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Am Abend saß ich noch bis 23 Uhr am Laptop und recherchierte die Geschichte des Bourtanger Moores. Mein Vater stand plötzlich hinter mir und fragte: „Was liest du denn da?"
Ich war so in den Texten vertieft gewesen, dass ich mich richtig erschrak und zusammenzuckte. Dann antwortete ich: „Ich suche ein paar Infos zu unserem Naturpark. Das ist alles total interessant."

Mein Vater wunderte sich über mein plötzliches Interesse. Er hatte eigentlich gedacht, dass ich bis auf Fremdsprachen, Musik und Pädagogik/Psychologie kaum andere Interessengebiete hatte. Er erzählte mir noch von seinem ersten Praktikum im Torfabbau und dem größten Freizeitspaß seiner Kindheit, dem 'Ölpumpen-Hängen'. Wir lachten gemeinsam über die prägendsten Erlebnisse seiner Kindheit im Moor und gingen kurz nach Mitternacht endlich schlafen.

Zumindest versuchte ich zu schlafen, doch je mehr Zeit verging, desto größer wurde meine Aufregung. Schon in wenigen Stunden würde ich meine geliebte Frau Prins treffen. Ich malte mir die schönsten Gespräche und Situationen aus und musste dabei doch irgendwann eingeschlafen sein. Denn morgens um 9 Uhr wurde ich vom Staubsauger meiner Mutter geweckt.

Ich war sofort hellwach, frühstückte in Windeseile und machte mich frisch. Für das Treffen entschied ich mich für eine kurze Hose und ein luftiges T-Shirt, denn Kleider und Röcke waren bei Radtouren eher unpassend.

Pünktlich um viertel vor zehn verabschiedete ich mich von meinen Eltern und Oma und machte mich mit dem Fahrrad auf den Weg ins Moor.
Wie ich es erhofft hatte, war ich vor meiner Lehrerin da und dachte noch einmal über die wichtigsten Informationen über den Park nach. Dabei hoffte ich, dass Frau Prins den Weg überhaupt finden würde. Kurz nach der Ortschaft Weiteveen war die Straße mit den roten Fahrradwegen auf der linken Seite zwischen einigen Bäumen versteckt. Diese musste sie erst finden.

Wenige Minuten später sah ich jedoch mit Erleichterung ihr wundervolles Auto um die Ecke fahren. Ich wunderte mich, ob Frau Prins' Fahrrad so klein wäre, dass es in das kleine süße Auto passte. Denn einen Fahrradanhänger hatte sie nicht dabei.

Überglücklich stellte ich mein Fahrrad ab und lief mit klopfendem Herzen auf die parkende Frau Prins zu. Durch die Frontscheibe sah ich meine Lehrerin und sie lächelte unglaublich süß. Sobald sie ausgestiegen war, wurde ich noch nervöser und vergaß plötzlich alles, was ich ihr sagen wollte.
Sie kam auf mich zu und breitete ihre Arme aus. Ich wusste nicht, wie mir geschah. Auf einmal stand sie direkt vor mir und legte ihre Arme um mich. Wie von selbst erwiderte ich die Umarmung und es war, als wäre ich angekommen. Es fühlte sich an wie eine wahre Heimat. „Hallo Nina", begrüßte sie mich, „Schön, dass das geklappt hat."
Ich war viel zu aufgeregt, um überhaupt etwas Sinnvolles zu sagen und gab irgendwelche Piepsgeräusche von mir, die meine Lehrerin als Begrüßung interpretierte.
Sobald sie sich aus der Umarmung löste, entwickelte sich bei mir das Bedürfnis, sie festzuhalten. Doch sie war schneller.

Während Frau Prins sich staunend umsah, versuchte ich im Auto ihr Fahrrad zu finden, doch bis auf Kindersitze war auf der Rückbank nichts zu sehen.
Etwas verwirrt fragte ich: „Haben Sie gar kein Fahrrad dabei?" Frau Prins wandte sich mir wieder zu und meinte: „Nein, leider nicht. Aber wir können doch auch etwas spazieren gehen, oder?"
Nun schlug mein Herz noch schneller. Sie wollte tatsächlich mit mir im Naturpark spazieren gehen. Das machten sonst eigentlich nur Paare und Familien mit kleinen Kindern.
Freunde und Bekannte fuhren überwiegend mit dem Fahrrad durch den Park.

„Natürlich können wir auch spazieren gehen", gab ich mit großer Freude zurück. Frau Prins lächelte und sagte: „Dann kann ich mich noch besser auf die Natur einlassen."

Schon machten wir uns auf den Weg nach oben. Beim Aussichtsturm fragte ich: „Haben Sie Lust, hinauf zu gehen?" Frau Prins antwortete: „Ja klar! Aber lieber auf dem Rückweg. Jetzt möchte ich erstmal ein Stück laufen." Ich nickte und konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln.

„Da vorne ist ein Weg, der fast bis zum Wasser führt. Den muss ich Ihnen unbedingt zeigen. Von dort aus haben Sie einen schönen Blick auf den schimmernden Sumpf inmitten der blühenden Heide", schlug ich euphorisch vor.
Völlig unerwartet nahm Frau Prins meine Hand und meinte: „Gute Idee, also los!" Ich war total überrumpelt und kaum noch in der Lage, vernünftig zu denken. So glücklich war ich schon sehr lange nicht mehr gewesen. „Passen Sie aber gut auf Kreuzotter auf, machmal liegen die dort mitten auf dem Weg und sonnen sich", warnte ich meine Lehrerin, die mich regelrecht hinter sich her zog.
Sofort wurden ihre Schritte kleiner und wir gingen etwas langsamer.

Am Ende blieb sie stehen und ich stellte mich neben sie. Sie ließ meine Hand los und sah sich wieder um. „Wow", staunte sie, „Es ist hier wirklich wunderschön!"
Ich war unglaublich froh darüber, dass es ihr so gut gefiel. „Also habe ich Ihnen nicht zu viel versprochen?", fragte ich.
Anstatt auf meine Frage zu antworten, quietschte sie plötzlich: „Oh, Nina! Schau mal da! Eine riesige blau schimmernde Libelle! Oh, wie schön die einfach ist! Und da ist noch eine!"
Ich konnte mir das Lachen nicht mehr verkneifen. Ihre Faszination war so süß. Am liebsten hätte ich sie wieder in den Arm genommen, aber weil das unmöglich war, sagte ich stattdessen: „Willkommen an meinem absoluten Lieblingsort, Frau Prins."

BargerveenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt