8. Kapitel

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Am nächsten Morgen war ich noch verwirrter. Was hatte der Kuss zu bedeuten gehabt? Wer war Alessia und was war mit ihr passiert? Der Frühstückstisch war bereits gedeckt als ich ihn aufsuchte. Ich war nicht die letzte. Alberto fehlte ebenfalls. Ich setzte mich neben Camilla. «Hast du etwas von Alberto gehört oder gesehen?» fragte ich. «Du hast es also nicht mitbekommen. Er ist heute morgen fortgeritten. Doch keine Angst, er kommt wieder. Nur wann, dasweiss niemand.» entgegnete Camilla. «Danke», sagte ich nur. Ohne auch nur einen Bissen gegessen zu haben, stand ich wieder auf und ging in den Pferdestall. In Gedanken rief ich nach meinem Drachen. Sofort erhielt ich eine Reaktion. Ohne auch nur ein Wort gewechselt zu haben wusste ich, dass sie wohl auf war und sich auf den Weg hier her machte.

Ich erzählte Eia die ganze Geschichte von gestern Abend. «Lass ihm Zeit. Es ist ihm schlichtweg zu viel.» versuchte sie mich zu besänftigen. Und wahrscheinlich hatte sie mit allem Recht. «Es ist an der Zeit nach Piero und den anderen zu sehen.» gab ich zur Antwort. Mit diesen Worten kletterte ich mühsam auf Eia's Rücken und wir schwangen uns in die Lüfte.

In der Arena war nichts los. Ich brauchte eine Weile um die Person zu finden nach der ich suchte. Piero war in den Umkleiden. Voller Freude warf ich mich ihm in die Arme. Und er erwiderte die Umarmung. So standen wir eine Weile da, bis uns einer der Anwärter unterbrach. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm . So schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. «Wie geht es dir Piero?», fragte ich ihn. «Naja ich habe noch einige Schmerzen, da Eia mich mit ihrem Stachelschwanz erwischt hat. Aber davon abgesehen...» er brauchte den Satz nicht zu beenden. Piero sah glücklich und zufrieden aus. Mehr denn je. Sollte ich ihm von dem Kuss mit Alberto erzählen? Wenn die Zeit gekommen war. Doch jetzt war sie es nicht. Da die Zeremonie nun in der Vergangenheit lag, gab es zwischen den letzten Anwärtern keine vorgesehenen Übungskämpfe mehr. Piero musterte mich mit einem Blick, der mir bislang fremd war. Dann drückte er mich abermals fest an sich. Eia war an ihrem Flügel noch immer leicht verletzt. Die kleine Wunde musste ich noch versorgen. Währenddessen unterhielt ich mich mit Piero. "Nach der Befreiungsaktion von deinem Drachen und unserer Rückkehr nach Siena, habe ich etwas nachgedacht. Über uns", sagte er. Ich fuhr zusammen. "Du bist meine beste Freundin und das ganze hier hat uns ein bisschen voneinander entfernt. Findest du nicht Aura?" sprach er weiter. Ich seufzte. "Das alles ist einfach gerade nicht sehr leicht für mich. Ich hatte nicht erwartet Drachenreiterin zu werden. Momentan weiss ich nicht wie es weiter gehen soll, geschweige den wie ich das alles bewältigen soll." In meinem Geist spürte ich wie mein Drache mich aufmunterte. Ich begann wieder zu reden: "Ich will nicht, dass uns etwas trennt. Du bist meine Familie. Die einzige die ich habe, außer Eia. Dich kann nichts ersetzten." Tränen verschleierten meine Sicht und ich sank auf die Knie. Piero nahm mich verständnisvoll in den Arm und drückte mich an sich. Ich erwiderte die Umarmung und drückte ihn ebenfalls an mich. Sogleich löste er sich leicht von mir und schaute mir tief in die Augen. Unbehagen machte sich in mir breit. Ich stand auf. "Ich muss noch den Flügel von Eia fertig verbinden." Mit den Worten löste ich mich aus seiner Umarmung und ging auf meinen Drachen zu. "Was war das?" fragte Eia mich. "Ich habe das Gefühl, das Piero mehr als Freundschaft möchte. Doch ich glaube nicht das ich mehr als das möchte. Was wenn daran unsere Freundschaft zugrunde geht? Dann habe ich niemanden. Und ausserdem ist da noch diese Sache mit Alberto." ich stoppte. Das alles verwirrte mich und es schien keinen Ausweg aus der derzeitigen Lage zu geben. Wir unterhielten uns über das Geschehen der letzen Tage. Es war für uns beide nicht leicht gewesen. Zumal wir gesehen haben wie Menschen starben. Doch es tat gut darüber zureden, um es schlichtweg zu begreifen. Piero lies sich darüber aus, dass Trainer Salvator erstaunlicherweise zuvorkommender gegenüber mir war. Wo hingegen Piero weniger Beachtung bekam den je. Während er sich weiter über unseren Trainer ausließ, schweiften meine Gedanken hin zu Alberto ab. Es war nicht zu fassen, wie sehr mich dieser eine Moment beschäftigte. Konnte ich den Kuss nicht einfach vergessen? Ich überlegte was Alberto wohl darüber dachte. Irgendwas musste in seiner Vergangenheit vorgefallen sein und gewiss hatte es mit dieser rätselhaften Alessia zu tun. Doch wer sie war und was sie mit Alberto's Geschichte zu schaffen hatte, blieb mir verschleiert. Plötzlich riss mich Piero aus meine Gedanken. "Hast du mir zugehört? ich habe dich etwas gefragt" fragte er. "Entschuldigung, kannst du es bitte noch einmal wiederholen?" entgegnete ich. "Ist alles in Ordnung mit dir? du bist so abwesend." wiederholte Piero seine Frage. Sollte ich es ihm jetzt erzählen oder ihm noch in dem Glauben lassen ich hätte in meinem Leben noch nie einen Mann geküsst. Ich entschied mich für letzteres. "Ähm ... ja. Ich bin nur noch einmal die vergangenen Tage durchgegangen. Es erscheint mir immer noch so surreal. Weisst du was ich meine?" Ich hoffte, dass ihm diese Aussage genügte. Verständnisvoll nickte Piero. Er sah mich schon wieder mit diesem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Er griff nach meiner Hand und streichelte diese zärtlich. Verständnislos blickte ich auf unsere verschränkten Finger. Es war doch vor meiner Zeit als Drachenreiterin auch kein Problem gewesen, mit Piero einfach den Moment zu genießen und nur an uns zu denken. Aber meine Gedanken schweiften immer wieder zu Alberto und dem Kuss vom Vortag. Zudem drängte sich die Frage nach Alberto's Vergangenheit immer wieder in meinen Kopf. Ich faste einen Entschluss. Wenn Alberto oder Camilla nichts von dem Geschehenen erzählen wollten, musste ich es eben auf eigene Faust herausfinden. Egal wie. "Ich muss los Piero." verabschiedete ich mich mit einem schlechten Gewissen von Piero und flog mit meinem Drachen in Richtung der Wohngemeinschaft davon.

Der Innenhof, wo heute morgen noch reges Treiben herrschte, war nun wie ausgestorben. Nicht einmal ein Tisch mit Stühlen stand in der Mitte. Ein Gefühl des Unwohlseins machte sich in mir breit. Ich durchquerte den Hof hin zur Eingangstüre. An der Tür sah ich einige dunklerote Flecken. Etwas stimmte hier nicht. Meine Gefühle verstärkten sich. Ich drückte die Klinge herunter.

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