11. Kapitel

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Ich wachte am nächsten Morgen kurz nach Sonnenaufgang auf. Das Bett war weich und warm. Meine Erinnerungen an das gestrige Gespräch war fast verblasst.  Ich drehte mich um. Alberto saß im Stuhl in der Ecke. Er schlief noch. Ich merkte nicht wie ich ihn anstarrte, bis er mich anlächelte. "Alles gut?", fragt er. Zuversichtlich nickte ich und lächelte ihn an. Ächzend stand er aus dem Stuhl auf, kam auf mich zu und setze sich auf die Bettkante. "Du kannst immer zu mir kommen und mit mir reden", bot er mir an. Ich setze mich auf und umarmte ihn. "Danke", flüsterte ich ihm in sein Ohr. Alberto schlang seine Arme um meine Hüfte und zog mich an sich. In solchen Momenten fühle ich mich unbeschwert. Hinzu kam der Flug auf Eia, der mich wie der glücklichste Mensch auf der Welt fühlen ließ. Da kam mir Piero in den Sinn. Ich hatte ihm noch nicht einmal etwas von dem ersten Kuss erzählt. Wie konnte ich es im Klar machen ohne dabei unsere Freundschaft auf den Kopf zu stellen? Im Bett setzte ich mich auf. Besorgt setzte sich Alberto ebenfalls auf und begann mir mit den Fingern über die Wirbelsäule und meine Schlüsselbeine zu streichen. Er drehte mein Gesicht so, dass ich ihn ansehen musste. «Was ist los?» fragte er. Mit einem Seufzer antwortete ich: « Es geht um Piero. Ich weiss nicht wie ich ihm das alles erklären soll. Es wird in unsere Freundschaft ein Chaos auslösen.» Alberto schien zu überlegen. «Wenn ihm die Freundschaft ebenfalls so wichtig ist wie dir, wird er das verstehen.» Es erstaunte mich immer wieder wie Verständnisvoll er sein konnte. Aus einem Gefühl heraus küsste ich ihn. Im ersten Moment war er etwas überrumpelt. Doch dann erwiderte er den Kuss und zog mich zurück ins Bett.

Beim Frühstück herrschte Stille. Der Schock der zwei Toten vor fünf Tagen und die Trauer der Beerdigung von gestern saß verständlicherweise noch tief. Meine anfängliche Freude heute morgen wurde überschattet, als ich mir die letzten Tage wieder bewusst machte. In den Gesichtern der anderen sah ich unergründliche Traurigkeit. Auch wenn ich die beiden Toten nicht gekannt hatte, bedauerte ich ihren Tod und fühlte mich schuldig. Das alles war nur geschehen, weil ich hier eingezogen war. Ohne mich wären sie mit großer Wahrscheinlichkeit noch am Leben. Ruckartig stand ich auf und ging. Erstaunt schauten mich einige aus der Runde an. Sie wussten ja nichts. Ich rannte aus dem Innenhof, hoch in das Zimmer, welches mir zugeteilt wurde. Die wenigen Habseligkeiten, welche ich hier verstaut hatte, packte ich in einem Leinenbündel zusammen. Ein paar Tränen kullerten über meine Wange. Es klopfte an der Tür. «NEIN"», schrie ich. Derjenige kam trotzdem herein. «Aurea ... Was ist los?» Alberto's Stimme zitterte vor Besorgnis. Jetzt war es endgültig vorbei mit meiner Selbstbeherrschung. Schluchzend sank ich auf dem Boden zusammen. Mit wenigen Schritten durchquerte Alberto den Raum und schloss mich in seine Arme. Während er versuchte mir einzureden, dass alles gut sei, streichelte er sanft über meinen Hinterkopf. «Gar nichts ist gut. Ich habe diese Männer umgebracht. Meinet wegen sind sie Tod. Wenn ich nicht eines Tages hier aufgekreuzt wäre, würden sie noch leben.» brachte ich zwischen den Schluchzern hervor. Alberto's Muskeln spannten sich an. Als ich in seine Augen sah, erkannte ich Zorn in ihnen. «Was redest du da? Nichts davon ist deine Schuld. Drei Menschen können von Glück reden, überlebt zu haben. Und das nur, weil du zur rechten Zeit am richtigen Ort warst.» Das machte es nicht besser. Ich bekam vor lauter Tränen kaum noch Luft. Alles um mich herum verschwamm. Ich hörte Alberto etwas sagen, doch ich verstand es nicht. Mir wurde schwarz vor Augen.

Als ich wieder aufwachte, lag ich nicht in meinem Zimmer auf dem Boden. Aber Alberto war noch bei mir. Und Piero. Eia's Kopf spähte durch das Fenster von Alberto's Zimmer. «Na Kleines? Ich hab es gespürt», sagte ihre Stimme in meinem Kopf. «Ich muss hier weg.» sagte ich laut. Piero und Alberto schauten mich verdutzt an. «Du kannst jetzt nicht weg. Deine Platzwunde ist noch nicht wieder verheilt», sagte Piero. Als ich mir an den Kopf fasste, trug ich einen Verband an der Stirn. An einer Stelle war dieser leicht feucht. Ich sackte in die Kissen zurück. «Ich lasse euch beide einmal alleine», sagte Alberto und verliess den Raum. Ich wusste nicht was ich mit Piero reden sollte. Also schwieg ich. Auch er wusste nicht, was er mir erzählen könnte. In den letzten Wochen fühlte ich mich zunehmend unbehaglich in seiner Nähe, obwohl er mein ganzes Leben ausmachte. «Piero ... Ich...», fing ich an, doch er unterbrach mich. «Ich weiss Bescheid. Von der Zuneigung Alberto's dir gegenüber. Aber ich bitte dich, gehe nicht auf seine Annäherungsversuche ein. Er würde dich nur verletzten. Und ausserdem gibt es bestimmt jemanden der besser für dich geeignet ist. Jemand der dich besser kennt als er.» Er sah mich mit einem Blick an, als wolle er sagen: Schau mich an. Ich bin dieser der für dich bestimmt ist. Ich schüttelte den Kopf. Piero war meine Familie, aber sonst nichts. Als ich merkte, dass er das Kopfschütteln wohl möglich falsch verstanden hatte, sagte ich: «Das werde ich nicht Piero. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich aufpassen werde.» Mit einem ernsten Blick hob ich die Hand zum Schwur, so wie wir es als Kinder immer getan hatten. Wir brachen in Gelächter aus. In dem Moment gab mir das schlechte Gewissen einen Stich und ich hörte auf zu lachen. Spontan griff ich mir an den Kopf. Für einen Moment schloss ich die Augen. Als ich sie wieder öffnete saß Piero neben mir auf dem Bett. Er schlug die Beine auf dem Bett übereinander. So saßen wir Schulter an Schulter neben einander und redeten. Wir redeten darüber, wie wir als Kinder vom Waisenhaus uns unsere Zukunft ausgemalt haben. Wir redeten darüber, wie doch die Zeit vergangen war. Ich war bereits seit drei Wochen Drachenreiterin. Ich erinnerte mich daran wie wir uns damals ein Zelt aus unseren dünnen Decken gebaut haben und uns Schulter an Schulter gesetzt. Dann haben wir uns immer Schlaflieder vorgesungen. Wie damals lehnte ich mich an seine Schulter an und begann zu summen. Zusammen fingen wir an zu singen, bis ich schliesslich langsam einschlief.

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