung zukommen lassen, hast mir nie deine Liebe gezeigt… falls du mich je geliebt hast. Und das hat dazu beigetragen, dass ich im Laufe der Jahre immer mehr mit mir selbst gekämpft habe, ich hatte immer das Gefühl, dass alles, was ich tat, nicht genügte. Ich wollte doch nur, dass du mich als dein Sohn anerkennst, aber ich habe mich immer als ferner Bekannter gefühlt, jemand, den du gerade so tolerierst, aber am liebsten ändern würdest. Hoffentlich erkennst du irgendwann, dass du Fehler gemacht hast und ich wünsche mir, dass du dich änderst. Und ich glaube, dass du das schaffen kannst.

Mum, ich weiß, du hattest es nie leicht mit Vater. Er hat dich – wie mich – nicht gut behandelt. Ich habe wirklich versucht, stark für dich zu sein, damit du mit Vater klar kommst, aber ich bin am Ende meiner Kräfte angelangt. Es tut mir so leid. Ich kann dich nicht länger beschützen. Du sollst aber wissen, dass ich dich unendlich liebe, du bist die beste Mutter, die ich mir hätte wünschen können. Ich hoffe so sehr, dass du irgendwann zurück ins Leben findest, ich weiß, dass die erste Zeit nach meinem Tod nicht leicht wird. Bitte bleib stark. Für mich. 

Draco

Lucius las den Brief dreimal, doch irgendwann verschwammen die Worte vor seinen Augen und er realisierte, dass er weinte. Das erste Mal seit vielen Jahren weinte er. Er war schuld an Dracos Tod. Er hatte seinen eigenen Sohn umgebracht. Diese beiden Sätze kreisten unaufhörlich in seinen Gedanken, sodass er kaum mitbekam, wie er nach Hause begleitet wurde.

„…Heilerin kommt… psychiatrische Abteilung…vom St. Mungo…. Morgen… unterstützen…“, waren die Bruchstücke, die Lucius mitbekam. Er nickte zu allem, er konnte einfach nicht sprechen, nicht klar denken, er war wie betäubt. 

Als er endlich alleine war, konnte er nur eines denken – er brauchte Alkohol, sonst würde die Trauer, die sich in ihm breit machte, ihn völlig überwältigen. Deshalb schloss sich Lucius in seinem Arbeitszimmer ein, griff nach einer Flasche Feuerwhiskey in einem der uralten Schränke und trank direkt daraus. 

Er trank immer weiter, ging schließlich zu Schnaps über und hörte auf, mitzuzählen. Die Menge spielte überhaupt keine Rolle, Hauptsache, er konnte das Bild seines toten Sohnes aus seinem Kopf verdrängen. 

Irgendwann gelang ihm das auch, denn mit einem Mal wurde ihm schwarz vor Augen. Die Schnapsflasche zerbrach auf dem Boden und Lucius brach daneben zusammen.

Lucius Malfoy's Misery - LumioneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt