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Während wir so über die Landstraße fuhren, sagten wir kaum ein Wort. Im Radio liefen ganze drei Lieder, die mich schon seit längerem an Frau Prins erinnerten.

Ich sah immer wieder zu ihr, dann wieder nach draußen zu den funkelnden Sternen. Alles kam mir irgendwie magisch vor.

Kurz bevor wir das Ortsschild meines Heimatortes erreichten, fragte Frau Prins: „Und Sie sind wirklich von hier bis nach Klazienaveen mit dem Fahrrad gefahren? Ganz alleine?"
Ich nickte und antwortete: „Ja, das mache ich wohl öfter. Aber heute habe ich vorher schon eine große Runde durch Schoonebeek gedreht und mich selbst etwas überschätzt."
Frau Prins kicherte: „Tja, Nina. Aus jeder Situation lernt man etwas dazu. Jetzt wissen Sie, dass Sie sich vorher überlegen müssen, ob Sie durch Schoonebeek oder durch Klazienaveen fahren wollen."
Scherzhaft entgegnete ich: „Morgen fahre ich einfach nach Deutschland. Dann bleibt mir die Entscheidung erspart." Frau Prins schüttelte ihren Kopf. „Sie sind mir ja eine..."

Schon waren wir aus dem Ort wieder heraus und Frau Prins beschleunigte so sehr, dass ich regelrecht in den Sitz gedrückt wurde. „Oh mein Gott", staunte ich, "Ich hätte nie gedacht, dass das mit diesem Auto möglich ist."
Frau Prins lachte schon wieder. Auf einmal fühlte ich mich gar nicht mehr wie eine ehemalige Schülerin und meine Aufregung ließ etwas nach. Auch Frau Prins verhielt sich nicht mehr wie eine Lehrerin, sondern eher wie eine Freundin. Nur dass sie mich siezte, zerstörte diese Atmosphäre etwas.

„Sie sagen mir Bescheid, wenn ich abbiegen muss, oder?", fragte sie. Da fiel mir auf, dass wir längst zu weit gefahren sind und bereits in 500m in Deutschland waren.
„Äh, Frau Prins?", setzte ich an und musste gar nicht weitersprechen. „Willkommen in Deutschland?", las meine Lehrerin. „Wir sind also schon zu weit, stimmt's?"
Ich nickte und konnte mir das Kichern nicht mehr verkneifen. Auch Frau Prins lachte und fuhr auf den nächsten Hof, um dort umzudrehen. „Sie müssen mich navigieren", forderte sie mich auf, „nicht leise vor sich hin träumen. Ich weiß, es ist schon spät, aber leider kann ich nicht riechen, wo Sie wohnen."

Ich versprach ihr, nun etwas besser aufzupassen. Wieder lachten wir. Es war unglaublich, dass ich noch vor wenigen Stunden weinend am Boden saß und nun die schönsten Momente meines bisherigen Lebens erfuhr.

Diesmal schaffte ich es tatsächlich, meiner Lehrerin früh genug Bescheid zu geben, dass sie abbiegen musste. Schon wenige Minuten später standen wir vor unserem Haus.
„Danke fürs Bringen", sagte ich und wollte gerade aussteigen, doch Frau Prins hielt mich am Arm fest. „Haben Sie noch zwei Minuten Zeit?", fragte sie.

Mein Herzschlag wurde schneller, meine Gedanken überschlugen sich und ich blieb sitzen und nickte.
Frau Prins lächelte und fragte: „Also... dass Sie mir den Naturpark zeigen wollen, meinten Sie das wirklich ernst?"
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Natürlich meinte ich das ernst. Ich war mir jedoch plötzlich unsicher, ob dieser Vorschlag überhaupt legitim war. „Äh", stammelte ich, „ich glaube schon."
Daraufhin legte Frau Prins mir ihre Hand auf den Oberarm und meinte: „Das würde mich sehr freuen. Ich fand den Abend mit Ihnen heute sehr schön. Es war sehr spontan und eigentlich ungewollt, aber so außerhalb der Schule sind Sie ganz anders. Sie sind viel lockerer. Das gefällt mir."
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte und grinste sie stattdessen verlegen an. Wieder ergriff Frau Prins das Wort: „Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie duze?"

Mit einem Male fühlte ich mich lebendiger denn je zuvor. Ich schüttelte heftig meinen Kopf und quietschte etwas zu euphorisch: „Nein! Im Gegenteil, das wäre toll!"
Frau Prins lachte schon wieder. „Oh Nina, du überraschst mich immer wieder."
Sobald sie das Wort „du" aussprach, durchfuhr mich ein elektrischer Schlag. Es war unglaublich.

„Dann schlaf gut und grüße deine Eltern von mir. Ich melde mich", versprach sie mir beim Abschied.
„Mach ich", entgegnete ich, „Und kommen Sie gut nach Hause. Gute Nacht, Frau Prins!"
Meine Lehrerin winkte mir noch einmal zu bevor sie rückwärts von unserem Hof fuhr und ich die Haustür aufschloss.
„Was ein Tag", murmelte ich und lächelte zufrieden.

Endlich schaffte ich es mal wieder, ohne einen nervlichen Zusammenbruch glücklich einzuschlafen und morgens gut ausgeruht wieder aufzuwachen.

BargerveenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt