2

1.6K 89 4
                                    

Die Zeit verging wie im Flug und ich saß auch nach einer Stunde noch im Sand und starrte Löcher in die Luft. Wenigstens flossen keine Tränen mehr. Dafür verspürte ich großen Durst. Es war, als wären alle Flüssigkeitsreserven meines Körpers beim Weinen verflossen. Eine größere Rolle spielte aber die Hitze. Ich saß schließlich in der prallen Sonne.

„So kann das nicht weitergehen", sagte ich zu mir selbst und richtete mich langsam auf.
All meine Emotionen und Erinnerungen schienen mit den Tränen aus mir heraus gekullert zu sein. In meinem Inneren herrschte nun eine schreckliche Leere. In einem solchen Zustand war ich schon sehr lange nicht mehr gewesen.
Wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich mich nun in mein Bett gezaubert und wäre am liebsten erst dann wieder aufgewacht, wenn die Ferien vorüber wären. Auch wenn Frau Prins nicht mehr meine Lehrerin wäre, könnte ich sie dann zumindest noch in den Pausen sehen.

Langsam trottete ich über den Sandweg zurück zum Ausgang. Die Sonne schien noch immer hoch am Himmelszelt und das Moorgewässer schimmerte zauberhaft.
Dieser Anblick hatte mich immer fasziniert, spätestens bei diesen wunderschönen Eindrücken hätte der Naturpark es geschafft, mir neuen Mut und neue Hoffnung zu machen. Doch nun empfand ich rein gar nichts.
Ich nahm die Bilder in mir auf, hielt sie sogar mit meinem Handy als Fotos fest, in der Hoffnung, zu einem späteren Zeitpunkt das Wunder dieser Bilder wieder zu spüren.

Mein Zeitgefühl schien vollkommen verschwunden zu sein. Plötzlich war ich wieder zu Hause und die Uhr verriet mir, dass ich sechs Stunden weg gewesen war. Normalerweise erschrak ich bei solchen Feststellungen, doch diesmal war es mir total egal. Ich war überfordert mit meiner Gesamtsituation.
Ich duschte mich, machte mich gleich darauf fertig fürs Bett und wollte schlafen.
Aber selbst das konnte ich nicht. Ich wusste nicht mehr wie mir geschah, geschweige denn, wo ich war und wer ich war. Als ich so leer im Bett lag und emotionslos die Wand anstarrte, zweifelte ich sogar an meiner Existenz.

Ein lautes Brummen ertönte in meinen Ohren. Ob es echt war oder Einbildung, wusste ich nicht mehr zu unterscheiden. Doch dieses Brummen war so laut und so tief, dass ich endlich wieder etwas fühlte: Angst.
Angst breitete sich in meinem Inneren aus und füllte die Leere wieder auf. In diesem Moment wusste ich nicht, was mir lieber war. Ich wollte schreien, aufstehen und weglaufen, doch die Angst hielt mich gefangen und schnürte mir die Kehle zu. Alles um mich verschwand und wurde allmählich schwarz.

Kurz bevor ich gar nichts mehr sah, erschien ein helles Leuchten. „Nina, was ist los mit dir?", hörte ich mich eine Stimme fragen. Ich kannte diese Stimme und ich liebte diese Stimme. Es gab gerade nichts, was ich lieber hören wollte. So flüsterte ich: „Ich habe Angst." Erneut war diese wunderschöne Stimme zu hören: „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin bei dir." 

Ein warmes und wohliges Gefühl umhüllte mein Herz und ließ all meine Ängste und Sorgen verschwinden.
Das Leuchten wurde heller und inmitten des hellsten Lichtes stand die unverwechselbar schönste Frau der Welt, die unverwechselbare, wundervolle Frau Prins. Sie kam auf mich zu und nahm mich in ihren Arm. Nun war jegliche Dunkelheit verschwunden und alles um mich herum erstrahlte im schönsten Licht, in allen erdenklichen Farben.
„Ich lass dich nicht alleine", sagte Frau Prins und in ihrer Stimme lag pure Ehrlichkeit. Ich konnte vor Überwältigung nichts mehr sagen und nahm ihre Hände in meine. Voller Dankbarkeit lächelte ich sie an.
Aus der Ferne war leise Musik zu hören. Es war der irische Segensgruß, den wir auch am Ende der Messe gesungen hatten. Nun machte dieses Lied mich ganz und gar nicht mehr traurig. Im Gegenteil, es klang so wunderschön wenn Frau Prins bei mir war und den Anschein machte zu bleiben.
Nach und nach nahm ich auch meine Umgebung wieder wahr. Frau Prins und ich standen Hand in Hand im Naturpark Bargerveen. Auf der linken Seite standen die Birken und Vögel zwitscherten vergnügt ihre Strophen. Auf der rechten Seite schimmerte das tiefblaue Moorgewässer in der Sonne. Noch nie zuvor hatte mich dieser Anblick so sehr verzaubert wie jetzt, als ich Lisa Prins gegenüberstand und ihre wunderschönen Hände in meinen Händen hielt.

Als wäre es das Normalste der Welt, machte ich mich mit ihr an der Hand auf den Weg und zeigte ihr die schönsten Stellen des Naturschutzgebietes. So gelangten wir nach einigen Minuten an den Aussichtsturm. „Haben Sie Lust, mit mir hinauf zu gehen?", fragte ich meine Lehrerin. Frau Prins nickte. „Aber natürlich, Nina."

Oben angekommen, nahm Frau Prins mich fest in ihren Arm. Dabei versprach sie: „Wenn du mich jemals wieder so vermissen solltest, rufe mich einfach an. Ich werde für dich da sein. Zu jeder Tages- und Nachtzeit."

Erneut stieg ein lautes Brummen in meine Ohren. Alles um mich war plötzlich wieder schwarz. Je lauter es wurde, desto mehr klang es nach unserem Rasenmäher. Auf einmal wurde alles hell. Ich kniff meine Augen zu. „Frau Prins?", fragte ich ängstlich. Doch statt meiner Lehrerin antwortete meine Mutter: „Äh... nein? Liebes Fräulein Smit, du solltest jetzt mal aufstehen und deinem Vater bei der Gartenarbeit helfen. Ferien sind nicht nur zum Schlafen!"
Erschrocken riss ich meine Augen auf und stellte dabei fest, dass ich im Bett lag, meine Mutter in der Tür stand, dabei eine Hand am Lichtschalter hatte und die andere Hand in ihre Hüfte stemmte.
Tausende Gefühle überströmten mich. Was meine Mutter sagte, bekam ich nicht mehr mit und sobald sie aus meinem Zimmer verschwand und die Tür hinter sich zu zog, wurde mir bewusst, dass ich alles mit Frau Prins nur geträumt hatte. Ich war also doch irgendwann eingeschlafen.
Schon wieder war mir zum Weinen zumute, denn der Liebeskummer nach meiner Lehrerin kehrte zurück. Sie fehlte mir so sehr.

Doch irgendwie musste ich nun stark sein und so sah ich die Gartenarbeit als eine gute Methode zur Ablenkung. Ich schüttelte einmal kräftig meinen Kopf, zog mich an, ging ins Bad, aß noch schnell einen Müsliriegel und trank ein Glas Wasser, bevor ich meine Gummistiefel anzog und mich zu meinem Vater gesellte, um ihm im Garten zu helfen.

BargerveenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt