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Meine Lehrerin drehte sich noch mehrere Male im Kreis und bestaunte die Schönheit der Natur. Ich dagegen konnte mich gar nicht auf die Natur konzentrieren, weil meine ganze Aufmerksamkeit auf Frau Prins gerichtet war. Jede Bewegung, jede kleinste Reaktion von ihr empfand ich als wunderbar perfekt. Ich war absolut fasziniert von dieser Frau.

Von Weitem hörte ich einen Birkhahn rufen und Frau Prins sah mich fragend an. „Was war das denn?"
Ich lächelte und erklärte: „Das war ein Birkhahn. Hier im Moor gibt es noch einige dieser Art. Ich weiß nicht, ob Sie das Wappen von der deutschen Gemeinde Twist kennen, aber darauf ist ebenfalls ein Birkhahn abgebildet. Denn ganz früher sah das ganze Dorf noch so aus wie hier und die Menschen waren sehr arm. Nicht nur in Deutschland. Auch Nieuw Schoonebeek und Weiteveen, teilweise sogar Ihr Klazienaveen waren Sumpfgebiet. Die Menschen mussten hart arbeiten und hatten nichts zum Essen. Selbst als meine Oma noch ein Kind war und kurzzeitig nach Emmen zum Arbeiten auf einen Bauernhof musste, wurde unartigen Kindern noch als Strafe gedroht, nach Klazienaveen ins Moor geschickt zu werden."
Frau Prins war total erstaunt und antwortete: „Das ist ja spannend! Ich bin nicht oft in Nieuw Schoonebeek oder in Weiteveen, aber wenn ich dort mal durchfahre, sieht die Gegend gar nicht mehr ärmlich aus. Dort stehen riesige Häuser, fast jeder hat ein großes Grundstück mit Garten und allem Drum und Dran, fast wie die Deutschen. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass es dort mal so schlimm gewesen sein muss."

Ich war total glücklich über ihr Interesse und sprach noch länger mit ihr über die Geschichten vom Bourtanger Moor und Nieuw Schoonebeek, bis meine Lehrerin vorschlug, etwas weiter zu gehen.

Auf dem Weg zurück zeigte ich ihr Stellen, an denen man den Moorboden noch richtig bewegen konnte, wenn man sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagerte und es sah zu süß aus, als Frau Prins es ausprobierte und fröhlich und fasziniert von einem Fuß auf den anderen sprang und mich fragte, ob ich die Bewegung der Erde an meiner Stelle auch noch spürte.

Als wir wieder auf dem befestigten Weg waren, zeigte ich Frau Prins die Stelle, an der ich oft Pause machte, um Gedichte zu schreiben. Dort stand mitten in einem kleinen Buchenwald eine Bank mit wunderschöner Aussicht auf den Sumpf und die Heide. Über uns zwitscherten die Vögel, hinter dem Wald hatte ein Imker einige Bienenkästen aufgestellt, von wo man die Bienen summen hörte.
Ich sagte kein Wort und beobachtete die Raktionen meiner Lehrerin. Sie war hin und weg. Immer wieder schloss sie ihre Augen und lauschte ganz bewusst der Natur. Dann öffnete sie ihre Augen wieder und sah sich um.

Plötzlich sah sie mir geradeaus in die Augen. Mein Herz begann erneut zu rasen. „Ich hätte nie gedacht, dass es hier so schön ist! Früher war ich auch viel draußen in der Natur, aber ich habe die Natur nie so bewusst wahrgenommen. Das hier ist aber wirklich ein Paradies!", schwärmte sie und mit jedem Wort schienen ihre Augen noch mehr zu strahlen.
Ich war unglaublich glücklich darüber, dass es Frau Prins so gut gefiel. Es war so niedlich, wie sie sich freute und wie fasziniert sie war.
Dann kam sie auf einmal auf mich zu und legte beide Hände auf meine Schultern. Ich erstarrte vor Freude und Überraschung. „Danke, dass du deine Zeit für mich opferst, um mir dieses Paradies zu zeigen", sagte sie und diese Worte waren so ehrlich und aufrichtig, dass mir fast die Tränen kamen.
„Aber das mache ich doch gerne, Frau Prins", entgegnete ich und schenkte ihr ein Lächeln. Daraufhin nahm sie mich einfach wortlos in den Arm und verharrte so einige Sekunden.
Es war absolut wunderbar. Meine Gefühle und meine Gedanken waren total durcheinander, aber ich war so glücklich wie nie zuvor. Gedankenlos begann ich, mit meinen Händen ihren Rücken zu streicheln, kurz danach löste sie sich aus der Umarmung.

Mein Verstand wollte mit mir schimpfen, aber ich lenkte meine Aufmerksamkeit schnell in eine andere Richtung, um die Situation zu überspielen. „Raten Sie mal, sind wir hier in Deutschland oder noch in den Niederlanden?", fragte ich. Frau Prins sah sich um und entdeckte auf der linken Seite einen Pfahl mit den deutschen Farben. Auf der rechten Seite stand ein Pfahl mit den niederländischen Farben. Sichtlich verwirrt antwortete sie: „Hm, schwierig. In Deutschland vielleicht?"
Ich sah nach hinten und überprüfte ihre Antwort am Grenzstein.
„Da haben Sie aber ganz knapp recht gehabt. Wären Sie einen Schritt weiter in meine Richtung gekommen, wären Sie in den Niederlanden."

Frau Prins lachte herzlich. „Das heißt also, ich bin in Deutschland und du bist in den Niederlanden, obwohl zwischen uns nur ein halber Meter liegt?"
Ich nickte und lachte auch. Frau Prins holte ihr Handy heraus und meinte: "Komm mit aufs Bild, das muss ich meinem Mann nachher zeigen!"
Sie wollte also tatsächlich ein Selfie mit mir machen. Ich war total überwältigt. Diese Frau war so bezaubernd, so niedlich und offen. „Ich schick dir das Bild dann auch", fügte sie hinzu. Schon legte sie ihren rechten Arm um mich und hielt mit ihrer linken Hand ihr Handy hoch. Der Grenzstein im Hintergrund durfte natürlich auch nicht fehlen.
Diese Frau machte mich zum glücklichsten Menschen auf Erden.

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