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„Weißt du was, Nina?", fragte meine Lehrerin, als sie mich nach einigen Minuten wieder losließ. Ich schüttelte meinen Kopf, zu etwas anderem war ich noch immer nicht in der Lage.
Frau Prins nahm meine Hände in ihre und meinte: „Du warst mir in der Schule schon immer sehr sympathisch, nur so im Voraus, aber privat bist du mir noch sympathischer. Ich finde, nach diesem schönen Tag solltest du aufhören, in mir eine distanzierte Lehrerin zu sehen. Ich kann das gut verstehen, wenn es dir zu viel ist und du lieber noch länger Frau Prins zu mir sagen möchtest. Aber ich biete dir gerne das Du an."

Ich starrte sie fassungslos an und meine Lippen verformten sich zu einem breiten Lächeln. Tausende Gedanken und noch mehr Gefühle strömten durch meinen Kopf und jede Zelle meines Körpers. Sagen konnte ich allerdings nichts. Es war so überwältigend, so plötzlich und unerwartet, dass ich gerade gar nicht recht wusste, ob Frau Prins das wirklich gesagt hatte oder ob es wieder nur ein Wunsch war, der sich in meinem Inneren abspielte.

„Habe ich dich überrumpelt?", fragte Frau Prins lachend. Ich begann leise zu kichern und nickte leicht mit dem Kopf.
„Wie gesagt", meinte Frau Prins, „Wenn es dir noch zu früh ist oder wenn du das generell nicht möchtest, ist das auch in Ordnung. Dann vergiss einfach wieder, was ich gesagt habe."

In dem Moment wurde mir erst richtig bewusst, dass das alles echt war. Mir wurde heiß und gleichzeitig kalt und ich schüttelte auf einmal ganz stark meinen Kopf. „Nein", piepste ich, „Ich freue mich so sehr! Danke, Frau Pr... äh..."
Irgendwie fiel mir vor lauter Überwältigung nicht einmal mehr ihr Vorname ein, obwohl ich diesen mit Freunden aus der „Teachercrush Community" immer gebrauchte, wenn ich über sie schrieb.
„Lisa", kicherte sie. Ich grinste. „Danke, Lisa", wiederholte ich.
Sie ließ meine Hände los. „Ist auch schwer, sich die ganzen Vornamen der Lehrer zu merken, nicht wahr?", fragte sie. Ich kreuzte unauffällig die Finger hinter meinem Rücken und flunkerte: „Naja, wenn man die Lehrer immer mit dem Nachnamen ansprechen muss, weiß man die Vornamen teilweise einfach nicht mehr."
In Wahrheit waren die Vornamen meiner Lehrpersonen stets das, woran ich mich an besten erinnern konnte.

„Also", begann Lisa noch einmal, sich bei mir vorzustellen, „Ich bin Lisa, komme aus Klazienaveen und freue mich, dich jetzt endlich richtig kennenzulernen."
Wir beide lachten herzlich darüber, obwohl eigentlich gar nichts daran witzig war. Diese Frau machte mich so glücklich.
„Ich bin Nina", stellte ich mich nun auch vor, „Ich liebe die Natur und freue mich, dir den Naturpark zeigen zu können."

Unter lautem Lachen gingen wir weiter und genossen das schöne Wetter wie die idyllischen Eindrücke der Natur.
So kamen wir an den kleinen Hügel, auf welchem ich zwei Tage vorher noch auf der Holzbank saß und weinte. Wie von selbst gingen wir hinauf und setzten uns auf die Bank.
Je mehr ich mich an den Vortag erinnerte, desto glücklicher wurde ich, Frau Prins - Lisa - nun an meiner Seite zu haben.

„Von hier hat meinen einen schönen Ausblick über die Heide", sagte ich. Lisa nickte. „Es ist wirklich toll hier. Ich bin froh, dass ich nicht mit ins Hallenbad gefahren bin. Die Natur gefällt mir tausendmal besser."

Wir saßen noch einige Minuten wortlos dort und beobachteten das Leben der Natur.
Immer wieder wanderte mein Blick auf Lisa. Sie saß lächelnd neben mir, in ihrem Gesicht konnte man große Faszination erkennen. Daran erkannte ich, dass sie die Natur mindestens genauso sehr liebte wie ich. Also hatten wir eine große Gemeinsamkeit.
Ihre blonden Haare schimmerten im Sonnenlicht und ihre Wangen waren leicht rötlich. Sie sah unfassbar süß aus, wie eine Märchenfee.

Niemals hätte ich gedacht, dass diese Frau, meine allerliebste Lieblingslehrerin, meine Retterin in der Not, jemals mit mir, neben mir auf dieser Bank in diesem Naturpark sitzen würde. Niemals hätte ich gedacht, dass ich diese Frau eines Tages duzen und mit ihrem Vornamen ansprechen dürfte.
Noch vor zwei Tagen schienen all diese Wünsche und Hoffnungen unerreichbar, unerfüllbar.
Wie ich dort saß, verzweifelt, verheult und mir nichts sehnlicher wünschte, als genau diese Frau auch nur für den Bruchteil einer Sekunde wiederzusehen. Nun saß sie unmittelbar neben mir. Und sie saß dort nicht aus Zufall. Sie saß völlig bewusst neben mir, gewollt mich zu treffen und mit mir durch Bargerveen zu spazieren.

„Ist was?", riss sie mich plötzlich mit ihrer unverwechselbaren Stimme aus meinen Gedanken.
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass sie mich ansah. Schnell senkte ich beschämt meinen Blick auf meine Füße. „Äh, nein", versuchte ich mich zu retten, „Ich war nur in Gedanken."

Mein Gesicht musste längst ausgesehen haben wie eine überreife Tomate. Zu meinem Glück kicherte Lisa nur und meinte: „Alles gut. Ich habe mich nur gewundert, weil du mich seit einer gefühlten Ewigkeit angeschaut hast. Wenn was ist, kannst du mir aber alles sagen. Auch wenn's um mich geht. Ich reiß dir nicht den Kopf ab, ja?"

Ich nickte bloß, mein Blick war noch immer auf meine Füße gerichtet und nur für einen ganz, ganz kurzen Augenblick dachte ich darüber nach, ihr zu sagen, was ich fühlte, um mir diesen Gedanken gleich darauf wieder aus den Kopf zu schlagen.

BargerveenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt